Hartz IV:Kein Modell für die Zukunft

Dass die sogenannte Grundsicherung für Arbeitslose einer gründlichen Überprüfung bedarf, hat inzwischen auch die Politik erreicht. SZ-Leserinnen und Leser hätten da ein paar Vorschläge parat.

Hartz IV: Schlange stehen für günstiges Essen an Tafeln müsste in Deutschland nicht sein. Auch hier ist die neue Regierung gefordert.

Schlange stehen für günstiges Essen an Tafeln müsste in Deutschland nicht sein. Auch hier ist die neue Regierung gefordert.

(Foto: Uli Deck/dpa)

"Mehr Kinder leben von Hartz IV" vom 5. April, "Hartz IV darf für niemanden ein Zuhause werden" und "Leben im Sperrgebiet" vom 22. März, "Ein Glas Milch in der Dunkelheit" vom 14. März:

Neu überlegen

Hartz IV darf keine Dauerlösung sein; das geht aber noch viel weiter, als der Kommentar von Henrike Roßbach nahelegt. Wenn man den Prognosen zur Zukunft der Arbeit glaubt - und diese erscheinen sehr plausibel - dann ist Hartz IV ohnehin kein Zukunftsmodell. Diese Prognosen gehen davon aus, dass durch den digitalen Wandel unser gesamtwirtschaftlicher Reichtum steigen wird, aber ein nicht unerheblicher Teil der arbeitenden Bevölkerung daran nicht partizipieren wird, weil für sie keine Arbeitsplätze mehr da sein werden. Eine ähnliche Entwicklung gab es zu Beginn der 80er-Jahre mit der Automatisierung. Meiner Meinung nach führt ein direkter Weg von der Automatisierung und dem Wegfall von gering qualifizierten Arbeitsplätzen damals zu Hartz IV heute. Unsere Gesellschaft ist reicher geworden, aber viele können daran nicht mehr teilhaben. Wenn wir das bei der Digitalisierung vermeiden wollen, müssen wir uns neben kurzfristigen Änderungen am bestehenden System überlegen, wie unsere Gesellschaft gesamtgesellschaftlichen Reichtum so verteilt, dass alle teilhaben können. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Arbeit, die auch künftig von Menschen erledigt werden muss, zum Beispiel die Pflege alter Menschen, so bezahlt wird, dass man auch in einer Stadt wie München davon leben kann. Und wir müssen uns überlegen, ob allein Lohnarbeit tatsächlich noch das Zentrum eines erfüllten Lebensentwurfs sein kann, so wie das ja Hartz IV für unsere Gesellschaft definiert. Raoul Koether, München

Berechtigt, nicht angewiesen

Ich sehe Kinder und Jugendliche - die noch keine eigene Familie unterhalten müssen - und Hartz IV beziehen, als Gewinner dieser Sozialleistung. Und dass Kinder von Zuwanderern in den Genuss von Hartz IV kommen, halte ich für einen Segen unseres Sozialstaats, der diesen jungen Menschen ein Mindestmaß an Würde garantiert und sie hinsichtlich der Alimentierung als eigene Person wahrnimmt - wahrscheinlich im Unterschied zu ihren Herkunftsländern. Statt auf Hartz IV "angewiesen" zu sein, sind Kinder und Jugendliche vielmehr berechtigt, diese Transferzahlung zu erhalten. Im Übrigen schließt Hartz IV niemanden von der Bildung aus: Ich wüsste nicht, dass Bibliotheken ihre Benutzer mit unüberwindbaren finanziellen Hindernissen konfrontieren. Jörg Abstein, Neulußheim

Notwendige Debatte

Welche traurigen Schicksale verbergen sich hinter Christoph Butterwegges Feststellung, dass arme Männer elf Jahre und arme Frauen acht Jahre früher als wohlhabende sterben. Zwar wird bei Hartz-IV-Empfängern das Existenzminimum notdürftig abgedeckt, aber in unserer reichen Gesellschaft sind sie dennoch arm, weil sie zwar physisch überleben, aber durch die Unmöglichkeit der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ausgegrenzt werden und als Kinder und Erwachsene deutlich geringere Zukunftschancen haben. Das ist ein unerträglicher Zustand. Sie nehmen deshalb auch die Unterstützung von 937 Tafeln und unzähligen Suppenküchen vieler Kirchengemeinden z.B. an so wohlhabenden Berliner Orten wie Wannsee und Zehlendorf gemeinsam mit Obdachlosen und Flüchtlingen notgedrungen in Anspruch. Diese fatale Diagnose ist ein dringender Anstoß zu einer notwendigen Debatte und daraus resultierend, zu schneller Abhilfe und Taten der neuen Regierung. Hans-Henning Koch,Berlin

Ein weiterer Keil

Herrn Spahn sollte eigentlich bekannt sein, dass nicht einmal Politiker mit ihren Bezügen passabel auskommen, denn warum wären sonst manche von ihnen gezwungen, den Staatssold durch Nebentätigkeiten oder die Beschäftigung von Familienangehörigen aufzubessern? Sein Statement war ein weiterer Keil zur Spaltung der Gesellschaft. Richard Federlin, München

Es beginnt beim Wohnen

Eine würdige und angenehme Wohnsituation ist die Basis für alles, weil in diesem Land jeder leicht satt wird. Sogar ohne einen Pfennig Hartz! Unabdingbar ist daher, dass 1. ein Bundesgesetz sicherstellt, dass ärmere Familien überall, vor allem in den guten, leisen, grünen Quartieren eine Wohnung bekommen. Dass dahingehend Hartz IV reformiert wird und 2. die Tafeln abgeschafft und der Einzelhandel zur täglichen Ausgabe der überflüssigen Lebensmittel verpflichtet wird und 3. die gesamte Verpflegung der öffentlichen Hand von Kita bis Bundestag auf Bio, saisonal und regional auf der Basis einer Kultur des Leitungswassers gestellt wird. Dr. Annette Weber, Zukunftsfähige Kulturtechniken, Heusenstamm

Hinweis

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