Bundestagswahl 2017:Hoffentlich heilsamer Schock

Die rechtsradikale AfD zieht in den Bundestag ein, Union und SPD verlieren deutlich. Manche Leser sind über dieses Ergebnis entsetzt. Andere hingegen sahen es kommen und hoffen nun sehr, dass es die etablierten Parteien wachrüttelt.

Bundestagswahl 2017: Bitteres Ergebnis: Angela Merkel und Martin Schulz vor der Berliner Runde.

Bitteres Ergebnis: Angela Merkel und Martin Schulz vor der Berliner Runde.

(Foto: AFP)

"Merkel bleibt nur die Jamaika-Koalition", "Merkels Endspiel" und "Heulen ändert nichts" vom 25.

September sowie weitere Artikel zur Bundestagswahl 2017: Wenn Politiker entschlossen Themen aussparen, die politischen Gegnern Zustimmung verschaffen könnten, schläft die demokratische Auseinandersetzung ein. Wenn enttäuschte Bürger mit Zukunftsangst nicht angehört werden und Perspektiven aufgezeigt bekommen, sondern missachtet oder gar verunglimpft werden, kann man nicht auf mündige Bürger bauen und Loyalität zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung erwarten. Vielleicht ist ein heilsamer Schock nötig, damit eine Streitkultur wiederbelebt wird und das Establishment wieder das Wohl des Volkes berücksichtigt. Rolf Sintram, Lübeck

Schwerste Bewährungsprobe

Die Tatsache, dass mit der rechtsradikalen, rassistischen sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) erstmals seit 1949 eine Vereinigung alter und neuer Nazis als drittstärkste Kraft in den Bundestag einzieht, war zwar nicht überraschend, entsetzt mich jedoch trotzdem zutiefst. An dem Wahlergebnis wird deutlich, dass die radikale Rechte jetzt im Bundestag angekommen ist und dieses frei gewählte deutsche Parlament ab sofort als Forum für ihre Hetze gegen Demokratie, Freiheit und Minderheiten nutzen wird.

Es ist eine Zäsur im Nachkriegsparlamentarismus mit allen Konsequenzen für die politische Kultur hierzulande. Viele Staaten in der Welt blicken mit Besorgnis nach Berlin und befürchten, dass im Volk der Täter bald auch wieder selbstverständliche demokratische und soziale Errungenschaften unter die Räder kommen könnten. Vieles ähnelt in diesem deutschen Herbst in der Tat der Endzeit der Weimarer Republik. Wenn Alexander Gauland etwa von einer "Jagd" auf den politischen Gegner spricht, dann kann man sich leicht vorstellen, wie die politischen Sitten in den kommenden Jahren verrohen werden. Notwendige Tabus werden im öffentlichen Diskurs gebrochen werden und einer braunen Unkultur weichen.

In dieser Situation ist es genau richtig, dass die SPD die Zusammenarbeit in der großen Koalition für beendet erklärt und sich nicht zuletzt aus staatspolitischen Gründen für eine Erneuerung in der glaubwürdigen Rolle einer demokratischen Opposition entschieden hat. Dieses Land mit seinem Parlament darf nie mehr zum Tummelplatz für Menschenverächter werden und muss deshalb die Demokratie mit Engagement verteidigen. Beunruhigen müssen die insbesondere aus der CSU erhobenen Forderungen, die Union müsse die offene Flanke nach rechts schließen. Wie lange wird es noch dauern, bis Teile der Union nichts dabei finden werden, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Die zweite deutsche Republik steht vor ihrer schwersten Bewährungsprobe. Manfred Kirsch, Neuwied

Neuer Sündenbock gesucht

Bald vorbei

Deutschland stellt sich nun die Frage: wie umgehen mit der AfD? Wir in Österreich haben seit 30 Jahren Rechtspopulisten - die FPÖ - im Lande, und im Jahr 2002 eines gesehen: Sobald sie in Regierungsverantwortung sind, "sprengen sich die Rechten selbst in die Luft". Also rein mit der AfD in die Regierung, dann ist der rechte Spuk (zumindest für ein Jahrzehnt) wieder vorbei.

Hans Ebner, Seewalchen/Österreich

Ich bin mir nicht sicher, ob die Botschaft bei Angela Merkel und Horst Seehofer angekommen ist und sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Die Gefahr für die Demokratie kommt nicht von rechts oder links, wie der bayerische Ministerpräsident meint, sondern von den saturierten Parteien der "Bürgerlichen Mitte", die "ihr" Volk zunehmend aus den Augen verlieren und dessen Sorgen und Nöte nicht mehr wahrnehmen. Die Probleme bewusst ausklammern, sich in billigem Populismus verlieren oder mit selbstzufriedenem Aussitzen und bräsigem Durchwurschteln das Land eher verwalten als regieren.

SPD-Chef Martin Schulz hat sich im Endspurt zwar redlich bemüht, aber wie glaubhaft ist denn eine Partei, der nach Schröder und acht Jahren mit Angela Merkel auffällt, dass es mit der sozialen Gerechtigkeit im Land nicht weit her ist und die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet? Immerhin hat der Parteichef einer weiteren großen Koalition nun eine Absage erteilt. Wie ein Jamaika-Bündnis mit so gegensätzlichen Partnern funktionieren soll, ohne dass die Parteien ihre Positionen bis zur Unkenntlichkeit aufweichen, ist mir momentan noch schleierhaft. Und die Grünen sind ohnehin gut beraten, sich von der CDU und ihrem bayerischen Filialisten nicht über den Tisch ziehen zu lassen. Denn was Merkel schon bisher in erster Linie benötigte - die FDP kann ein Lied davon singen - war kein Koalitionär, sondern ein Sündenbock, den man stellvertretend für ihre Fehler, Versäumnisse und Unterlassungen nach vier Jahre abwatscht und in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Manfred Jagoda, Ismaning

Der Staat als Beute

Heribert Prantl zitiert in "Heulen ändert nichts" Richard von Weizsäcker. Ich vermisse allerdings die Vision und die Feststellung des von mir sehr verehrten ehemaligen Bundespräsidenten: "Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht." Die Richtigkeit seiner Aussage zeigt die Bundestagswahl 2017. Der Ausgang dieses Wahldebakels basiert auf der Entfremdung zwischen den Bürgern und der Parteien. Diese Entfremdung wächst im gleichen Tempo wie der umfassende Anspruch der Gesellschaft und der Unfähigkeit der Parteien, die Probleme der Bürger zu lösen. Die Parteien können damit die demokratische Funktion des Volkes einschränken. Der Weg zur Entmündigung ist nicht sehr weit. Noch eine kleine Anmerkung sei mir erlaubt: Der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder äußerte bereits vor Monaten in der Sendung "Bericht aus Berlin": Eine weitere GroKo wird es nicht mehr geben. Diese Aussage beherzigte die SPD. Brigitte Simon, München

Bitte wieder mehr streiten

Über den Auftritt von Martin Schulz in der sogenannten Elefantenrunde kann man sich streiten, aber ein paar Gewissheiten hat er dargelegt: Wenn "Jamaika" kommt, wird auf sandigem Grund regiert - es sind ja faktisch vier Parteien dabei. Und die CSU wird nach ihrem Wahlergebnis mit Sicherheit sehr konservative Positionen beinhart verhandeln, zumal 2018 in Bayern gewählt wird. CDU, FDP und die Grünen könnten sicher irgendwie zueinanderfinden. Aber mit der CSU wird es schwierig werden. Vor diesem Hintergrund sind Neuwahlen gar nicht so unwahrscheinlich.

Ich fände es übrigens gut, wenn die SPD tatsächlich in die Opposition ginge - es muss im Parlament wieder mehr konstruktiv gestritten werden. Die letzte Legislaturperiode hatte nicht mehr viel mit parlamentarischer Auseinandersetzung zu tun. Dann hätten wir auch die AfD nicht im Bundestag.Ralf Protzel, Bratislava/Slowakei

Von Selbstreflexion keine Spur

Oberkasperl

Nach 50 Jahren Kreuzchen bei der CSU ist mir diesmal die Hand vertrocknet. Die Personalpolitik des großen Vorsitzenden mit Alexander Dobrindt, der "lächelnden Null", dem Tierschinder Christian Schmidt als Landwirtschaftsminister und sich selbst als Oberkasperl mit Karl Theodor zu Guttenberg und Markus Söder als Krokodil und Teufel hat doch bei jedem Normaldenkenden ein ungläubiges Staunen hinterlassen. Wir haben Seriöseres verdient.

Dieter Weis, Oberhaching

Martin Schulz' Aussagen und sein katastrophaler Auftritt nach der Wahl reihen sich nahtlos an die Auftritte eines betrunken schwadronierenden Franz Josef Strauß oder eines pöbelnden Gerhard Schröder nach deren Wahlniederlagen. Schulz, als (Spitzen?)-Kandidat der SPD, hat es in wenigen Monaten geschafft, seine Zustimmungswerte von mehr als 30 Prozent auf knappe 20 Prozent zu ruinieren. Aber von Selbstreflexion keine Spur. In der "Elefantenrunde" hatte er nichts Besseres zu tun, als Angela Merkel für seine Niederlage verantwortlich zu machen und eine mögliche Jamaika-Koalition bereits im Vorfeld süffisant als "Regierung der Lähmung" zu verunglimpfen.

Mit der zusätzlichen Aussage, die große Koalition sei abgewählt worden, hat er dem AfD-Mann in der Runde einen inneren Reichsparteitag bereitet, der sich feixend daran erbaute, wie Schulz von den anderen Teilnehmern, insbesondere von Christian Lindner und Katrin Göring-Eckardt wiederholt daran erinnert werden musste, der Wahlkampf sei nun vorbei, der nächste habe noch nicht begonnen und es gehe darum, den Wählerauftrag, eine stabile Regierung zu bilden, ernst zu nehmen.

Schulz tritt mit seiner gekränkten Verweigerungshaltung alle sozialdemokratischen Erfolge in der noch amtierenden Regierung und die hervorragende Arbeit der SPD-Minister und -Ministerinnen mit Füßen. Es grenzt an Wahlbetrug an all den SPD-Wählerinnen und -Wählern, die im Vertrauen auf die Fortsetzung einer Regierung, die Deutschland in den letzten Jahren innen- und außenpolitisch zu einem Garanten für eine freiheitlich-pluralistische Gesellschaft gemacht hat, der SPD ihre Stimme gegeben haben. Doch Schulz möchte führen, wenn schon nicht als Kanzler, dann doch wenigstens die Opposition. Vielleicht setzt er in seinen unverantwortlichen Machtspielen sogar auf Neuwahlen. Dann prophezeie ich: SPD 18, AfD 17 Prozent. Dr. Thomas Lukowski, München

Es wurde zu wenig hinterfragt

"Wut und Würde" vom 22. September: Heribert Prantl ist zuzustimmen: "Man hat der AfD zu viel Raum gegeben und gelassen." Doch wer ist "man"? Mit Sicherheit sind es die Moderatorinnen und Moderatoren, die Redakteurinnen und Redakteure der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Ob in Talkshows, in den Nachrichten oder Interviews, die AfD-Leute (vor allem Alexander Gauland und Alice Weidel) konnten endlos ihren Stuss absondern. Hinterfragt wurde so gut wie nie. Es ist bekannt, dass die AfD-Leute auf Provokation aus sind. Dennoch sind die Journalisten in der Regel darauf reingefallen, indem sie entsprechende Parolen von Gauland oder Weidel immer wieder hervorholten und sich daran festbissen, statt die Kandidaten cool und direkt zur Sache zu befragen, sie bloßzustellen und gegebenenfalls ihnen das Wort abzuschneiden. Günter Brozio, Bonn

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: