Geschichte:Kriege entstehen nicht aus Versehen

Ein Leser übt Kritik an einem Gastbeitrag, in dem es um die Bedeutung des Zufalls beim Ausbruch von Konflikten ging. Zu Grunde lägen vielmehr bewusste Entscheidungen und Fehler in Politik und Militär.

"Kriege aus Versehen" (18. August)? Der Kollege Jörg Link präsentiert einen ziemlich undurchdachten und von wenig empirischer Kenntnis getragenen Ansatz zur Ursachenerklärung zwischenstaatlicher Kriege. Über der Ostsee sei es mehrmals zur Konfrontation zwischen Militärflugzeugen gekommen - als sei das Schicksal gewesen. Über Syrien stürzte ein russisches Kampfflugzeug ab, abgeschossen durch die türkische Luftabwehr - ja, aber nachdem mehrmals russische Kampfmaschinen unerlaubt türkischen Luftraum überflogen hatten. Im Ostchinesischen Meer verhängte China völkerrechtswidrig eine Flugverbotszone und baut auf Riffen Militärstationen, woraufhin die USA zu Luft und Wasser durch die Zonen passieren, um zu demonstrieren, dass sie das chinesische Vorgehen nicht akzeptieren. Was ist daran versehentlich? Solche Vorgänge gehören zur kontrollierten Risikostrategie.

Dann zieht der Autor das berühmte Beispiel des Auslösers des Ersten Weltkriegs heran, von dem etliche Historiker behauptet haben, keine Seite hätte den Krieg gewollt, alle seien hineingeschlittert. Nach der Ermordung des österreichischen Erzherzogs in Sarajevo stellte Österreich ein Ultimatum an Serbien. Als Kaiser Wilhelm II. die serbische Antwort gelesen hatte, stellte er fest, dass damit ein Kriegsgrund und somit der Bündnisfall für das Deutsche Reich entfallen sei. Er informiert die politische und militärische Führung, "verzichtet aber" - so zitiert Link - "auf die Durchsetzung seines Meinungswandels". Das ist kein Zufall, eher politische Unfähigkeit. Der Autor zieht den Schluss, dass der "böse Zufall" eine umso größere Chance habe, je mehr Spannungen vorher aufgebaut wurden - eine triviale physikalische Weltsicht.

Als nächstes Beispiel zieht Link die Kubakrise heran, den Fall des sowjetischen U-Bootes, das schon sein Nukleartorpedo startklar gemacht hatte. Weil es keinen Funkkontakt zur Führung gab, diskutierten die Offiziere und entschieden gegen den Abschuss. Zufall? Es war wohl eher so, dass sie die ungeheuren Folgen eines Abschusses bedachten.

Link schließt: "Das Typische an solchen Beinahe-Zwischenfällen ist, dass daraus jederzeit massive militärische Konfrontationen werden können. Der Zufall spielt dabei eine entscheidende Rolle, wie die Geschichte lehrt." Nein, das lehrt die Geschichte nun gerade nicht. Prof. Klaus Jürgen Gantzel, Hambu

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