Freihandel:Gegen die Diktatur der Mächtigen

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Der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel J. Felbermayr findet mit seiner Verteidigung des Freihandels bei SZ-Lesern kein Gehör. Sie sind überzeugt, dass die vielen Verträge in erster Linie die Interessen der Großkonzerne bedienen.

Freier Handel über alles: Die Staats- und Regierungschefs haben beim G-20-Gipfel in Hamburg klare Prioritäten gesetzt. (Foto: Reuters)

"Gute Idee, schlechtes Image" vom 22./ 23. Juli :

Profit first

Dass Gabriel J. Felbermayr ein Verfechter des sogenannten Frei-Handels ist, ist hinlänglich bekannt. Dass er dazu eine 200 Jahre alte Theorie bemüht, die mit Kostenvorteilen argumentiert, macht die Sache nicht besser. Und den Gegnern zu unterstellen, dass sie die "Dynamik des Marktes" nicht verstehen, ist absurd. Ich fürchte, wir verstehen sie nur zu gut: Ja, es geht um Gewinnmaximierung, allerdings in erster Linie für die 200 mächtigsten transkontinentalen Gesellschaften. Wie wäre es denn, wenn Handel vor allem Mittel zum Zweck wäre, alle Menschen ausreichend und gut zu versorgen? Und warum klappt das 200 Jahre nach David Ricardo so schlecht mit 850 Millionen Hungernden weltweit? Warum gibt es die Umverteilung von unten nach oben, von Arbeit zu Kapital? Ricardos Theorie kannte noch nicht die Asymmetrien, wie sie heute existieren. Wie "frei" dieser Handel ist, zeigt sich allein an den hochsubventionierten Agrarimporten aus Ländern des Nordens. Nur drei Argumente von vielen gegen Verträge wie TTIP, Ceta und Jefta, die in erster Linie die Interessen der Konzerne bedienen:

1. Der "Frei"Handel zerstört regionale Produktionsstrukturen, insbesondere in wirtschaftlich schwächeren Ländern (Hähnchen nach Afrika). Gegen die Agrarimporte der reichen Länder kann kein Bauer im Süden konkurrieren. Und die Patentrechte für Monsanto & Co. machen die Kleinbauern von den Konzernen abhängig.

2. Er erhöht die ökologischen Kosten der Produktion durch unsinnige Transporte (dennoch profitabel für Unternehmen, weil einen Großteil dieser Kosten die Gesellschaft bzw. die Natur trägt).

3. Die weitere Zentralisierung von ökonomischer Macht hebelt staatliche Steuerung und demokratische Entscheidungsstrukturen aus bzw. durch Einknicken der Staaten vor der Macht der transkontinentalen Konzerne wird deren Dominanz erst ermöglicht.

Fazit: "Frei"Handel nutzt vor allem Großkonzernen, die den intransparenten Aushandlungsprozess nutzen, um ihre Profitinteressen durchzusetzen. Gegen diese Diktatur der Mächtigen sollten wir regionale Kreisläufe, fairen Handel und demokratische Strukturen setzen. Susanne Polewsky, Berg

Am Rand des Kollapses

Der Vergleich von David Ricardos "Principles" mit Isaac Newtons "Principia" zeugt vom ungebrochen großen Ego der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft. Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu erkennen, dass der globale Freihandel vor allem den wirtschaftlich stärksten Ländern mit ihren multinationalen Konzernen nutzt. Der größte Verlierer ist aber unsere Umwelt, die durch hemmungslosen Raubbau und die ungebremste Mobilität von Gütern, Kapital, Dienstleistungen und Lebewesen an den Rand des Kollaps gebracht wird. Der desaströse Hamburger G-20-Gipfel hat die Priorität der Mächtigen glasklar aufgezeigt: Freihandel first - trotz Trump! Was scheren uns da Klimawandel, Kriege, Hungersnöte, Artensterben, Menschenrechte, soziale Ungleichheit? Nach uns die Sintflut! Klaus Schanz, Traunstein

Längst widerlegt

Neoliberal erzogene Volkswirte meinen zwar noch heute, dass sie die Zukunft wie ein Techniker mit mathematischen Formeln voraussagen können, müssen jedoch immer wieder einräumen, dass sie mit ihren Prognosen vollständig danebengelegen haben. Die damals im Interesse des britischen Kolonialreichs liegende Theorie des komparativen Vorteils, die besagt, dass der freie Handel für alle beteiligten Länder vorteilhaft sei, wurde empirisch inzwischen längst widerlegt, wird jedoch von interessierter Seite weiter aufrechterhalten. Denn sie bereitet den technologisch überlegenen Industrieländern bei der Ausbeutung von Billiglohn- und Rohstoffländern ein ruhiges Gewissen. Nicht der Freihandel schafft Wohlstand, sondern die technologische Entwicklung.

Wirtschaftshistoriker wissen: Alle Länder, die nach England zu Industrienationen wurden, haben sich viele Jahre lang mit Zöllen, Kontingenten und Kapitalverkehrskontrollen geschützt, bis sie ihre anfänglich schwache Industrie so weit entwickelt hatten, dass sie wettbewerbsfähig wurde. Auch China hätte nie zu seiner Exportstärke gefunden ohne jahrelangen Schutz seiner Märkte. Diesen Schutz verweigert man heute den industriell unterentwickelten Ländern und will ihnen Zölle als "Diskriminierung im internationalen Wirtschaftsverkehr" verbieten. Dazu fällt Felbermayr nur ein, die neoliberale Freihandelsdoktrin sei zwar gut, aber dem Laien "schlecht vermittelbar". Dr. Hans-Joachim Schemel, München

Ohne ethische Kriterien

Anhand dieser Verteidigung des Freihandels lässt sich sehr schön das Grundproblem vieler volkswirtschaftlicher, genauer gesagt, ökonomistischer Ratschläge erkennen: Sie leiten Werturteile aus scheinbar wertfreien Theorien ab, ohne die dafür unerlässlichen ethischen Beurteilungskriterien offenzulegen - möglicherweise sogar ohne sich dieser bewusst zu sein. Diese Urteile entspringen jedoch einem utilitaristischen Kalkül einfachster Sorte: Gut ist immer das, was unter dem Strich das Bruttoinlandsprodukt maximiert, wobei dieses auf der höchst problematischen Grundlage von Zahlungsbereitschaften ermittelt wird. Ob eine demokratische Willensbildung im Einzelfall zu dem Schluss kommt, dass die Zumutungen an die Verlierer von immer mehr Freihandel unverhältnismäßig sind, oder ob eine solche Entwicklung unter Verweis auf mögliche soziokulturelle Verwerfungen von einer Mehrheit abgelehnt wird, wird dabei als unerheblich abgetan. Prof. Dr. Johannes Hirata, Osnabrück

Die Lehre der Stärksten

Ist dem Autor nie eingefallen, dass es zu viel von einer guten Sache geben kann? Etwas Salz macht die Suppe schmackhaft - daraus die Folge zu ziehen, je mehr Salz, desto besser, führt aber zur bitteren Enttäuschung. So gibt es viele Erfahrungen und Überlegungen, die zeigen, dass die Vorteile des Freihandels nur für einen begrenzten Bereich gelten. Wir haben bereits sehr, sehr viel davon. Doch die Wirtschaft will mehr und hat aus dem Freihandel eine Art Religion gemacht, so dass jeder Zweifel an seiner absoluten Güte die Verteidiger auf den Plan ruft. Der Freihandel entspricht der einseitigen Sichtweise des starken Unternehmens, das dadurch vermag "zu investieren wann und wo sie will, zu produzieren was und wo sie will, zu kaufen was und wo sie will" (Percy Barnevic). Aber das koppelt die Wirtschaft von der Gesellschaft ab und macht uns am Ende abhängiger und ärmer - auch in den OECD-Ländern, siehe Südeuropa. Sie ist die bevorzugte Lehre der Stärksten, die von ihrer Stärke in der uneingeschränkten Konkurrenz voll Gebrauch machen können. Sie führt zu einer schrecklichen Welt, ohne Platz für die wenig Starken. Raul Claro, München

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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