Europa:Vereint und doch getrennt

Die Idee Europa hat schon bessere Zeiten gesehen als diese. Leser setzen sich hier unter anderem mit Martin Schulz' Vorschlag für Vereinigte Staaten von Europa auseinander, kommen aber auf keinen gemeinsamen Nenner.

A man holds an umbrella as he walks past the flag of the European Union outside the European Commission in Brussels, Belgium.

Die Idee Europa hat schon bessere Tage gesehen.

(Foto: Reuters)

"Bewegt euch" vom 11. Dezember, "SPD stimmt für Gespräche mit der Union" vom 8. Dezember und "Warten auf Berlin" vom 7. Dezember:

Soziale Gerechtigkeit

Europa wartet auf Berlin - in die Lücke stößt nun offensichtlich die Europäische Kommission und unterbreitet ihrerseits Vorschläge für die Reform der Währungsunion. Die Parteinahme von Alexander Mühlauer für die Juncker-Position gegen die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist allerdings in einem Punkt ärgerlich: der umstrittenen Frage des Euro-Budgets. Man kann ja der Meinung sein, dass es gewichtige Argumente dagegen gibt, aber dass der Vorschlag, wie Mühlauer schreibt, "schlicht unnötig" sei, zeugt von Unverständnis für die Motive dieses Vorschlags. Dahinter steckt das Ziel, die Euro-Zone wirtschaftspolitisch in die Lage zu versetzen, antizyklische Politik zu betreiben und neben Sparauflagen auch Investitionspolitik zu initiieren. Ein zentraler Streitpunkt in der Bewältigung der Euro-Krise ist ja die wirtschaftspolitische Voreingenommenheit der Verträge, die zwar Verstöße gegen die Währungsstabilität, aber nicht etwa soziale Unausgeglichenheit sanktionieren.

Das Euro-Budget wäre ein Schritt hin zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik für die Euro-Zone und damit einer Stärkung der politischen Union. Der verstärkte Regulierungsbedarf ist durch die Finanzkrise eben zuallererst innerhalb der Euro-Zone entstanden. Kommt es wirklich der europäischen Idee von Demokratie entgegen, in Zukunft immer mehr Geld an europäische Institutionen zu überweisen, aber im technokratischen Modus der Verteilung dieser Gelder zu verharren? Eine Berichterstattung zu Europa sollte Argumente für beide Ansätze abwägen. Prof. Sandra Seubert, Frankfurt/Main

Schulz setzt Zeichen

Stefan Ulrich hat recht: Der Aachener Karlspreis für Emmanuel Macron kam im richtigen Moment. Er ist nicht nur voll gerechtfertigt als Ehrung für den derzeit offensichtlich bedeutendsten Europäer. Dieser Preis überbrückt auch die deutsche Funkstille. Gut, dass wenigstens SPD-Chef Martin Schulz nun wieder versucht, Zeichen zu setzen pro Europa. Nachdem ein anderer großer Europäer, nämlich Burkhard Hirsch (FDP), vor Jahren schon den europäischen Bundesstaat als notwendige Konsequenz der europäischen Idee proklamiert hatte, ist es richtig, dass Schulz sie wiederbelebt. Denn die FDP hat sich ja leider davon verabschiedet. Mit Macron zusammen hat Deutschland die Chance, die europäische Idee neu zu beleben. Nur ein gemeinsames Europa wird die globalen ökonomischen Herausforderungen meistern können. Für die Deutschen ist dies schon deshalb von Bedeutung, weil es primär die Idee vom stetig wachsenden materiellen Wohnstand ist, die dieses Land eint. Weil aber diese Idee auf Dauer nicht tragen wird, braucht es umso mehr ein größeres Ziel: die friedliche Gemeinschaft aller Europäer zum gegenseitigen (nicht nur ökonomischen) Wohl. Das muss eine der zentralsten Aufgaben für die nächste Bundesregierung sein. Hier ist Macron unser wichtigster Partner. Horst Haffner, München

Für einen neuen EU-Vertrag

Der Vorschlag von SPD-Chef Martin Schulz, "bis 2025 die Vereinigten Staaten von Europa mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag" zu gründen, ist illusorisch. Begründung: 1. Es gibt zur Zeit noch kein europäisches Volk, das als Verfassungsgeber in Frage käme. 2. Es gibt noch keine europäische Öffentlichkeit, die einen Verfassungsvertrag diskutieren könnte; erinnert sei in diesem Zusammenhang an die etwa 20 verschiedenen Sprachen, die in Europa gesprochen werden. 3. Die Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten will derzeit keine Vereinigten Staaten von Europa. 4. Die historischen, kulturellen, ökonomischen und gewohnheitsmäßigen Unterschiede sind in Europa viel größer als diejenigen bei der Gründung der USA und der Schweiz als Bundesstaaten. 5. In mehreren EU-Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel in Deutschland, gibt es verfassungsmäßige Schranken, die auf dem Weg in die Vereinigten Staaten von Europa nur sehr schwer überwunden werden könnten.

Die Vereinigten Staaten von Europa wären ein neuer Nationalstaat. Dieser Nationalstaat müsste Qualitäten aufweisen, die denen der qualitativ besten EU-Mitgliedstaaten gleichkämen. Diesem Anspruch gerecht zu werden, dürfte angesichts der oben erwähnten Probleme extrem schwierig sein. Viel rationaler und erfolgversprechender wäre es, einen neuen EU-Vertrag anzustreben, der die gravierenden Mängel der Verfasstheit der gegenwärtigen EU mindestens teilweise beseitigen könnte.

Ein derartiger zukünftiger EU-Vertrag würde erneut von den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten verhandelt werden, sollte aber diesmal zuvor von den Zivilgesellschaften und Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten diskutiert und in Empfehlungen gekleidet werden. Schon allein dadurch wird die Neugestaltung des zukünftigen EU-Vertrages zu einer komplizierten, aber immer noch lösbaren Aufgabe. Dr. Klaus Weber, Feldafing

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