Bürgerversicherung:Der einen Vorteil, der anderen Nachteil

Kommt die sozialistische Staatsmedizin, oder wird es mehr Gerechtigkeit für alle geben? Und reicht die aus, um strukturelle Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen zu beheben?

Bürgerversicherung

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte

"Ein Rezept für alle Fälle" vom 28. Dezember, "Diagnose richtig, Rezept falsch" vom 30. Dezember:

Alle für alle

Es ist doch ganz einfach: Die Bürgerversicherung ist eine Solidargemeinschaft, und zwar keine Solidargemeinschaft der Armen wie die derzeitigen öffentlichen Krankenkassen, sondern eine, an der sich alle Bürger beteiligen: Arme, Reiche, Beamte und anderweitig Privilegierte oder Benachteiligte. Jeder zahlt den gleichen prozentualen Teil seines Einkommens an die Bürgerversicherung. Dann hätte die Bürgerversicherung vermutlich mehr als genug Geld, um eine ordentliche medizinische Versorgung für alle Bürger sicherzustellen, und zwar ohne Unterstützung aus Steuermitteln, durch die das Solidaritätsprinzip wieder untergraben würde. Wer es sich leisten kann und will, kann gerne Zusatzversicherungen abschließen für Luxuszimmer im Krankenhaus oder medizinisch fragwürdige Behandlungen, nur darf das niemals zulasten der "Bürgerversicherten" gehen. Auf die Weise haben die Privatversicherungen auch in Zukunft eine Daseinsberechtigung. Wolf Bruns, München

Mehr Gerechtigkeit

Natürlich ist die Implementierung einer Bürgerversicherung nicht ausreichend, um strukturelle Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen zu beheben. Dennoch wäre ihre Einführung ein Stück mehr (soziale) Gerechtigkeit. Und wenn, wie immer wieder lauthals verkündet wird, die medizinische Behandlung für gesetzlich und privat Versicherte ohnehin gleichwertig ist (meine eigene langjährige Erfahrung im stationären und ambulanten Bereich ist eine andere!), dann bleibt ernsthaft zu fragen, mit welcher Begründung überhaupt eine private Krankenversicherung erforderlich ist. Das Argument, dass durch sie erst notwendige Investitionen getätigt würden, halte ich für weit hergeholt und nicht belegt. Eher ist es so, dass durch die überwiegende Mehrheit der gesetzlich Versicherten die finanzielle Basis für Krankenhäuser und Arztpraxen geschaffen und gewährleistet wird. Dazu wäre es aus meiner Sicht genauso dringend erforderlich, die Honorierung von ärztlichen Leistungen grundsätzlich zu überdenken. Es ist mindestens im Gesundheitsbereich doch sehr fraglich, wieso auch dort vor allem die Ökonomie, der Profit im Vordergrund stehen, was durch das jetzige Honorarsystem begünstigt wird und möglicherweise die Kosten im Gesundheitswesen eher antreibt als senkt. Und wie steht es mit der Pharmaindustrie als der Verursacherin von immensen Arzneimittelkosten - soll Gewinnmaximierung weiterhin im Vordergrund von Forschung und Produktion stehen? Es gibt also etliche Problemfelder im Gesundheitsbereich, die ein "Weiter so" nicht rechtfertigen, sondern ein neues Denken und Handeln erfordern. Die Bürgerversicherung kann dabei ein erster Schritt sein.

Dr. med. Ursula Görlich, Lünen

Sozialistische Staatsmedizin

Die Bürgerversicherung wird zwei Folgen haben: Zum einen wird der Verdienst der freiberuflich tätigen Ärzte massiv sinken, was zu einem Arbeitsplatzabbau der Medizinischen Fachangestellten führen wird. Zum anderen ist die Anschaffung gewisser Gerätschaften wie EKG oder Ultraschall nicht mehr rentabel. Dies führt dazu, dass gerade Hausärzte für jede dieser Untersuchung eine Überweisung zum Facharzt ausstellen. Das Leistungsspektrum wird schmaler, die Wartezeiten werden beim Facharzt noch länger, als sie jetzt schon sind. Willkommen in der schönen neuen Welt der sozialistischen Staatsmedizin. Dr. med. Richard Essler, Kissing

Wieder gleiche Beiträge

Ob Bürgerversicherung oder das jetzige System zweier Versicherungsarten, für uns gesetzlich Versicherte ist die Rückkehr zu gleichen Beiträgen für Versicherte und Arbeitgeber viel wichtiger. Warum? Weil nur die Arbeitgeberverbände mit ihrer Lobby-Macht dafür sorgen können, dass ordentlich getrennt wird zwischen dem, was Versicherungsleistungen sind, und dem, was steuerfinanziert werden müsste. Herr Schäuble hat mehr und mehr Ausgaben der Versichertengemeinschaft zugeschoben - die eigentlich aus dem Steuertopf finanziert gehörten -, um so seine schwarze Null zu sichern. Und solange die steigenden Beiträge nur die Versicherten belasten, protestiert niemand. Die Krankenkassen-Chefs bekommen ihre Bezüge nach der Höhe der Beitragssumme, die Arbeitgeber stehen außen vor, die Politiker müssen keine sinkenden Leistungen erklären, die Versicherten haben keine wirkliche Lobby. Dies ist ungerecht, weil die Zusatzbeiträge Geringverdiener besonders belasten. Würden alle sozial erwünschten, aber versicherungsfremden Leistungen steuerfinanziert, wären die Beiträge niedriger oder die Leistungen könnten steigen. Und auch wenn wir die Bürgerversicherung bekämen, die Reichen würden sich doch immer eine Vorzugsbehandlung erkaufen, das ist auch in Ländern mit einer Einheitsversicherung durch Zusatzversicherungen möglich.

Dr. med. Barbara Turczynski-Hartje, München

Notwendige Kompensation

Kristiana Ludwig schreibt: "In Kliniken werden Untersuchungen und Operationen indes gleich vergütet, egal wer unter dem Messer liegt." Das ist falsch! Aber angesichts der Komplexität der Vergütung von Krankenhausleistungen vielleicht auch nicht verwunderlich: Wenn ein Privatpatient ("Chefarztbehandlung") ins Krankenhaus kommt, erhält das Krankenhaus in der Tat die gleiche DRG-Vergütung wie für einen GKV-Patienten. Aber: Der behandelnde Chefarzt liquidiert zusätzlich seine Leistung gegenüber dem Patienten. Das macht aber nicht nur der Operateur, sondern auch der Anästhesist, der Laborarzt, der Radiologe... Das ist die gesetzlich geregelte "Wahlarztkette", worüber Patienten in der Regel überrascht sind, wenn sie erstmalig damit konfrontiert werden. Die liquidationsberechtigten Ärzte müssen je nach Vertragsgestaltung einen Teil ihrer Einnahmen an das Krankenhaus abführen ("Nutzungsengelt") In neueren Chefarztverträgen ist es zumeist so geregelt, dass das Krankenhaus liquidiert und dem Chefarzt seinen "Privatanteil" überweist. Wegen dieser Nutzungsentgelte sind Krankenhäuser an Privatpatienten höchst interessiert. Fazit: Wenn die private Gebührenordnung abgeschafft wird, brauchen nicht nur die niedergelassenen Ärzte, sondern auch die Krankenhäuser eine Kompensation. Die Nutzungsentgelte machen bis zu circa drei Prozent der Umsatzerlöse aus. Einen ersatzlosen Wegfall würden viele Krankenhäuser nicht überstehen.

Dr. Rudolf Hartwig, Ratingen

Ungerechtigkeit ist kein Thema

Wer als Gutverdiener in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, zahlt in diesem Jahr etwa 8000 bis 8500 Euro Beitrag. Die Leistung, die er dafür bekommt, ist genau gleich wie bei einem Geringverdiener oder einem kostenlos Mitversicherten. Dieser hohe Beitrag ist notwendig, weil die gesetzliche Krankenkasse eine Solidarversicherung ist, ein jeder zahlt Beiträge nach seiner Leistungsfähigkeit, so dass alle Menschen in Deutschland krankenversichert sein können. Unverständlicherweise können sich die noch besser Verdienenden völlig legal dieser Solidarität entziehen, selbst dann, wenn sie jahrzehntelang davon profitiert haben, z.B. weil sie als Kind oder Student kostenlos in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert waren. Durch den Wechsel in eine private Krankenversicherung kann ein Alleinstehender sehr viel Geld sparen, denn diese gibt es für junge und gesunde Versicherungsnehmer schon für weniger als 3000 Euro im Jahr.

Die Tarife in der privaten Versicherung können deshalb so niedrig sein, weil es keine kostenlose Mitversicherung für Familienangehörige und Kinder gibt und keine Geringverdiener mit geringeren Beiträgen versichert werden müssen. Wer als Neumitglied in die Versicherung eintreten will, darf auch keine Vorerkrankungen haben, sonst wird er entweder nicht aufgenommen oder er muss horrende Zusatzbeiträge bezahlen. Wer vorerkrankt ist oder viele Kinder einplant, bleibt daher in der gesetzlichen Versicherung.

Für die in der gesetzlichen Versicherung gebliebenen Mitglieder hat das beträchtliche Auswirkungen, denn die Beiträge könnten für sie um mehrere Prozentpunkte sinken, wenn alle Menschen solidarisch in die gleiche Versicherung einzahlen müssten. Es sind nicht nur die höheren Beiträge der bisher privat Versicherten, diese sind auch durchschnittlich gesünder (sonst würden sie nicht in der privaten Versicherung aufgenommen oder könnten nicht Beamter werden.) Ein ganz wesentlicher Punkt ist auch, dass privat Versicherte weniger kostenfrei mitversicherte Familienmitglieder mitbringen würden. Seltsamerweise wird diese Ungerechtigkeit bei den derzeitigen Diskussionen um die Bürgerversicherung nicht thematisiert, obwohl sonst um Zehntelbeträge bei den Sozialversicherungen gefeilscht wird. Es liegt wohl daran, dass zu viele Entscheidungsträger und Meinungsführer von dieser Ungerechtigkeit profitieren. Hans Frohning, Türkheim

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