Bürgerversicherung:Solidarität ohne Bemessungs­grenze

Die SPD hat vor Sondierungen mit der Union die Umstellung des Sozialsystems hin zu einer Bürgerversicherung gefordert. Viele Leser befürworten sie ebenfalls - aus Gerechtigkeits­gründen. Andere befürchten die Zerschlagung des deutschen Gesundheitssystems.

Bürgerversicherung: Lang gehegter Wunsch: Jusos fordern die Bürgerversicherung.

Lang gehegter Wunsch: Jusos fordern die Bürgerversicherung.

(Foto: imago)

"Vorsicht, Falle" vom 5. Dezember und "Teure Versuchungen" vom 28. November:

Besserverdienende unter Schutz

Mit den zwei Klassen im Gesundheitswesen habe ich keinerlei Probleme. In der kapitalistischen Welt, in der wir leben, gibt es auch bei der Eisenbahn, im Flugzeug, bei der Wahl des Autos und der Wohnung und vielen anderen Dingen mehrere Klassen. Wenn jemand eine besondere Leistung haben will, soll er sie gegen einen Aufpreis auch bekommen. Auch wenn man die private Krankenversicherung abschaffen würde, hätten sehr reiche Menschen immer noch die Möglichkeit, einen Arzt selbst zu bezahlen oder in eine teure private Klinik zu gehen und damit eine Vorzugsbehandlung zu bekommen.

Es ist etwas viel Wichtigeres, obwohl darüber kaum gesprochen wird, was mich für eine Bürgerversicherung stimmen lässt: Die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Solidarversicherung. Egal, wie viel jemand in diese einzahlt, er bekommt die gleiche Leistung. Die Gutverdienenden zahlen mit für Schlechterverdienende oder Arbeitslose, ebenso wie für bestimmte Angehörige und Kinder, die kostenfrei mitversichert sind. Diese Solidarität gilt heute nur bis zu einer bestimmten Verdienstgrenze: Wer mehr verdient, muss nicht mehr solidarisch sein, auch wenn er/sie bis dahin von dieser Solidarversicherung profitiert hat. Dies betrachte ich als eine große Ungerechtigkeit: Wieso können sich ausgerechnet die am besten Verdienenden dieser Solidarität entziehen?

Ebenso ist es mir unverständlich, wieso im Allgemeinen nur der Arbeitsverdienst für die Berechnung des Krankenkassenbeitrags herangezogen wird. Warum werden nicht auch Einnahmen aus anderen Quellen wie Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitaleinkünften dazugerechnet? Bei einigen Versicherungsnehmern ist dies schon heute der Fall, warum nicht bei allen? Dies würde den Beitragssatz weiter drücken. Leider ist es so, dass ausgerechnet diejenigen, welche dies ändern könnten, vom jetzigen System profitieren.

Hans Frohning, Türkheim

Das Niveau würde sinken

Der Versuch, eine sogenannte Bürgerversicherung einzuführen, das heißt also, eine staatliche Einheitsversicherung, ist eigentlich nur noch von völligem mangelnden Verständnis des Gesundheitssystems an sich gekennzeichnet. Man möge Länder betrachten wie beispielsweise Großbritannien, wo eine derartige Versicherung existiert, allerdings als National Health Service und hierbei dann noch zu Lasten der Steuern. Auch in anderen Bereichen, wo eine derartige Zwangsversicherung stattfindet, wird damit nur erreicht, dass das Niveau der Gesundheitsversorgung drastisch absinkt und in der Tat eine Zweiklassenmedizin erst recht zementiert, wenn nicht sogar erst erschaffen wird, da diejenigen, die es sich leisten können, sehr wohl sich Zusatzversicherungen besorgen werden, um auf dem Level versorgt zu werden, den wir heute erfreulicherweise für alle in Deutschland erreicht haben.

Hinzu kommt, dass wieder völlig übersehen wird, dass die Privatversicherten das gesamte Gesundheitssystem mitfinanzieren und zwar in einem Ausmaß, dass ohne diese über Privatversicherungen getragenen Beiträge das System in der jetzigen Form sofort zusammenbrechen müsste. All dies ist in der Vergangenheit bereits x-mal dargelegt worden, aber es scheint nichts zu helfen, hier rationell zu argumentieren gegenüber selbsternannten Gesundheitsexperten wie Karl Lauterbach von der SPD. Es bleibt abzuwarten, ob die Union in dieser Beziehung hart bleibt, abgesehen davon, dass ein Nachgeben hier einen weiteren beträchtlichen Wählerverlust für die Unionsparteien darstellen würde und zumindest Horst Seehofer dies sicherlich in vollem Umfang bewusst ist.

Prof. Wolfgang Pförringer, München

Abgeschoben

Im Großen und Ganzen stimme ich mit Nikolaus Piper überein, aber dass das Lebensende des letzten Privatversicherten abgewartet werden müsste, glaube ich nicht. Die Versicherungen würden in Ermangelung jungen gesunden Nachwuchses bald versuchen, die alten, teuren Mitglieder mit allen möglichen Tricks in die Bürgerversicherung abzuschieben.

Michael Schliwa, Buchloe

Weniger Beitrag, höhere Leistung

Als langjährig gesetzlich und seit zwölf Jahren privat Krankenversicherter muss ich eindeutig von einer Zweiklassenmedizin sprechen. Es sind nicht nur die bekannten Vorteile beim Zahnersatz oder im Krankenhaus. Selbst bei gefragten Spezialisten bekomme ich quasi von heute auf morgen Termine und werde dazu auch noch spürbar freundlicher und besser behandelt als meine gesetzlich versicherte Frau, die dies bei denselben Ärzten völlig anders erlebt. Viele erfahrene Mediziner behandeln ausschließlich Privatpatienten. Für diese besseren Leistungen zahle ich auch noch weniger, und das über Jahrzehnte. Nikolaus Piper spricht von einem passabel funktionierenden Gesundheitssystem und blendet dabei gravierende Probleme wie die Unterversorgung auf dem Land trotz stark gestiegener Ärztezahlen oder der extremen Unterbesetzung beim Pflegepersonal sowie die hygienischen Bedingungen in Kliniken (Stichwort Krankenhauskeime) völlig aus. Bei den Gesundheitsausgaben ist Deutschland europäischer Spitzenreiter, ohne dabei das beste System zu haben. Schon daher muss das Gesundheitswesen grundlegend reformiert werden. Dazu gehört auch die Abschaffung des völlig unsolidarischen und ungerechten Zweiklassensystems.

Ralph Meyer, Leutkirch

Fatale Fehleinschätzung

Durch die Einführung der Bürgerversicherung verspricht sich die SPD mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen und eine bessere Versorgung. Genau das Gegenteil ist der Fall. Durch Zusatzversicherungen können sich wohlhabende Bürger medizinische Leistungen erkaufen, die sich weniger Betuchte nicht leisten können. Die Versorgung wird durch die Einführung der Bürgerversicherung nicht verbessert, sondern verschlechtert. Kein einziger Arzt wird zusätzlich motiviert, sich überhaupt oder in ländlichen Gebieten niederzulassen. Insbesondere die niedergelassenen Fachärzte können durch die Honorare, die für gesetzlich Krankenversicherte gezahlt werden, ihre Praxen nur schlecht oder gar nicht betreiben. Sie sind auf die Honorare der Privatpatienten angewiesen. Ein gut funktionierendes Gesundheitssystem, das weltweit an der Spitze steht, soll aus ideologischen Gründen geopfert werden. Der Ausgang dieser gewagten Operation ist als fatale Fehleinschätzung bereits jetzt erkennbar.

Dr. Bernd Salzer, Heilbronn

Ungereimtheiten beseitigen

Karl Lauterbach nimmt das Schlagwort von der Zweiklassenmedizin gerne in den Mund, um für die Bürgerversicherung zu werben. Sein Ziel ist die komplette Abschaffung der privaten Krankenversicherung zugunsten einer Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung, und zwar für alle. Gemach, gemach, möchte man da sagen. Der gesetzlich Versicherte mit einer privaten Zusatzversicherung für Zähne, Chefarztbehandlung und Einbettzimmer fühlt sich nämlich durchaus nicht wie ein diskriminierter Kassenpatient. Nikolaus Piper warnt deshalb auch mit Recht vor einer Komplettumstellung unseres eigentlich recht gut funktionierenden Krankenversicherungssystems.

Aber was spricht dagegen, wenigstens einige Ungereimtheiten der bisherigen Regelungen zu beseitigen? So sollte gering verdienenden Selbständigen (Existenzgründer) die Tür zur gesetzlichen Krankenversicherung durchaus geöffnet werden. Auch die Wechselmöglichkeit von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung würde gerade Rentner, denen der hohe Privatversicherungsbeitrag im Alter richtig wehtut, spürbar entlasten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es gibt also auch ohne Bürgerversicherung jede Menge zu tun.

Manfred Fischer, München

Belastung der Mittelschicht

In "Vorsicht, Falle" ist von einer "Beitragsbemessungsgrenze" von 57 600 Euro die Rede, ab der man frei entscheiden könne, wie man sich versichert. Gemeint ist aber in Wahrheit die "Versicherungspflichtgrenze". Die Beitragsbemessungsgrenze legt fest, bis zu welcher Höhe meines Einkommens ich Beiträge abführen muss. Und damit sind wir auch schon bei einem Haupt- problem der Finanzierung der gesetzlichen Sozialversicherungen: Der Gutverdiener muss einen geringeren Anteil seines Einkommens abführen als jemand, der unter dieser Grenze liegt. Auf diese Weise führen die Sozialversicherungen zu einer extremen Belastung der Mittelschicht, aber die Besserverdienenden werden entlastet. Muss man das verstehen?

Warum schaffen wir nicht einfach diese "Beitragsbemessungsgrenzen" ab, und machen es wie in der Schweiz? Jeder müsste für sein gesamtes Einkommen Beiträge abführen, aber im Gegenzug sinkt dadurch der einheitliche Beitragssatz für alle natürlich deutlich. Aber keiner hat offenbar den Mut, sich gegen die Beamtenlobby und die privaten Krankenversicherungen durchzusetzen. Dann leidet die Mittelschicht halt weiter unter einer der höchsten Steuer- und Abgabenquoten in ganz Europa.

Uwe Langer, Düsseldorf

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