Gerechte Sprache:Wir "gendern" nicht zum Spaß

Der Linguist Peter Eisenberg hat jüngst die Versuche, eine gendergerechte Sprache zu etablieren, kritisiert. Leserinnen sehen es anders und weisen darauf hin, dass es nicht um Grammatik gehe - sondern um Machtfragen.

International Women's Day March & Rally

Parade zum Internationalen Frauentag in New York.

(Foto: Polaris/Studio X)

"Das missbrauchte Geschlecht", 3. März:

Wir gendern nicht zum Spaß

Auch Feministinnen haben einen Sinn für gutes Deutsch. Wir sind durchaus in der Lage zu erkennen, dass Sternchen, Unterstriche, substantivisch gebrauchte Partizipien etc. pp. nicht besonders hübsch, nicht gut zu lesen, und weder grammatikalisch noch inhaltlich hundertprozentig richtig sind. Peter Eisenberg hat - grammatikalisch gesehen - natürlich recht, und er bereitet Extremfälle des "Genderns" unterhaltsam auf (die wirklich unangenehme Überschrift geht wohl eher auf die Rechnung der Redaktion?). Aber in dieser Länge ist der Text eher enervierend und wenig hilfreich. Wir "gendern" nicht zum Spaß, sondern weil das männliche (und weibliche) Generikum erwiesenerweise in der Praxis ausgrenzend ist. Und ausgrenzende Sprache ist auch schlechte Sprache. Hat Eisenberg Vorschläge zu einer Sprache, die alle Geschlechter wirksam einschließt? Ise Bosch, Hamburg

Mitgemeintsein ist zu wenig

Als Leserin nehme ich zur Kenntnis: Mit Peter Eisenberg durfte nun also einmal mehr ein männlicher Linguist eine gelehrte Polemik gegen den Gebrauch einer geschlechtersensiblen Sprache in Ihrer Zeitung veröffentlichen. Originell ist sein Sujet nicht, ebenso wenig die Terminierung des Artikels im Umfeld des internationalen Frauentages.

Eisenberg mag seine Suada zur Verteidigung des generischen Maskulinums (der Mann auch als sprachliches Maß aller Dinge) den Regeln seiner Wissenschaft folgend kunstreich ausgeführt haben. Der Unterschied zwischen ihm und mir ist: Ich bin eine Frau, und mir ist es wichtig, dass ich in der Sprache und somit im Bewusstsein meiner Mitmenschen vorkomme. Auch vorkomme, genauso wie jeder Mann. Schließlich stellen wir Frauen über 50 Prozent der Menschheit und haben, knapp 250 Jahre nach Verurteilung der letzten "Hexe" in Deutschland, den Anspruch, mehr als nur eine verschwiegene und öffentlich schweigende Mehrheit zu sein. Der Autor wird schwer nachweisen können, dass sich viele Menschen eine Frau vorstellen, wenn sie "der Erzieher", "der Teilnehmer" oder "der Arzt" lesen oder hören. Oder hat sich jemals schon ein Mann mitgemeint gefühlt, wenn von einer Ärztin die Rede war? Selbstverständlich ließe sich an dieser Stelle sofort linguistisch begründet intervenieren.

Aber hier geht's nicht um Grammatik, sondern um Macht. Mir als Frau macht es in der Rolle der Unsichtbaren etwas aus, auf Mitgemeintsein und Hintergrund festgeschrieben zu sein. Mir macht es zum Beispiel auch etwas aus, den ganzen Winter hindurch an jeder Bus- und Trambahnhaltestelle mehr oder weniger nackte Frauen auf Werbeplakaten in Spitzenunterwäsche vor Augen gehalten zu bekommen. Mir macht es etwas aus, dass in diesem Land knapp 20 Prozent Universitätsprofessorinnen im Verhältnis zu 80 Prozent Universitätsprofessoren tätig sind. Mir macht es etwas aus, dass Frauen bis zu 30 Prozent weniger als Männer verdienen. Mir macht es etwas aus, dass Frauen täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Arbeit für ihre Mitmenschen leisten als Männer. Mir macht es auch etwas aus, dass Männer von Pornografie und Prostitution profitieren - auf Kosten von Frauen.

Was ich vermitteln will: Wenn Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern erreicht ist, können wir über Grammatik sprechen. Solange es die genannten Fakten gibt, möchte ich Frausein und Mannsein in der Sprache zum Ausdruck gebracht sehen. Übrigens: State of the Art ist Gendersensibilität. Viele junge Männer nehmen heute selbstverständlich eine angemessene Perspektive ein. Sie wissen, dass sie als Männer dabei wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen haben. Die weitere Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein. Johanna Weiß, München

Expertinnen

Göttin sei Dank kennen wir mindestens drei Linguistinnen, die seit Jahren und Jahrzehnten - in einer auch für LaiInnen verständlichen Sprache - für eine gerechte Sprache votieren: Dr.in Luise Pusch, Prof.in Evelyn Ferstl und Frau Dr.in Friederike Braun. Hoffentlich erscheint demnächst ein ebenso langer Artikel für eine gerechte Sprache, damit die LeserInnen der SZ sich ein komplettes Bild machen können! Arbeitskreis Sprache des Kommunikationszentrums für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation (Kofra), München

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