Gewalt gegen Frauen:Eine Tote täglich - in Deutschland

"Häusliche Gewalt nimmt zu" vom 25./ 26. November:

Laut der Statistik des Bundeskriminalamts steigt die Zahl der Opfer von Gewalt in Partnerschaften seit fünf Jahren. 2016 wurden in Deutschland 357 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet, also fast jeden Tag eine; circa 11 900 wurden lebensgefährlich verletzt. Diese Zahlen wundern mich nicht, denn in Deutschland wird das Thema von der Politik, der Gesellschaft und den Medien in einer Weise verharmlost und in den Bereich des Privaten abgeschoben, die beispiellos ist.

Das beginnt schon bei der sprachlichen Leugnung des Phänomens: Wenn ein Mann seine Frau, Partnerin oder Ex-Partnerin umbringt, wird das in deutschen Zeitungen in der Regel auf der "Vermischten Seite" neben allem möglichen Tratsch über Stars und Sternchen gebracht. Streng geschlechtsneutral ist dann von "häuslicher Gewalt", "Beziehungstaten" und "Familientragödien" die Rede - gerade so, als würden genauso viele Frauen über ihre Männer herfallen wie umgekehrt.

Eine derartige sprachliche Verschleierung und Abdrängung in einen Bereich, in dem das Opfer in den Augen vieler eine Mitverantwortung trägt, wäre anderswo nicht möglich. Wenn wir im Sommer im vermeintlich konservativen Spanien Urlaub machen, wo keineswegs mehr, sondern deutlich weniger Frauen von ihren Partnern und Ex-Partnern getötet werden - 2016 waren es insgesamt 53 - lesen wir in der angesehenen Tageszeitung El País innerhalb von drei Wochen mindestens einen ausführlichen Artikel über das Thema "Gender-Gewalt" - so die offizielle Sprachregelung. In den Nachrichtensendungen der spanischen öffentlich-rechtlichen Kanäle ist von "Macho-Terrorismus" die Rede. Die konservative Regierung unter Ministerpräsident Rajoy hat einen "Pakt gegen die Macho-Gewalt" auf den Weg gebracht, der 213 Maßnahmen gegen das Phänomen vorsieht. Und auch in Frankreich tut sich was: Präsident Emmanuel Macron hat einen umfassenden Aktionsplan vorgelegt. Und was passiert in Deutschland? Welche Partei hat das Thema in die Koalitionsvereinbarungen eingebracht? Wer hat für den Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November zu Kundgebungen aufgerufen? Welcher Politiker hat sich anlässlich dieses Gedenktages geäußert? Christiane Röhrbein, Darmstadt

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