Digitale Bildung:Technik bildet nicht

Die Welt wird digital, doch Deutschlands Schüler und Lehrer merken davon nichts. Es gibt weder genug Computer und noch ein Konzept. Alles halb so wild. Um die Persönlichkeit und den Verstand zu bilden, seien Handys nicht nötig.

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SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte

"Berliner Luftschloss" vom 9. August, "Raus aus der Kreidezeit" vom 29./30. Juli sowie weitere Artikel zum Thema:

Das neue Ziel ist das alte

Helmut Martin-Jung plädiert in seinem Samstagsessay dafür, ein digitales Bildungskonzept zu entwickeln. Diese Erwartung ist etwa so unrealistisch, wie wenn die Pädagogik ein parteipolitisches Wahlprogramm formulieren müsste. Spätestens seit Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern wissen nicht nur schulpädagogische Insider, dass von der Politik vor allem eines nicht erwartet werden kann: erziehungswissenschaftliche oder gar didaktische Konzepte, die sich an wissenschaftlich fundierten Sachkriterien orientieren. Zudem: Was ist eigentlich digitale Bildung? Kann man sie wirklich auf derselben Ebene ansiedeln wie humane Bildung? Gehört das Digitale mittlerweile schon so essenziell zum Menschen wie etwa die religiöse, die sprachliche oder die mathematische Bildung? Gesellschaft und Politik unterliegen hier einem fundamentalen Irrtum, was die Bedeutung einer neuen Kulturtechnik für den Menschen betrifft. Selbst der die Neuzeit mitprägende Buchdruck hat das Wesen von Bildung im Kern nicht verändert - von Radio, Fernsehen und Computer als vermeintlich neuen Medien ganz zu schweigen. In der Schule geht es, hoffentlich noch immer, lediglich um eines: wertvolle Inhalte zu verstehen und sich dadurch die Fähigkeiten anzueignen, sich selbst und die Welt besser verstehen zu können. Es muss schlicht und ergreifend gelehrt und gelernt werden - ob mit Kreide oder Smartphone als technischem Hilfsmittel, spielt wirklich eine völlig nachgeordnete Rolle. Bildungspolitik und Wirtschaft gehen mit ihrem inflationären Gerede von der digitalen Bildung erneut eine unheilige Allianz ein: Anstatt die besten Rahmenbedingungen für Persönlichkeitsbildung, Kompetenz- und Wissenserwerb sowie Werteerziehung zu schaffen, wird ein neues Schlagwort zu Tode geritten, bis es auch die engagiertesten Pädagogen nicht mehr hören können. Anstelle didaktischer Bildungskonzepte brauchen wir von der Gesellschaft eine tragfähige Antwort auf die Frage, wie Schule den menschlichen Herausforderungen gerecht werden kann, denen unsere Kinder und Jugendlichen heute gegenüberstehen: religiöse Heimatlosigkeit, Wandel der Familie, Bedrohung der Schöpfung. Angesichts dieser Mammutaufgaben ist die Digitalisierung eine relativ belanglose Erscheinung des Zeitgeistes, dem sich auch die Süddeutsche Zeitung nicht unterwerfen sollte. Thomas Gottfried, Freising

Nichts als Geldverschwendung

Ziel des angekündigten Digitalpakts von Frau Wanka soll es sein, Deutschlands Schulen "fit für die digitale Welt" zu machen. Die Schulen befänden sich nach Studienlage noch in der "Kreidezeit", obwohl Smartphones und Computer längst den Alltag von Kindern bestimmen. Gott sei Dank. Denn der Nutzen der Digitaltechnik im Unterricht wurde noch von keiner Studie belegt. Im Gegenteil, angefangen von der OECD- über die Pisa-Studie 2015 bis zu John Hatties Metastudie "Visible Learning". Die Realität zeigt, dass Technologie in den Schulen mehr schadet als nützt. In den USA und in Australien werden die Laptopklassen wieder aufgelöst. John Vallance, Direktor einer der teuersten Privatschulen Australiens, sammelte die Laptops vergangenes Jahr wieder ein. Seiner Auffassung nach seien die 2,4 Milliarden Dollar, die der Staat für die Bestückung von Schulen mit den digitalen Geräten ausgegeben hat, eine "skandalöse Geldverschwendung". Die Schüler hätten alles Mögliche mit den Laptops gemacht, nur nicht gelernt. Letztlich wird immer das Gleiche behauptet: Digitaltechnik bringe mehr Spaß, mehr Kommunikation und bessere Lernerfolge. Der Spaß hat sich schnell erschöpft, wenn die Schüler in jeder Unterrichtsstunde am Display wischen und tippen. Unterricht wird ja erst dadurch interessant, dass nicht alle Lehrer den gleichen Unterricht machen und die gleichen Medien einsetzen. Laut Digitalpakt sollen aber alle Lehrkräfte für alle Schulen und alle Fächer Digitaltechnik einsetzen müssen. Dabei wird übersehen: Lehrer müssen einfach unterrichten wollen. Dafür brauchen sie Fachwissen und eine für die Lehrpersönlichkeit authentische Methodik, nicht Zwangsdigitalisierung und Zwangsstandardisierung. Unterricht wird fachlich, didaktisch, altersangemessen vorbereitet und gehalten. Medientechnik kommt ganz zum Schluss. Dr. Bernhard Schuch, Weiden

Bis der Overhead stirbt

Es ist zum Erbarmen. Meine Tochter schleppt jeden Tag einen 15 Kilo schweren Rucksack in die Schule. Dabei könnte es leichter sein. Die Eltern sprechen sich ab, die Kinder bekommen alle ein Tablet und die Schulbücher werden draufgeladen. Fertig. Das geht aber nicht. Selbstverständlich sind eigene Tablets in der Schule verboten. Na ja. Dann laden wir uns halt die Schulbücher von den Verlagen runter, dann könnte Töchterchen die Bücher in der Schule lassen und zumindest zu Hause mit dem Tablet arbeiten. Auch gut. Geht aber auch nicht. Der Verlag teilte uns mit, man könne die Bücher nicht mehr wie bisher an die Buchkäufer kostenlos abgeben. Wegen einer Regelung des Finanzministeriums. Man könne sie aber gerne doppelt kaufen. Deutschland ist in sich starr und unflexibel. Hier modernes Lernmaterial zu verwenden, kann man vergessen. Dabei wäre so viel möglich: Schulbücher, die belebt sind, in denen historische Reden als Film oder Audiodokument hinterlegt sind. Aufgabenbücher, welche die Schwierigkeitsgrade von Matheaufgaben graduell und nach dem Verständnis des Schülers steigern. Belebte Grafiken, die statistische Zusammenhänge klarmachen. Aber die Pädagogik nutzt es nicht. Die Politik hat keine Ahnung. Die Schulbuchverlage versagen. Die Schulen sind nicht interessiert. Ein Administrator, um ein Tablet zu konfigurieren? Geht's noch? Lasst euch von euren Schülern erklären, wie man eine App oder ein Buch installiert. Deutsche Schulen werden wohl erst Beamer einführen, wenn es keine Overheadprojektoren mehr zu kaufen gibt. Michael Kärcher Neustadt an der Weinstraße

Herzloser Hype

Computer, Smartphones und das Internet sind die ideale Infrastruktur einer neoliberalen, globalen Herrschaft. Diese Infrastruktur ermöglicht Überwachung, Kontrolle und Steuerung der Bürger, unterläuft demokratische Prozesse und staatliche Regulationen. Die Lobbygruppen, die Bildungsministerin Wanka beraten, wollen selbstverständlich auch Geräte verkaufen und dem Bildungswesen vorschreiben, die neuen Menschen der Industrie 4.0 zu formen. Bisher haben alle Forschungen zur schulischen Entwicklung von Kindern ergeben, dass diese besser und nachhaltiger lernen ohne die Segnungen der digitalen Medien. Nötig sind gute und verständige Lehrer und nicht: "jedem Schüler sein Computer". Doch die deutsche Bildungspolitik kümmert sich nicht um solche Beispiele - hier bestimmen die Größen der IT-Wirtschaft und der Bertelsmann-Konzern, was die Politik denken darf. Brauchen wir wirklich in allen Bereichen fundierte "digitale Bildung"? Sind nicht im sozialen Bereich, in der Pflege, im Gesundheitsbereich, Herzlichkeit und der gesunde Menschenverstand wichtiger? Sind nicht im Handwerk ein gutes Vorstellungsvermögen und eben handwerkliche Fertigkeiten wichtiger? Ist es wirklich so, dass in der großen Mehrheit der Berufe die Arbeit am Computer über den Erfolg im Beruf entscheidet? Der Hype der Digitalisierung, von "Industrie 4.0" ist wohl nur der Tatsache geschuldet, dass es in keinem anderen Wirtschaftsbereich so gute oder überhaupt noch Wachstumschancen gibt. Hans Schmidt, Wolfratshausen

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