Familiennachzug:Härte - gegen Frauen und Kinder

Zwei Pro- und Kontra-Kommentare auf der Meinungsseite zum Thema Familiennachzug haben Leserinnen dazu veranlasst, ihre rechtliche und soziologische Einschätzung der Lage darzustellen.

Familiennachzug: SZ-Zeichnung: Karin Mihm

SZ-Zeichnung: Karin Mihm

Zu den Pro- und Kontra-Kommentaren "Familien gehören zusammen" und "Der Integration hilft es kaum" auf der Meinungsseite vom 9. /10. Dezember:

Bernd Kastner und Tomas Avenarius argumentieren an der Praxis vorbei. Es gibt faktisch keinen als human zu bezeichnenden Nachzug nächster Familienangehöriger für die große Gruppe der syrischen Flüchtlinge: Solange das Anerkennungsverfahren läuft, darf grundsätzlich kein Antrag auf Nachzug gestellt werden. Ein syrischer Flüchtling, der beispielsweise im September 2015 deutschen Boden betrat, erhielt in der Regel seinen Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention im Mai 2016 und durfte einen Antrag stellen. Subsidiär schutzberechtigte Syrer in Deutschland dürfen momentan erst vom 16. März 2018 an Anträge stellen.

Die deutschen Botschaften in Libanon und in der Türkei vergeben Termine für die syrischen Antragsteller nur elektronisch über das Webportal iDATA des Auswärtigen Amtes, Wartezeit auf einen Termin in Beirut momentan: zehn bis zwölf Monate. Hat der Familienangehörige endlich einen Termin, muss er persönlich in der Botschaft vorsprechen, ausgestattet mit zahlreichen Unterlagen wie Pass, Heiratsurkunde, Geburtsurkunde, Verpflichtungserklärung etc., was für viele überstürzt Geflüchtete eine kaum zu überwindende Hürde ist. Da die Türkei für syrische Flüchtlinge aus Libanon mittlerweile ein Visum verlangt, ist der Weg zur deutschen Botschaft in der Türkei für die zahlreichen Flüchtlinge in Libanon noch schwerer geworden.

Das Visum kostet viel Geld. In Libanon werden syrische Flüchtlinge, die in der deutschen Botschaft vorsprechen wollen, drei Monate geduldet, danach brauchen sie für die Wartezeit einen libanesischen Bürgen, der bezahlt werden möchte.

"Zur Demokratie gehört auch, die Härten des Rechtsstaates zu akzeptieren", schreibt Avenarius. "Die Härten des Rechtsstaates" treffen vor allem Frauen und Kinder, die unter erbärmlichen Umständen in der Türkei und in Libanon leben und auf einen Termin in der Botschaft warten. Nur deswegen treffen die "Angehörigen nach und nach ein", wie Kastner schreibt, also im "Idealfall" nach 20 Monaten. Egal, wie das Gezerre der Parteien ausgehen wird - das Procedere ist weder human noch christlich.

Marianne Schulz-Rubach, Plau am See

Familie ist ein hohes Gut

Das Thema Familiennachzug für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, die in Deutschland subsidiären Schutz genießen, wird die Öffentlichkeit im Zug der Gespräche zwischen CDU/CSU und SPD weiter beschäftigen. Die Jamaika-Sondierungen brachten bereits Annäherungen der kontroversen Positionen, und der Bundesinnenminister hat jetzt ebenfalls Möglichkeiten der Weiterentwicklung aufgezeigt. Leider trägt der Artikel "Der Integration hilft es kaum" von Tomas Avenarius kaum zu einer Klärung der bisherigen Debatte bei. Denn anders als dargestellt, greift der Schutz von Ehe und Familie auch im Flüchtlings- und Asylrecht. Er ist nicht nur im Deutschen Grundgesetz, sondern auch im EU-Recht verankert. Für Flüchtlinge mit dem vollen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist die Genehmigung des Familiennachzugs völkerrechtlich verpflichtend. Für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak unter subsidiärem Schutz ist sie nach deutschem Recht aus einer Reihe von humanitären Gründen zu gewähren.

Die allgemeine Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ist eine zeitlich befristete Übergangsregelung vom 17. März 2016 bis zum 16. März 2018. Dann ist eine neue Entscheidung zu treffen. Der Bundestag hatte zuvor bestimmt, dass die subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich des Familiennachzugs den nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Flüchtlingen gleichzustellen seien. Das heißt, die Debatte geht jetzt um die weitere Ausgestaltung des geltenden Rechts in unserem Rechtsstaat. Abzuwägen ist: Welches Gewicht kann/muss die Zusammenführung von Familien für die Flüchtlinge bei uns haben? Was bedeutet sie uns als humanitäre Verpflichtung? Aber auch als gesellschaftliche Frage: Was gewinnen wir damit für das Zusammenleben? Zu wenig beachtet wird bisher: Was bedeutet die Stabilisierung dieser Familien für einen späteren Wiederaufbau in den Ländern, in die sie nach Beendigung der Gewalt zurückkehren werden? Die Erfahrungen in all solchen Situationen lehren uns: Es bedarf der Familien als Grundstruktur und Stütze für den Aufbau, der auch uns zugutekommen wird.

Die Zahlen, um die es geht, variieren. Es gibt einen breiten Konsensus, dass sie überschaubar sind. Sicher ist, dass sich eine solche Zusammenführung über mehrere Jahre hinziehen wird, sodass sich Bund, Länder und Kommunen auf jährlich geringe Zahlen einstellen können. Die Bedenken der Kommunen sind auf ihren Realitätsgehalt hin zu überprüfen. Dabei wird ein differenziertes Vorgehen wichtig sein, das pauschale Quoten vermeidet und der unterschiedlichen Situation in den Ländern und in den Kommunen Rechnung trägt.

Gudrun Diestel, München

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