Heimat:Für manche ein Kampfbegriff

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Was macht Heimat aus? Leser erinnern mit Unbehagen an Kaiser Wilhelms Aussage von den "vaterlandslosen Gesellen" und an das Kuratorium Unteilbares Deutschland. Aber auch an die soziale Komponente von Heimat.

"Neue Heimatpolitik" vom 23. Oktober:

Den Ewiggestrigen widerstehen

Nur Geschwurbel? Nein, ein Kampfbegriff. Konservative und Rechte aller Kaliber missbrauchen den Begriff "Heimat" seit jeher zur Diffamierung ihrer politischen Gegner. Kaiser Wilhelm beschimpfte die Sozialdemokraten als "vaterlandslose Gesellen" und Alexander Gauland samt seiner Spießgesellen will sich "unser Land zurückholen". Der deutsche Jude Kurt Tucholsky, der vor den Nazi-Barbaren ins schwedische Asyl flüchten musste und sich dort aus enttäuschter Liebe zu seinem Vaterland das Leben nahm, hat den völkischen Hetzern 1929 die passende Antwort gegeben: "Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen - wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand, nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es!" Die demokratische und freiheitliche Mehrheit der heutigen Bundesrepublik sollte sich die Heimat von den Ewiggestrigen nicht rauben lassen. Michael Rux, Freiburg

Wie man sich zu Hause fühlt

Für viele Leute ist der Begriff Heimat sehr eingetrübt. Ungern erinnere ich mich an das Heimatgetümele des Kuratoriums Unteilbares Deutschland. Das stellte Tausende Schilder an die Ortsausgänge: "Dreigeteilt niemals". Inzwischen wurde auf den dritten Teil verzichtet und geteilt sind wir nicht mehr. Sang- und klanglos wurden die Schilder abmontiert. In der 68er-Zeit haben wir Aktionen gestartet, um die Schilder, deren Inhalt nur durch Krieg zu verwirklichen war, abzuschrauben und in heimatlichen Wäldern zu entsorgen.

Heribert Prantl vergaß in seinem Artikel zu erwähnen, dass die Heimatgefühle sehr durch die unterschiedlichen Lebensumstände in den verschiedenen Heimaten geprägt sind. Ich wollte mit meiner Frau in die Heimat Hamburg zurückkehren. Wir suchten eine altengerechte Wohnung dort. Es war nur eine kleine Zweizimmer-Wohnung für 640 Euro zu bekommen, nun bleiben wir im Ruhrgebiet für 350 Euro für drei kleine Zimmer. Für die Elbphilharmonie war wohl alles Geld verplempert worden, da kann es dann doch keinen sozialen Wohnungsbau geben.

SZ-Zeichnung: Denis Metz (Foto: N/A)

Andere ältere Leute sagten mir dies: Früher konnte man sich auch im Dorf zu Hause fühlen, denn die Heimat bot Arztpraxen und Tante-Emma-Läden, und es gab einen Bahnhof mit vernünftigen Abfahrtzeiten, und man kam auch am selben Tag zurück. Heute müssen die Alten in ihrer Heimat auf so etwas verzichten. Ulrich Sander, Dortmund

Die soziale Komponente

Welch ein Aroma: Heimatministerium! Welche Aufgabe? Sepplhose, Dirndl, Bierdunst und Kirchweih, also eine Art Oktoberfest-Ministerium? Ach nein: Es steht ja in NRW, keine Trachtenvereine, keine Alpenkulisse mit Schuhplattlern oder Jodlern. Da muss man sich schon was Verführerisches einfallen lassen für die AfD-nahen Kreise. Wie hilflos! Wie hilfreich und wohltuend logisch gegen das nebulöse Unbehagen der Amateure der Heimat ist da die oben genannte Analyse! Es geht eben nicht um (manchmal recht ranziges) Brauchtum - das kann den Unzufriedenen nur in eine Scheinwelt der Betäubung locken, es hilft ihm nichts. Wenn er sich aber die Mieten leisten könnte, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hätte, die Kinder in einer akzeptablen Tagesstätte bzw. Schule mit ausreichend Personal untergebracht wüsste, die pflegebedürftigen Großeltern in einer kompetenten Pflegeeinrichtung, dann fühlte er sich nicht "heimatlos"und würde seine Umgebung (auch mit ein paar dunkelhäutigen Fremden mehr) akzeptieren und darüber hinaus auch Europa trotz unterschiedlicher Gepflogenheiten wieder schätzen, anstatt sich nach einem Zaun zu sehnen.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

Wanderer zwischen den Welten

Ich bekomme immer ein ganz mulmiges Gefühl, wenn Parteipolitiker über den Begriff "Heimat" dozieren. Ina Scharrenbach (CDU) ist 41 Jahre alt und spricht als Ministerin von NRW über den Begriff Heimat so, wie meine Oma vor 60 Jahren. Auch ich bin ein deutsches Kind und liebe die Romantik und all die Gedichte und Lieder, sie geben mir Halt in guten und in schlechten Zeiten. "Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen, in Berg und Tal und Strom und Feld." Wer kennt nicht dieses Lied und "Aus dem Leben eines Taugenichts" von Joseph von Eichendorff. Wir alle sind Wanderer, zwischen den Welten und immer auf der Suche nach einem geliebten Standort. Kann uns da die Politik mit einem Bundesheimatministerium wirklich weiterhelfen? Elsbeth Schwanewedel, Berlin

Heimatschutz und Spitzeldienste

Zur Zeit werden Diskussionen geführt, ob in Deutschland ähnlich wie in den USA, Heimatschutz-Ministerien eingerichtet werden sollen, die unter Länderhoheit stehen. In den USA heißt diese Institution InfraGard bzw. Homeland Security Office, die in 86 Ortsgruppen organisiert sind und die Interessen von mehr als 23 000 Privatunternehmen vertreten mit der Maßgabe, die Infrastruktur zu schützen. Mitarbeiter, das sind zivile US-Bürger die mit dem FBI zusammenarbeiten, haben die Aufgabe, verdächtige Tatbestände zu melden. Dahinter verbirgt sich nichts weiter als ein Denunziationsgebilde, um den Überwachungs-Mechanismus und Spitzeldiensten die Krone aufzusetzen.

Solche Ministerien brauchen wir nicht. Die Ankündigung, in den einzelnen Bundesländern strukturschwache Gebiete stärken zu wollen, ist nur ein Täuschungsmanöver. Diese Aufgaben obliegen dem Wirtschafts- beziehungsweise Verkehrs- und Gesundheitsministerium; es müssen halt nur mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Überdies wären durch diese Überwachungsmaßnahmen die Meinungsfreiheit und die Privatsphäre beeinträchtigt. Zum Schluss ein Zitat von Albert Einstein: "Blinder Glaube an die Obrigkeit ist der schlimmste Feind der Wahrheit." Rüdiger Haack, Neustadt

Falsche Entwicklung

In den Münchner Stadtteilen Daglfing und Feldmoching haben sich Bürgervereine unter dem Begriff "Heimatboden" zusammengeschlossen. Ich muss gestehen, als ich diesen Namen zum ersten Mal auf einem Plakat las, hat er mich irritiert. Wenn man sich jedoch genauer mit den Hintergründen befasst, ist schnell zu erkennen, dass dieser Name zur Problematik sehr gut passt. Hier geht es nämlich um sogenannte "Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen in München". Auf riesigen landwirtschaftlichen Flächen sollen Tausende Wohnungen und Arbeitsplätze entstehen.

Die Menschen, die hier leben, haben berechtigte Sorge, enteignet zu werden, Bauern verlieren ihre Existenz, ihre Heimat. Auch für andere ausgewiesene Baugebiete mussten Bewohner ihre Häuser verlassen, einige sind bereits abgerissen.

Für alle Münchner gilt, unsere Stadt, unsere Heimat, wird sich sehr verändern, viele Grünflächen werden verschwinden, durch die immer dichtere Bebauung werden die Mieten in gigantische Höhen schnellen, sodass sich alte Menschen und Familien mit Kindern irgendwo weiter draußen oder auf dem Land eine neue Bleibe suchen müssen. Sie verlieren ihre Heimat, weil andere, in der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz, aus ihrer Heimat in die deutschen Metropolen abwandern - bevorzugt nach München.

Die Folgen sind problematisch - sowohl für die Zuzugs- als auch für die Abwanderungsregionen. Während die Metropolen aus allen Nähten platzen, leiden die Abwanderungsgebiete an mangelnder Infrastruktur, verfallenden Dorf- oder Stadtkernen und Überalterung. Dadurch wird die Spirale "Abwanderung /Zuwanderung" immer weiter angetrieben. Da stimmt doch etwas nicht!

Sonja Sachsinger, München

"Hoimet" ist das Elternhaus

Heribert Prantl fragt: "Was ist Heimat?" und erklärt das Phänomen griffig und im Sinne des Hochdeutschen einprägsam. Als Schwabe (und Binnenmigrant) fiel mir das Leben mit dieser Bedeutung von Kind auf schon schwer. In meiner oberschwäbischen Heimat bedeutet "Hoimet" nämlich vorrangig Elternhaus. Hermann Fischer erwähnt im 14 000 Seiten starken "Schwäbischen Wörterbuch": "Der Älteste kriegt d'Hoimet." Markant auch die Aussage: "Dem ischt sei Hoimet abbrennt." Und mit dem "Vaterland" hat der Schwabe ursprünglich auch nicht viel am Hut. Der "vom große Vadderland" ist gleichbedeutend mit dem bairischen "Preiss" oder dem österreichischen "Piefke". Zur Zeit der süddeutschen Kleinstaaterei war nur Preußen richtig groß. Mit den vielen kleinen Herrschaften könnte man sich nicht identifizieren und war und blieb halt Schwabe. Dr. Hans Baiker, Detmold

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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