Europa:Erst die Werte, dann die Währung

Erst kürzlich hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Einführung des Euro für die gesamte EU gefordert. Leser wenden sich mehrheitlich dagegen. Nur einer warnt vor einem Rückfall in die Kleinstaaterei.

Europa: Wer gibt die Linien vor? Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Rede zur Lage der EU.

Wer gibt die Linien vor? Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Rede zur Lage der EU.

(Foto: Reuters)

"Erinnert euch, was ihr versprochen habt" vom 15. September und "Juncker will den Euro für die gesamte EU" vom 14. September:

Tricksereien beim Beitritt

In "Erinnert euch, was ihr versprochen habt" zeichnet Cerstin Gammelin ein düsteres Bild der Europa-Thematik im Wahlkampf und berichtet von aufgeschreckten Stammtischen und verunsicherten Bürgern. Anstatt jedoch einem weiten Teil der deutschen Bevölkerung Unaufgeklärtheit zu unterstellen, sollte die Autorin eher in Betracht ziehen, dass deren Sorgen vor dem Hintergrund von Trickserei und Täuschung bei vergangenen Euro-Beitritten vieler Staaten durchaus berechtigt sind. Führt man sich weiterhin die Passivität des Deutschen Bundestags zu Themen der Euro-Rettung vor Augen, macht dies wenig Hoffnung, dass die heutigen "strengen Aufnahmekriterien" zukünftig Wirkung entfalten werden. Ferner darf die Strahlkraft der jüngsten Entwicklungen insbesondere in Ungarn und Polen nicht außer Betracht gelassen werden. Sie zeigen mehr denn je die Notwendigkeit gemeinsamer europäischer Werte, die es konsequent zu verteidigen gilt. Hierauf muss das Hauptaugenmerk gelegt werden, nicht auf eine beschleunigte Ausweitung der Euro-Zone. Die Werte-Union darf der Währungs-Union nicht untergeordnet werden. Robert Schmidt, München

Juncker - nicht legitimiert

Seit 2010 halten Kommissionspräsidenten eine jährliche "Rede zur Lage der Union". Man kann bezweifeln, dass hierfür eine Berechtigung vorliegt. Eine derartige Rede ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. Dennoch wurde die Rede des Kommissionspräsidenten zur Lage der Union von der Europäischen Kommission und dem Europa-Parlament 2010 vereinbart. Hintergrund besagter Rede ist die "State of the Union Address" des amerikanischen Präsidenten auf Grund von Artikel 2 (3) der US-Verfassung. Die "State of the Union Address" wird von einem demokratisch gewählten US-Präsidenten gehalten, der dem amerikanischen Volk gegenüber verantwortlich ist.

Ganz anders verhält es sich mit der Rede zur Lage der EU. Weder ist der Kommissionspräsident demokratisch gewählt, noch ist er verantwortlich gegenüber einem europäischen Volk, das es nach wie vor nicht gibt (es gibt jedoch die Völker der einzelnen EU-Mitgliedstaaten). Auch die Europäische Kommission ist nicht einem Volk verantwortlich. Das Europa-Parlament ist zudem nur teilweise demokratisch legitimiert, weil deren Abgeordnete nach nationalen und nicht nach europäischen Gesichtspunkten gewählt werden. Mit anderen Worten, der Kommissionspräsident ist überhaupt nicht legitimiert für diese Rede. Dr. Klaus Weber, Feldafing

Geschönte Bilanzen

Sich an gegebene Versprechen zu erinnern, ist zweifellos wünschenswert - im Zusammenhang mit dem Euro denke ich allerdings eher an die Versprechen bei Einführung des Euro - so zum Beispiel das Versprechen, dass kein Land für die Schulden des anderen haftet, auf Wahlplakaten der CDU verkündet, sogar vertraglich festgezurrt. Doch genau das Gegenteil ist eingetreten. Kann man dann Ländern wie Ungarn oder Tschechien ihre Zurückhaltung verdenken? Und wer wird sich an das Versprechen erinnern, nur leistungsfähige Länder würden aufgenommen, und sich nicht durch geschönte Bilanzen täuschen lassen? Man sieht nur, was man sehen will. Prof. Christoph Degenhart, Leipzig

Gegen die Kleinstaaterei

Dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bläst mit seinem Vorschlag, die Gemeinschaftswährung auszuweiten, Gegenwind ins Gesicht. Das ist auf den ersten Blick verständlich. Der Euro steht auf noch sehr jungen Füßen. Angesichts der großen wirtschaftlichen Unterschiede in den teilnehmenden Staaten bleiben Verwerfungen nicht aus.

Doch die negativen Seiten des Euro werden oft stärker wahrgenommen als die scheinbar nur kleinen Annehmlichkeiten, zum Beispiel wenn man im Urlaub keine Wechselgebühren mehr einplanen muss. Europa schadet sich selber, wenn es einen Schritt zurück in die Kleinstaaterei macht. Mit etwas gutem Willen lässt sich aus den Fehlern lernen, die bei der Einführung des Euro sicherlich gemacht worden sind. Das mag schwierig sein, könnte aber die bessere Lösung für Europa sein, auch um die Abhängigkeit vom Dollar etwas zu reduzieren. Dr. Paul Wollny, Luxemburg

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