Gomringer:Zum Fremdschämen

Was darf Kunst und was darf sie nicht? Was dürfen Prorektorinnen und Asta-Vorsitzende und was sollten sie nicht tun? Beiträge von Leserinnen und Lesern über einen merkwürdigen Gesprächsabend in Berlin.

Aufregung

SZ-Zeichnung: Karin Mihm

"Künstlerpech" vom 28. März:

Absurdes Niveau

Für diesen Artikel Dank an Hilmar Klute, dessen Bewertung den meisten aus der Seele gesprochen haben dürfte. Die Wortwahl der AStA-Vorsitzenden der Alice-Salomon-Hochschule in der Diskussion mit dem Lyriker Eugen Gomringer macht erschreckend deutlich, welch absurdes Niveau die Genderdebatte inzwischen erreicht hat. Außer automatischen Reizreflexen mit stereotypem Wortgedrechsel scheint Diskussion manchmal nicht möglich zu sein. Der momentane Mainstream verzichtet auf Abwägen, Einordnen und Gewichten. Dass es als normal erscheint, diese Veränderung der Gesellschaft unter anderem Namen verteidigen zu dürfen, erinnert eher an Facebook als an Verantwortung. Dieses Eingreifen in die gesellschaftlichen Regeln durch Kampfsprüche ist eher peinlich. Vielleicht sollte man die geifernde AStA-Vorsitzende darauf aufmerksam machen, dass auch Gott nicht geschlechtsneutral dargestellt wird.

Udo Fiedler, Waldmünchen

Was schlimm ist

Es ist nicht schlimm, von Konkreter Poesie nichts zu verstehen und in politischem oder moralischem Übereifer etwas Dummes zu sagen. Aber es ist schlimm, wenn Rektorat und Asta einer Hochschule auch nach längerer Übung anscheinend nicht in der Lage sind, Kunst- und Meinungsfreiheit zu unterscheiden, und wenn Prorektorin und Veranstalter einer Studentin Pseudoanonymität gestatten, um als verfolgte Gender- und Sprachpolizistin sich inszenieren zu können, - verfolgt von allem, was sie nicht versteht und was nicht in ihr Weltbild passt. Diese Studentin und die Prorektorin haben nicht nur sich blamiert, sondern den Geist und das Ansehen der Alice-Salomon-Hochschule öffentlich beschädigt. Und das ist zum Fremdschämen - ich habe dort 34 Jahre Soziologie gelehrt.

Hermann Pfütze, Berlin

Aggressive Rhetorik

Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum der Autor derartig feindselig mit der Kritik an dem Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer umgeht, gerade so, als sei dieses Gedicht über jede Kritik und Lesart erhaben, für die Ewigkeit geschaffen, ganz egal, wer diese Ewigkeit zum Zeitpunkt seiner jeweiligen Betrachtung bevölkert und an ihrer konkreten Ausgestaltung und Veränderung mitwirkt. Warum muss sich, dem Artikel folgend, die AStA-Vorsitzende von der Tochter des Dichters "vorknöpfen" lassen und warum muss sie sich von der Ehefrau des Dichters vorhalten lassen, sich eines "falschen" Namens zu bedienen, weil sie es vorgezogen hatte, dem "Schauerstück" nicht unter ihrem eigenen Namen beizuwohnen? Wenn man liest, mit welcher aggressiven Rhetorik die Worte und das Auftreten dieser "im Angstmäntelchen der Anonymität tapfer Redezeit beanspruchenden AStA-Vorsitzenden" seziert werden, fragt man sich insgeheim doch, ob man selbst - sonst kein Angsthase - der jungen Frau unter dem Fallbeil dieser spitzen Feder nicht vielleicht doch geraten hätte, auf das Wort zu verzichten. Und lieber nicht Position zu beziehen, weil das zur Diskussion stehende Gedicht sakrosankt und der Dichter samt Frau und Tochter so was von unantastbar sind, wie in diesem kulturgestählten Land nur etwas unantastbar sein kann. Gisela Wuttke, Münster

Der Aura Raum geben

Frauenfeindlich? "Frau Roths" Vorwurf war unter anderem das Fehlen von Prädikaten bei den Frauen - nur der "admirador" hat ein "un" und würde damit zum agierenden Subjekt und die Frauen zum genossenen Objekt... "Frau Roth", bitte beachten Sie, dass es ein methodisches Kennzeichen der Konkreten Poesie ist, mit verschlankten Texten zu arbeiten, um der Aura der Begriffe Raum zu geben. Und können Sie sich vielleicht außerdem vorstellen, dass Frauen dieses Gedicht, seine Atmosphäre und den Bewunderer selbst genießen könnten? Noch mal: Die "Me Too"-Debatte ist absolut notwendig. Nötig ist aber auch eine differenzierte Unterscheidung zwischen realen sexuellen Übergriffen auf der Basis von machtvollen Positionen und den Spuren erotischen Alltags zwischen Mann und Frau...

Felicitas Rossmüller, Sauerlach

Worum es wirklich geht

Sehr übersichtlich zeichnet Hilmar Klute die Berliner Diskussion zum Gedicht "Avenidas" nach: hier der "Irrsinn" der AStA-Vorsitzenden und die "Buchstabensuppe" der Prorektorin, dort der "Poetik-Diskurs" des Dichters, der es "anfangs noch im Guten versucht". Angesichts der von Klute erneut aufgegriffenen Vorwürfe - "Eingriff in die Kunstfreiheit", "autoritäre Geste" - sollte man sich jedoch noch einmal klarmachen, worum es tatsächlich geht: Eine Hochschule entscheidet gemeinsam mit ihren Studentinnen und Studenten darüber, was an ihrer Hauswand steht. Warum fällt es vielen Menschen so schwer, das auszuhalten? Dass daraus überhaupt eine so aufsehenerregende Kontroverse entstanden ist, zeigt aus meiner Sicht, welche Diskursmacht die kulturpessimistische Furcht vor "politischer Korrektheit" inzwischen entwickelt hat. Wie rational diese Furcht ist, kann man hier praktischerweise einmal empirisch prüfen: War das Gedicht vor oder nach dem - übrigens höflich und sachlich formulierten - offenen Brief der Studierenden verbreiteter?

Christoph Huber, München

Noch ein weiter Weg

Die Entscheidung, das Gomringer-Gedicht von der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule zu entfernen, schien mir vor dem Lesen diverser, durchaus disparat ausfallender Berichte und Stellungnahmen als verkopfter und überdrehter Antisexismus für Hochbegabte, als Preis puristischer Intellektualität. Hiernach ist mir zwar die Ambiguität der kritisierten Verse klarer geworden, leider aber ebenso eine inwendige Verzagtheit. So schwant mir zunehmend, ganz abgesehen von dem berechtigten Diskurs über Freiheit und Zensur in Kunst und Kultur, nicht zuletzt im geschichtlichen Kontext, dass der Weg zur selbst-bewussten, tatsächlichen und alltäglichen Gleichberechtigung, Verständigung und Respektierung der Geschlechter auf allen Ebenen der Gesellschaft ein noch überaus weiter(er) ist.

Matthias Bartsch, Lichtenau-Herbram

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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