Horst Seehofer:Religion und Populismus

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Gehört der Islam zu Deutschland? Leserbriefe zum Kommentar "Seehofers Verseppelung" von Heribert Prantl und "Was Deutschland prägt" von Constanze von Bullion über die kontroversen Aussagen des neuen Innenministers.

Zum Kommentar "Seehofers Verseppelung" von Heribert Prantl und "Was Deutschland prägt" von Constanze von Bullion vom 17./18. März über die Aussagen des neuen Innenministers zum Islam:

Wir haben keinen Staatsglauben

Horst Seehofers Äußerung zum Islam ist rechtlich falsch! Die Geschichte, die Sprache und Kultur gehören zu einem Land, nicht aber der Glaube, sonst hätten wir ja eine Staatsreligion. Eine Religion gehört zu den Menschen, die daran glauben. Laut Grundgesetz sind aber Politik und Religion offiziell getrennt, auch wenn das bei uns anders gehandhabt wird als in Frankreich. Die enge Verquickung von Staat und Kirche ist der weltlichen Macht der Kirchen geschuldet.

Generell gilt, der Islam gehört zu den Muslimen, so wie das Christentum zu den Christen gehört. Dass viele Menschen jeglicher Herkunft zu Deutschland gehören, sobald sie einen deutschen Pass erhalten haben, sollte selbstverständlich sein.

Humanisten, Atheisten und Agnostiker glauben an die Menschen statt an einen Gott. Sie bedauern besonders, dass täglich viele Menschen in Glaubenskriegen sterben müssen. Sie gehören auch zu Deutschland! Heinz Kauppert, Würzburg

Fängt das wieder an?

Soeben haben wir Dutzende Angriffe auf muslimische Einrichtungen in Deutschland erlebt. Und dann geht ein frischgebackener Heimatminister hin und erklärt völlig überflüssigerweise, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Allein schon die völlig abgehobene Frage, was zu Deutschland gehört und was nicht, ist grober Unfug und dient nur der Spaltung der Gesellschaft. Heimat ist, wenn wir mit unseren Mitmenschen in Frieden zusammenleben können. Und wenn ich weder gezwungen werde, Seppelhut und Lederhose gut und alternativlos zu finden, noch einen Kaftan oder ein Kopftuch. Vor 80 Jahren hat man in Deutschland schon einmal einer Religionsgemeinschaft abgesprochen, zu Deutschland zu gehören. Fängt das wieder an? Müssen wir befürchten, dass eines gar nicht so fernen Tages ein Bundesheimatminister einer Bundes"kristallnacht" applaudiert? Und das alles nur deshalb, weil die CSU im bayerischen Wahlkampf auch noch die Stimmen einiger Rassisten erhalten möchte? Ein Bundesinnenminister hat die Aufgabe, die Verfassung zu schützen und nicht zu demontieren. Peter Lankes, Mering

Rückwärtsgewandte Muslime

Tatsächlich ist die von Horst Seehofer vorgebrachte Differenzierung zwischen loyalen Bürgern muslimischen Glaubens und dem Islam als politisch-religiöser Weltanschauung nicht nur angebracht, sondern notwendig. Wer je in Geschichtsbüchern geblättert hat, der weiß, dass der Islam jahrhundertelang als Gegenentwurf zum christlichen Abendland aufgetreten ist, und wer überdies weiß, wie langsam sich kollektive Mentalitäten wandeln, kann nicht erwarten, dass sich dieser Gegensatz innerhalb weniger Generationen auflöst. Tatsächlich sind die systemverändernden Umwälzungen, die mit Aufklärung und Säkularisation in Europa stattgefunden haben, an der islamischen Welt weitgehend spurlos vorübergegangen, und fast scheint es, als orientiere sich diese nach der kulturellen Blüte im Mittelalter wieder mehr an ihren Ursprüngen, der "Umma" (Urgemeinde) des Propheten - und dabei leider nicht nur an dem Mohammed, der in Mekka den barmherzigen Gott verkündete, sondern auch an dem, der von Medina aus mit Waffengewalt zur Welteroberung auszog.

Der Islam in Deutschland: Gläubige beim Freitagsgebet in der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. (Foto: AFP)

Diese Rückwärtsgewandtheit führt zwangsläufig dazu, dass das theokratische Kalifat vielfach als adäquate Gesellschaftsordnung angesehen wird, und erklärt, warum sich Demokratien nach westlichem Muster in islamischen Ländern so schwertun und meist schnell autokratische Züge annehmen - bestes Beispiel: Ägypten. Selbst in der von Atatürk einst mit eiserner Hand säkularisierten Türkei kehrt mit Erdoğan der Islam und mit ihm die Autokratie wieder in die Politik zurück.

Und was die lauthals beklagte Spaltung der Gesellschaft angeht: Die erledigen die Muslime selbst, und das weit effizienter, als ein Seehofer es je könnte. Dr. Helmut Neuberger, Ostermünchen

Junge Opfer der Religionsfreiheit

Die ganze Aufregung um die Äußerung von Horst Seehofer erscheint ebenso bigott wie seine Aussage selbst. Natürlich kann man streiten über die Vokabel "gehören" und wie sie zu interpretieren ist, aber das ist nebensächlich. Wichtig ist zu konstatieren, dass bereits 2012 die Regierung das Grundgesetz auf dem Altar der religiösen Gleichberechtigung opferte und die Genitalverstümmelung männlicher junger Muslime und Juden de facto als rechtens anerkannte. Der Artikel 2 des Grundgesetzes, der das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert, wurde der Religionsfreiheit geopfert - besonders gravierend ist der Paragraf 1631d BGB, weil er erlaubt, dass der Eingriff bei Jungen unter sechs Jahren nicht von einem Arzt ausgeführt werden muss. Und da soll der Islam noch nicht Teil dieser Gesellschaft sein? Wer weiß, was für religiös bedingte Rituale noch auf uns warten, die dann im Zuge der Gleichberechtigung auch durchgewunken werden. Peter Butzbach, Köln

Zunder für den Stammtisch

Was treibt diesen politischen Berserker? Hat nicht zum Schluss dieser unsäg- lich quälenden Koalitionsverhandlungen auch Horst Seehofer öffentlich erklärt: Jetzt wird regiert. Und anderes Staatstragendes mehr. Und dann eine völlig unnötige Neuauflage der Islamdebatte. Ist es Rache an seiner Partei, an Markus Söder, dass er (endlich) von Bord gehen musste? Ist es ihm egal, dass er damit nur verbrannte Erde hinterlassen will? Wie auch immer, es ist unwürdig und schadet unserer Gesellschaft und ihm und seiner Partei. Politikwissenschaftler haben davor gewarnt, die CSU noch weiter nach rechts zu rücken, es würde mit Sicherheit der Partei bei der anstehenden Landtagswahl Stimmenverluste bei ihr und Stimmengewinne der AfD bringen. Wird sicher auch so kommen. Aber was schert das Seehofer?

Doch damit nicht genug: abschieben, abschieben und das gnadenlos. Abgesehen davon, dass dies Ländersache ist, hat auch sein Vorgänger im Amt nicht gerade zögerlich gehandelt. Ist aber immer wieder an den bekannten Realitäten gescheitert.

Natürlich weiß Seehofer, auch wenn er kein Jurist ist, dass alle anerkannten Religionen (und damit alle Moslems in unserem Land) unter dem uneingeschränkten Schutz unseres Grundgesetzes stehen. Aber es hat ihn nicht daran gehindert, dem Stammtisch Zunder zu geben. Hans-Jürgen Schulz, Fürstenfeldbruck

Differenzieren, bitte

Der Aussage "Der Islam gehört zu Deutschland" kann ich in dieser Form nicht zustimmen, denn sie ist falsch formuliert. Der Koran, die Hadithen und die Scharia widersprechen erheblich unserem Grundgesetz und einer Vielzahl anderer Gesetze. Beispielhaft seien nur die viel zitierten Regeln zur Vielehe, Stellung der Frau, die Beschneidung, usw. genannt. Einer Modernisierung des Islams, wie sie zum Beispiel durch Seyran Ateş und andere angestrebt wird, wird heftigster Widerstand von Imamen und einer großen Zahl von Gläubigen entgegengebracht. Frau Ateş wird sogar mit dem Tode bedroht. Unter diesen Voraussetzungen muss die Aussage lauten: "In Deutschland herrscht Religionsfreiheit. Der Islam darf praktiziert werden. Das Grundgesetz und die Rechtsprechung geben den Rahmen für die Ausübung vor. Niemand darf wegen seiner Religion oder Weltanschauung mit dem Tode bedroht werden." Ursula Geißelmeier, Fürth

Ein Fall für den Beauftragten

Der neue Bundesinnenminister gibt sich mittels seines Hausblattes mit den vier Buchstaben als oberster Religionswächter. Darf der weltanschaulich neutrale Staat, in dem die Religionsfreiheit ein Grundrecht ist, überhaupt entscheiden wollen, ob eine Religion "zum Staat dazugehört" oder nicht? Es wäre interessant, dies vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen. Mit seinen eigenen Argumenten (wenn man diese denn so bezeichnen möchte), müsste Horst Seehofer auch sagen, dass das Judentum nicht zu Deutschland gehört... Denn auch dort spielen weder Sonntag noch Weihnachten, Pfingsten oder Ostern eine Rolle.

Die gerade entstehende Antisemitismusstelle sollte sich dringend des Populisten Seehofer annehmen. Alfred Nicklaus, Stuttgart

© SZ vom 21.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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