Bildungsstress:Es muss nicht jeder studieren

Pillen und Drogen zur Leistungssteigerung in Schule und Universität? Sind nicht wirklich nötig, finden SZ-Leser, wenn man methodisch lernt und auf ein Studium auch verzichten kann.

Beim Elternabend

Zeichnung: Karin Mihm

"Ausgelaugt" vom 6. Juni, "Hohe Schule des Scheiterns" vom 2. Juni:

Anpassung mit Pillen

Als Jugendlichenpsychotherapeut mit 30-jähriger Berufserfahrung spricht mich das Thema sehr an, auch wenn ich nicht alle geäußerten Ansichten so unterschreiben würde. Das Erschreckendste aber ist der oft verzweifelte Versuch der Schülerinnen und Schüler, den Anforderungen und Erwartungen, die Eltern, Lehrer, "Gesellschaft" an sie stellen, gerecht zu werden. Das klingt abgedroschen und langweilig, der massive, stetig zunehmende Missbrauch von Medikamenten zur "Leistungssteigerung" lässt allerdings keine Langeweile mehr zu. Mit Koffein-Tabletten , Amphetaminen und Schlafmitteln wird versucht, den Tag so effektiv wie möglich zu strukturieren, die Lern- und Leistungsbereitschaft auf eine Spitze zu treiben, die dann - zwar "gedopte", aber immerhin - gute Leistungen hervorbringt. Vor knapp 50 Jahren haben sich Schüler und Studenten gegen Anpassung und gesellschaftliche Leistungserwartungen gewehrt, jetzt versuchen junge Menschen mit untauglichen Mitteln genau diese Anpassung. Sollte uns Älteren, der Elterngeneration, das zu denken geben? Kein Verantwortlicher dürfte ruhig schlafen können, solange es junge Menschen gibt, die mit Drogen ihre Leistungen an unsere Erwartungen anpassen, um auf ihre Not (nur ja nicht!) aufmerksam zu machen.

Hans-W. Saloga, München

Von Stress keine Spur

Indem man die Schule, vor allem das Gymnasium, als unumgängliche Stressquelle bezeichnet, tut man ihr und ihrem eigentlichen Sinn vollkommen unrecht. Klar wurde durch das G 8 der Lehrplan etwas straffer und voller, doch fielen viele Inhalte nur komplett weg, weshalb man hier schon mit der Relativierung beginnen kann.

Wenn ich als aktueller Abiturient auf meine Schulzeit zurückblicke, so sehe ich jede anderthalb Monate einen Ferienblock, etliche Ausfallstunden und stets nur zwei Mal Nachmittagsunterricht pro Woche, Lehrer, die schon zwei Monate vor den Sommerferien beginnen, Filme zu schauen, und durchschnittlich ein bis zwei Klausuren in der Woche - von nicht ertragbarem Stress also keinesfalls eine Spur. Hinzu kommt, dass vorzugsweise in der Oberstufe konventionelles Lernen eigentlich gar nicht mehr notwendig ist. Die Mehrheit der Aufgaben sind anwendungsbezogen konzipiert und verlangen eine methodische Herangehensweise sowie über den Unterricht hinausgehende Allgemeinbildung. Allein schon ein raffinierter, durchdachter Schreibstil ohne viel Inhalt reicht für ein durchaus akzeptables Ergebnis. Reines Wissen ist also nur ein kleiner Teil neben Methodenkompetenz, Improvisationsfähigkeit, guter Selbstvermarktung - fast schon wie in der Politik. Das Problem ist, dass dies vielen Schülern gar nicht klar ist. Stattdessen lernt man das gesamte Heft auswendig und wundert sich, dass die Aufschriebe nicht eins zu eins abgefragt werden. Hier könnte das Bildungssystem ansetzen und interdisziplinäre Methodik mehr in den Fokus setzen - die Frage ist, ob sich deren Macher eingestehen wollen, dass sie auch nur mit Wasser kochen.

Eric Niller, Geisingen

Gemeinsam im Hamsterrad

Ohne Stress geht nichts mehr, auch bei den Eltern. Sie alle sitzen im Hamsterrad der Top-Selbstdarsteller. Dieses anstrengende Leben beginnt beim Muskeltraining in den Fitnessstudios und endet in der Helikopterfamilie ... Die Sucide wegen Versagen in dieser Leistungsgesellschaft steigen an, vor allem im hoch technisierten Japan. All die Schlafstörungen und daraus folgenden Schuldgefühle, am nächsten Tag in der Schule nicht top zu sein, können zu einem Burn-out führen. Es gab mal einen wunderbaren Spruch in der Berliner U-Bahn: Langeweile ist Zeit zum Philosophieren.

Elsbeth Schwanewedel, Berlin

Das Niveau wahren

Ich bin froh über dieses Scheitern, nicht weil ich den jungen Leuten ein erfolgreiches Studium nicht gönnen würde, sondern weil dies für mich ein Zeichen ist, dass sich die deutschen Hochschulen doch ein gewisses Niveau bewahrt haben. Nach der Arithmetik unserer Bildungstechnokraten und Pisa-Ranking-Fetischisten müsste ja eigentlich eine etwa 50-prozentige Quote bezüglich der Hochschulreife, wie wir sie wohl aktuell haben, auch eine etwa 50-prozentige Quote hinsichtlich Hochschulabschlüsse nach sich ziehen, über alle Schüler gemittelt, was dann ganz toll wäre für unsere Bildungspolitiker. So funktioniert es aber nicht. Ganz im Gegenteil, ein Drittel der Abiturienten gibt das Studium auf, fällt durch. Was passt da nicht zusammen? Ich würde es so interpretieren: Viele Abiturienten sind nicht hochschultauglich, weil sie nicht intelligent genug sind. Abitur haben sie nur deshalb, weil auch das Niveau der Hochschulreifeprüfungen abgesenkt wurde. Weil mit Nachhilfe und zur Not auch mal mit rechtsanwaltlicher Hilfe die Noten poliert wurden. An den Hochschulen wurde das Prüfungsniveau hingegen nicht oder nicht so stark abgesenkt, daher das Scheitern. Und dies ist auch gut so, denn an Hochschulen hat eben der durchschnittlich Begabte oder gar der, politisch wohl unkorrekt gesagt, Dumme nix verloren. Wir sollten aufhören, immer mehr Abiturienten und Hochschulabsolventen zu produzieren.

Dr. Anton Weber, Regensburg

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: