Bildung:Mehr Mut zum eigenen Charakter

"Lehre, Meister, Studium: Bildung lohnt sich" war ein Gastbeitrag des Ökonomen Ludger Wößmann im Wirtschaftsteil überschrieben. Dieser veranlasste Leser, über den Begriff "Bildung" zu sinnieren.

"Lehre, Meister, Studium: Bildung lohnt sich" vom 13./14. Mai:

Wenn Menschen ihre persönliche Berufs- oder Lebensplanung nach Statistiken ausrichten, machen sie zwei Fehler: Sie vermeiden ihren Spaß am Leben und an der Arbeit und sie nehmen den Begriff "Bildung" als Kriterium für die Beurteilung von Menschen an. So ist es aber nicht.

"Bildung" lief mal unter "Menschenbildung", nicht unter der Anhäufung von Wissensprädikaten. In diesem Zusammenhang gibt es auch den Begriff "Charakter", zu dem man Menschen ermutigen kann. Wenn Berufs- und Lebenswegentscheidungen dem Diktat eines Urteils von "Gebildet" oder "Nicht-gebildet" unterliegen, geht der Selbstwert des Menschen zugrunde - und mit dem Menschen die Rücksicht auf andere, die Empathie, das Vergnügen an der eigenen Arbeit und so weiter. Rudolf Söllner, Aschau

Demütigung und Misserfolg

Wann lohnt sich Bildung? Die Frage ist so sinnlos, wie etwa nach der religiösen Bedeutung von Mathematik zu forschen. Bildung ist ein lebenslanger, völlig zweckfreier Prozess eines individuellen Menschen. Dabei geht es um nichts anderes als die Entwicklung der Persönlichkeit in Auseinandersetzung mit der Welt. Menschen, die sich bilden, erwerben wertvolles Wissen und eignen sich Kompetenzen an, die ihnen helfen, das Leben zu bewältigen. Es ist ein schwerer Kategorienfehler, wenn der Wert von Bildung nach ihrem ökonomischem Ertrag bemessen wird.

Auch wenn der Essay des Ökonomen Ludger Wößmann im Wirtschaftsteil erscheint, unterläuft dem Professor doch eine krasse Themaverfehlung. Er verwechselt Bildung mit Ausbildung und erweckt den Eindruck, Bildung sei eine Kategorie der Wirtschaft. Zudem disqualifiziert der Autor bestimmte Schularten wie etwa die Mittel-, Real- oder Wirtschaftsschule als Laufbahnen mit geringerem Bildungsniveau. Die Wirtschaft hat mit Bildung etwa so viel zu tun wie die Pädagogik mit dem Bruttosozialprodukt. Der ökonomische Effekt kann doch nicht das entscheidende Kriterium dafür sein, ob eine Schulbildung "besser" oder "schlechter" ist. Es geht bei der richtigen Wahl der Schullaufbahn allein darum, welche Schulart am besten geeignet ist, den Begabungen und Neigungen eines Kindes gerecht zu werden.

Unzählige junge Menschen leiden unter Demütigung und Misserfolg, weil sie nicht die begabungsmäßigen Voraussetzungen für die gewählte Schulart mitbringen - das gilt insbesondere für Gymnasium und Hochschule. Eine Studienabbrecherquote von durchschnittlich rund 30 Prozent zeigt, dass insbesondere der Abschluss "Allgemeine Hochschulreife" nicht hinreichend dafür qualifiziert, ein Hochschulstudium bewältigen zu können.

Wir müssen im Bildungsdiskurs endlich Abschied nehmen von Quoten und Kosten-Nutzen-Analysen und uns wieder am Kind orientieren, sonst wird Bildung unmenschlich. Die Pädagogik als die zentrale Bezugswissenschaft sollte sich wieder in substantieller und nicht nur empirischer Weise ihrer ureigensten Thematik "Erziehung und Bildung" annehmen und sie nicht selbsternannten Bildungsexperten überlassen. Thomas Gottfried, Freising

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