Hochschule:Denken lernen, nicht nur rechnen

Werden die Hochschulen in Deutschland einem umfassenden Bildungsideal noch gerecht? Jagoda Marinić hat dies jüngst auf der Meinungsseite in Frage gestellt. Auch Leser beklagen die Ökonomisierung der Universitäten.

Hochschule: Werden die Universitäten einem umfassenden Bildungsideal noch gerecht? Statue von Wilhelm von Humboldt in Berlin. Foto:

Werden die Universitäten einem umfassenden Bildungsideal noch gerecht? Statue von Wilhelm von Humboldt in Berlin. Foto:

(Foto: imago)

"Geist" vom 4./5. November:

Reflexion kostet eben Zeit

Jagoda Marinić macht mit dem gebotenen Nachdruck auf eine Entwicklung der Universitäten zu einer zunehmenden Ökonomisierung des Wissens aufmerksam, die einem nachhaltigen, kritisch reflektierten Wissensbegriff nicht gerecht wird, wie er für eine Universität, aber auch für Gesellschaft und Kultur grundlegend sein muss. Merkmale eines solchen nachhaltigen Wissensbegriffs wie historische Erinnerung und kritische Gegenwartsanalyse, Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt, Textverständnis und Medienkommunikation, Empathiefähigkeit und Anerkennung des Anderen, soziale und ökologische Verantwortung können nicht auf der Basis quantifizierbarer Erfolgskriterien und kurzfristigen ökonomischen Nützlichkeitsdenkens entwickelt werden, die derzeit die nationale und internationale Profilierung der Hochschullandschaft beherrschen.

Sie bedürfen vielmehr der längerfristigen Prozesse der Reflexion, der Interpretation, des interkulturellen Dialogs und des komplexen Vernetzungsdenkens, wie sie dem "Geist" der Geistes- und Kulturwissenschaften entsprechen, den die Autorin zu Recht als unverzichtbaren, ja überlebensnotwendigen Beitrag dieser Wissenschaften zur Zukunft der Kultur und Gesellschaft herausstellt.

Es ist andererseits hervorzuheben, dass es seit einiger Zeit auch eine Gegenentwicklung gegen diesen neoliberalen Zeitgeist gibt, die sich in manchen Universitäten auch auf der Leitungsebene bemerkbar macht, etwa im Konzept der interdisziplinären Netzwerkuniversität in Augsburg, wo die Geistes- und Kulturwissenschaften ausdrücklich als essentieller Bestandteil in die Forschungs- und Innovationsschwerpunkte der Universität einbezogen sind. Prof. Hubert Zapf, Friedberg

Kapitalistische Täuschung

Die "Durchökonomisierung" des Hochschulwesens ist in der Tat zu beklagen. "Neoliberal" klingt zwar nach "neuer Freiheit", ist aber nur Tür für die alte Sucht nach Macht. Leider erliegt auch die Bildung der kapitalistischen Täuschung, die das erkaufte Recht des finanziell Stärkeren als leistungssteigernde Konkurrenz und ökonomische Effizienz erscheinen lässt. Das ist an dieser Stelle besonders fatal, da es den Ort in der Gesellschaft betrifft, an dem eigentlich dass Prinzip gefördert werden soll, das der kapitalistischen Schein-Logik entgegenstehen müsste. Ein (zweck-)freier Raum, der durch freiwillig zur Verfügung gestellte Mittel geschaffen wird. Dort können Sinn stiftende Perspektiven gefunden und innovative Kreativität entwickelt werden, die jeder einzelne Mensch und die Gesellschaft als Motive und Antrieb ebenso zum Leben brauchen wie die Nahrung. Darauf kann auch die Wirtschaft nicht verzichten.

Der Grund für diese Zustände ist aber in den Geisteswissenschaften selbst zu suchen, die in den vergangenen 200 Jahren die Deutungshoheit über den Wissenschaftsbegriff an die quantifizierenden Naturwissenschaften abgetreten haben und somit auch das Verständnis dessen, was Geist ist und sein kann, verloren haben. So bleibt an vielen Stellen vom erhofften "Lebendigen Geist" nicht viel mehr über als Reproduktion und Kombination von Wissen und ein Wahrheitsbegriff, der mit logischer Richtigkeit verwechselt wird. Wenn in der selben Ausgabe der SZ der Neurowissenschaftler Adrian Owen mit den Worten zitiert wird: "Natürlich kann niemand von uns wissen, ob wir überhaupt ein Bewusstsein haben", dann zeigt das in logischer Absurdität, dass der Mensch vergessen hat, was ihn eigentlich ausmacht. Sein Bewusstsein und somit auch er selbst sind ihm zum blinden Fleck geworden.

Dabei sind das Denken und das Bewusstsein nicht subjektive Phänomene, sondern vielmehr darüber stehender Ausgangspunkt allen Objektbezuges. Wenn wir unser eigenes Denken und Bewusstsein als subjektiv, fehlerhaft und täuschbar ausblenden und das Heil in der vermeintlichen Objektivierung suchen, dann täuschen wir uns darüber hinweg, dass alle Wissenschaft und Forschung immer auch von konkreten Menschen aus ihrem Bewusstsein und Denken heraus geschieht. Es liegt an einem selbst, ob er sich bemüht, zu seiner geistigen Realität zu erwachen. Ob er bemerkt, dass er die Fähigkeit hat, seinem Denken und seiner Sicht auf die Welt eine Richtung zu geben, und somit die Veranlagung zur Freiheit hat. Als Fachleute ziehe man in diesen Fragen lieber die deutschen Idealisten Rudolf Steiner und Joseph Beuys zurate.

Das Wort Christi zum Sabbat müsste man für das Verhältnis von Wirtschaft und Geist so umformulieren: Der Mensch soll nicht für die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft für den Menschen da sein. Tarik Özkök, Hamburg

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