Feministinnen:Gegen das Kopftuch, was sonst?

Im Artikel "Tuch oder Tussi" hat Meredith Haaf Feministinnen angegriffen, die Kopftücher verbieten wollen. Sie verrieten die Sache der Frauen und spielten den Rechtspopulisten in die Hände, schrieb sie. Dagegen regt sich Leserinnen-Protest.

Einschulung von Flüchtlingen

Sie haben keine Wahl: ein Mädchen aus einer traditionellen muslimischen Familie in Deutschland beim Schulbesuch.

(Foto: Wolfram Kastl/dpa)

"Tuch oder Tussi" vom 13. Juli und "Die Robe ist stärker" vom 8./9. Juli

Symbol des politischen Islams

Es ist schon ein starkes Stück, das Bundesverfassungsgericht zu bezichtigen, es habe "in einer sehr bauchgefühlig wirkenden Entscheidung ... eine Frau per Richterspruch daran gehindert, in ihrer selbst gewählten Erscheinungsweise ihre Lebenschancen zu verwirklichen", wie es Meredith Haaf im Artikel "Tuch oder Tussi" tut. In dem Verfahren ging es nicht darum, wie die Autorin angibt, dass die klagende muslimische Juristin "in ihrem Referendariat ihr Kopftuch anbehalten wollte", sondern sie wollte es auch als "Sitzungsvertreterin" tragen.

Die Autorin vermischt das Kopftuchthema mit Problemen der Prostitution und verliert sich in einer seltsamen Argumentation. Dabei streift sie den Kern der Kopftuchdebatte nur flüchtig, der etwa mit den Worten von Hamed Abdel-Samad wie folgt wiedergegeben werden kann: "Das Kopftuch entstammt einer diskriminierenden, von Männern dominierten Gesellschaft im 7. Jahrhundert. Die Frau sollte versteckt werden, um sie vor Angriffen zu schützen und damit sie die sexuellen Triebe des Mannes durch ihre Reize nicht provoziert." Feministinnen, die das Kopftuch verbieten wollen, verraten keineswegs die Sache der Frauen, sondern liefern einen Diskussionsbeitrag. Nicht die Frauen, die das Kopftuch meist zwangsweise tragen, sollen diskriminiert werden, sondern das Kopftuch, ist es doch zugleich ein Symbol des politischen Islams. Ein generelles Verbot ist vermutlich nicht der richtige Weg. Charlotte Müller-Holzapfel, Arnsberg

Ich brav - du nicht

Natürlich kann man darüber diskutieren, ob der Gesetzgeber gerufen werden soll, um das Kopftuch, das (kleinen) Mädchen angezogen wird, zu verbieten. Aber das Kopftuch ist eben nicht ein Kleidungsstück wie ein T-Shirt oder ein Bikinioberteil, sondern mittlerweile ein aggressives Distinktionsmerkmal, das ausdrückt:

Ich gläubig/du ungläubig

Ich brav und gottesfürchtig/du nicht brav

Ich richtig/du falsch

und in extremo:

Ich sauber/du schmutzig

Zudem ist mir bis heute unerklärlich, weshalb das Bedecken des Haupthaares der Frau einen emanzipatorischen Akt gegenüber dem Patriarchat darstellen soll. Ich kann es nur weiterhin als das Gegenteil erkennen. Möge der westliche (?) Säkularismus als starke Sonne über uns strahlen, auf dass wir glauben und vor allem auch nicht glauben können, ohne dies demonstrativ vor uns hertragen zu müssen und bewertet zu werden oder uns bewerten zu lassen. Dr. Eva Kohlbecker-Spies, Moos

Einseitig dargestellt

In ihrem Artikel "Tuch oder Tussi" stellt Meredith Haaf sehr treffend dar, wie schädlich mancher feministische Standpunkt sein kann. Als Professorin für Gender Studies und zweite Sprecherin der Fachgesellschaft Geschlechterstudien e.V. möchte ich dem hinzufügen, dass es den Feminismus nicht gibt und weder Emma noch Terre des Femmes für alle Feminist*innen sprechen. Im Gegenteil, es gibt ebenso viele feministische Wissenschaftler*innen, die sich sowohl für die Rechte von Sex-Arbeiter*innen als auch gegen das Verbot muslimischer Kopftücher einsetzen. Es ist daher trotz des sehr gut argumentierten Artikels bedauerlich, dass die Verfasserin nicht in der Lage war, die feministische Debatte abzubilden, sondern den Feminismus einseitig dargestellt hat (und das, obwohl sie selbst feministische Argumente vortrug). Das aber führt dazu, dass auch andere feministische Argumente noch schwerer Gehör finden, als es ohnehin schon der Fall ist, da der Begriff zunehmend zum Reizwort wird - sofern zunehmend überhaupt noch möglich ist. Sabine Grenz, Berlin

Zur Reform verpflichtet

Freilich ist es so, dass auch für Frauen das Recht auf Religionsfreiheit gilt. Allerdings ist es dem Feminismus und jeder Form menschenrechtlichen Engagements vorbehalten, auf Ungerechtigkeiten innerhalb bestehender Strukturen aufmerksam zu machen. So kräht kein Hahn oder Huhn danach, wenn frauenfeindliche Strukturen innerhalb des Christentums angeprangert werden. Nein, man begrüßt deren nötige Reformen gar und fördert sie allerseits - ungehindert der Tatsache, dass jede Religion reformverpflichtet ist in einer freiheitlichen und modernen Welt. Sobald jedoch dem praktizierenden Islam der Spiegel vorgehalten wird, wird gleich die Keule des Kulturrelativismus geschwungen, Feminismus dem Rechtspopulismus gleichgesetzt, als sei jemand, der Pädophilie ablehnt, auch gleich ein ranghoher AfD-Hetzer. Dass der Schauspielerin Maria Furtwängler presseübergreifend zugestimmt wird, wenn sie auf den geringen prozentualen Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Präsenz im Fernsehen aufmerksam macht, aber nicht eine nötige Veränderung innerhalb einer Religion Anklang findet, die mittlerweile zu Deutschland gehört und demnach unserem auf allen Ebenen notwendigen Voranschreiten in Sachen Gleichberechtigung verpflichtet ist, ist eine Farce und gehört genauso bekämpft oder zumindest frei diskutiert wie jedes andere gesellschaftliche Thema in einem demokratischen und auf Fortschritt bedachten Land. Dr. Sümeyra Kaya, Köln

Verhinderte Ausstrahlung

Das Eintreten für ein zeitgemäßes Erscheinungsbild von Frauen in die Nähe von Rechtspopulismus zu rücken ist empörend. Es muss endlich deutlich gesagt werden, dass Sinn und Zweck der islamischen Kleiderordnung die Verhinderung der geschlechtsspezifischen Ausstrahlung und damit eines Teils der Identität von Frauen ist. Das ist eindeutig verfassungsfeindlich und gegen die Menschenrechte. Junge Mädchen zum Zeitpunkt des Eintritts der ersten Periode zum Tragen eines Kopftuchs und unattraktiver Kleidung zu zwingen ist eine grobe Verletzung der Intimsphäre.

Ich habe als Kinderärztin 32 Jahre an einer großen Münchner Klinik gearbeitet und mehrmals ernst gemeinte Selbstmordversuche Jugendlicher aus diesem Grund erlebt. Nicht zuletzt: Wenn gut integrierte, gebildete Musliminnen hier Kopftuch tragen, dann ist das weniger Ausdruck tiefer Religiosität, sondern ein politisches Statement. Gegen das ich mich als Frau entschieden wehre. Dr. Gisela Krohne, Sauerlach

Absurd und zu einfach

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist richtig und notwendig. Leider greift es zu kurz. Generell sollten sämtliche religiösen Symbole - und Kopftuch und Verschleierung sind religiöse Symbole des Islam - in öffentlichen, staatlichen Einrichtungen weder getragen werden noch sonst irgendwie in Erscheinung treten. Das gilt auch für christliche, jüdische oder sonstige religiöse Symbole. Religion ist Privatsache. Und im privaten Leben kann jede/r tragen, was sie/er will. Es ist an der Zeit, den Laizismus auch bei uns einzuführen. Es ist absurd und zu einfach, die Befürworterinnen des Kopftuchverbotes in die rechte Ecke (AfD, Rechtskonservative etc.) zu stellen. Indem man den Kritikerinnen (Feministinnen) unterstellt, Argumente einer mehrheitlich geächteten Ideologie/Partei zu übernehmen, wird jede sachliche Auseinandersetzung blockiert.

Diese Art der "Totschlag-Argumentation" wird übrigens auch angewandt, wenn etwa Kritiker der israelischen Politik des Antisemitismus beschuldigt werden oder wenn Befürworterinnen des schwedischen Prostitutionsgesetzes des Erzkatholizismus verdächtigt werden. Gabriele Lauterbach-Otto, Überlingen

Falsche Zeichen

Ich kämpfe schon länger dafür, dass im Grundgesetz die "unbedingte Neutralität" des Staates verankert wird. Die jetzige "große Koalition", die bald der Vergangenheit angehört, hätte dazu die Möglichkeit gehabt. Dann wären vordergründige Kämpfe für das Kopftuch gar nicht mehr möglich. Wer das Tragen von Kopftüchern als "religiöses Gebot" empfindet, obwohl der Koran an keiner Stelle das explizit verlangt, kann sich kaum von den anderen rechtlichen Geboten des Islam freimachen. Eine streng gläubige Muslima als Richterin? Bitte nicht. Genauso fatal ist das von Lehrerinnen erkämpfte Kopftuch, torpediert es doch das Bemühen vieler Mütter, das Kopftuchtragen ihrer Mädchen gegen den Willen des Vaters zu verhindern. Selbst in Kindergärten sind Kopftücher das falsche Zeichen. Aber die CDU weiß, dass unbedingte Neutralität des Staates, im Grundgesetz ohne Wenn und Aber verankert, die katholische Kirche nicht akzeptieren würde. Dann müsste die nämlich ihre Bischöfe unter anderem selber finanzieren und die "Kirchensteuer" selber eintreiben. Dann doch lieber ein paar Kopftücher in staatlichen Einrichtungen. Dr. Ingrid Scherzer-Hartz, Buxtehude

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