Karl Marx:Ramschware mit Mehrwert

Lesezeit: 2 min

Zum 200. Geburtstag des Philosophen macht sich ein Leser Gedanken über das Verhältnis der Kirche zum Kommunismus. Ein anderer fragt, wie es sein kann, dass sich Trier von einer Diktatur wie der chinesischen eine Marx-Statue schenken lässt.

SZ-Zeichnung: Fares Garabet (Foto: N/A)

"Die Welt verstehen" vom 5./6. Mai und "Er lebt" vom 30. April./1. Mai:

Die Kirche könnte einspringen

Dank sei also der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Revitalisierung ihres schärfsten Kritikers! Zieht ihn euch rein, vielleicht entdeckt ihr in "Das Kapital" doch noch brauchbares Material für die Neugestaltung einer fairen Verteilung des "Mehrwerts". Marx würde sich die Mähne raufen, wenn er wüsste, dass er zur Ramschware in Souvenirshops abgestürzt ist.

Bereits der Philosoph Friedrich Nietzsche sah im Sozialismus die irdische Variante des Christentums. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die katholische Kirche zu Karl Marx und seiner nach ihm benannten Kapitalismuskritik, dem Marxismus, ein angespanntes Verhältnis hat, wenn nicht gar eine Rivalität verspürt. Denn beide sprechen die gleiche Zielgruppe an. Sie machen sich zum Anwalt der Schwachen, Ausgegrenzten und Zukurzgekommenen. Das nämlich, was der "Nestor der katholischen Soziallehre", Oswald von Nell Breuning (1890-1991) in seiner Soziallehre einfordert, deckt sich in vielen Bereichen mit den revolutionären gesellschaftlichen Ansätzen von Marx. Beide sind in ihrer Grundausrichtung zutiefst altruistisch und humanistisch, wenngleich sowohl das Christentum als auch der Marxismus/Sozialismus bei der Umsetzung ihrer Ideale und ihres missionarischen Auftrags, auf Gewalt und Blutvergießen im Laufe ihrer Geschichte nicht haben verzichten können.

Was die Bibel an ethisch-moralischen Prinzipien für das menschliche Zusammenleben erhebt, versucht der Marxismus in praktische Politik umzusetzen, nämlich das Proletariat aus seinem Sklavendasein zu befreien. Wenngleich wir erleben mussten, wie dem real existierenden Sozialismus bei der Umsetzung dieses Vorhabens schwere gravierende Fehler unterlaufen sind, die der Komplexität des Menschen niemals gerecht wurden und deshalb in Unfreiheit und Totalitarismus mündeten. Beeindruckt davon, scheut die Kirche bis heute den Schritt, das Vakuum, das der Sozialismus hinterlassen hat, auszufüllen und sich als Korrektiv zum Kapitalismus, in das reale Weltgeschehen einzumischen, womöglich aus Furcht, ihr könnte ein ähnliches Armageddon blühen?

Wolfgang Gerhards, Berlin

China über alles?

Man kann über ein Karl-Marx-Denkmal aus verschiedenen Gründen geteilter Ansicht sein. Aber musste die Stadt Trier am 5. Mai 2018 ein Marx-Denkmal einweihen, das sie von der Volksrepublik China in reiner Propagandaabsicht zum 200. Geburtstag des Philosophen geschenkt bekommen hat? Und warum mussten Politiker wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sowie andere hochrangige deutsche und europäische Politiker diesem "Festakt" beiwohnen?

Noch am 3. Mai betonte Regierungssprecher Steffen Seibert anlässlich des "Tags der Pressefreiheit", dass die Pressefreiheit für Deutschland ein fester Pfeiler der Demokratie sei und die Bundesregierung überall und gegenüber jedem für die Pressefreiheit einstehen würde. Seltsamerweise zeigte sich die Regierung aber erschreckend ahnungslos, als es um den Einweihungstermin der Marx-Statue ging. So antwortete Vizeregierungssprecherin Martina Fietz auf eine diesbezügliche Frage in der Regierungspressekonferenz vom 4. Mai: "Der Termin ist mir im Moment auch nicht bekannt. Wenn sich irgendetwas dazu sagen lässt, würden wir Ihnen das direkt zukommen lassen."

Als Vize-Präsident und Writers-in-Prison-Beauftragter des deutschen PEN hatte ich den Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe vergeblich gebeten, den Termin für die Einweihung des Karl-Marx-Denkmals so lange zu verschieben, bis unser Ehrenmitglied, die Dichterin Liu Xia, aus dem 2010 verhängten Hausarrest entlassen und ihr die Ausreise ermöglicht worden ist. Ich bin mir sicher, dass dies auch im Sinne von Karl Marx gewesen wäre. "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein", ist ein bekanntes Zitat von ihm. Als Redakteur der Rheinischen Zeitung trat er wiederholt entschieden für die Freiheit des Wortes ein. Pressefreiheit sah Marx als Ausdruck einer liberalen demokratischen Gesellschaftsform. Paradoxerweise wird gerade diese Freiheit in China seit Jahren extrem eingeschränkt.

Es wäre ein deutliches Signal gewesen, wenn sich die Stadt Trier und die deutschen Politiker mit unserem gesundheitlich schwer angeschlagenen Ehrenmitglied Liu Xia solidarisiert hätten, um damit ein Zeichen für Meinungsfreiheit zu setzen, das weit über Trier hinausgestrahlt hätte.

Ralf Nestmeyer, Nürnberg

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: