Bayern:Ein Kreuz ist ein Kreuz

Und es steht bei Weitem nicht nur für das Positive. Sein Anbringen in Bayerns Behörden, schreiben SZ-Leser, ist zudem eindeutig verfassungswidrig. Aber im Herbst sind halt Landtagswahlen.

Bayern: SZ-Zeichnung: Denis Metz

SZ-Zeichnung: Denis Metz

"Gottes Feinde" vom 28./29. April, "Auf Kreuzzug" vom 27. April sowie "Allzu hoch gehängt" und "Der Kreuz-Befehl" vom 26. April:

Verdrehung der Tatsachen

Selten haben unsere Politiker ein so deutliches Zeugnis ihrer religiösen und historischen Unbildung abgegeben wie nun mit der Begründung des "Kreuz-Befehls". Das Kreuz solle ein "sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung" sein? Doch was wurde unter dem Zeichen des Kreuzes in Wahrheit jahrhundertelang gelehrt und praktiziert? Es herrschten Gewissens-, Glaubens- und Meinungszwang, Sklaverei und Leibeigenschaft, Unterdrückung und Geringschätzung der Frau, sexuelle Bevormundung und die Verfolgung und Bestrafung von Homosexualität, Sippenhaft und Antisemitismus, Hexenverfolgung und natürlich auch medizinisch nicht indizierbare Teufelsaustreibungen jeder Art (selbst heute noch)! Wissen denn unsere Politiker des 21. Jahrhunderts immer noch nicht, dass die Demokratie noch im 19. Jahrhundert in klerikalen Kreisen als Wahnsinn angesehen wurde und die Gleichberechtigung der Frau von ihnen stets hintertrieben wurde? Und nun soll ausgerechnet das Kreuz ein Symbol unserer Rechtsordnung sein? Die immer wieder lancierte Behauptung, die Werte unseres Zusammenlebens, niedergelegt in unserem Grundgesetz und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, seien unter dem Zeichen des Kreuzes gewachsen, ist eine ungeheure Verdrehung historischer Tatsachen.

Wolfgang Teschner, Gilching

Eindeutig verfassungswidrig

In der Tat wäre die Anbringung von Kreuzen in den staatlichen Behörden Bayerns ein Verstoß gegen die Pflicht des Staates zur Neutralität gegenüber allen Religionen und stünde im Widerspruch zu dem in Deutschland seit 1919 (Weimarer Verfassung) geltenden Verfassungsrecht. Die Weimarer Verfassung und ihr folgend das geltende Grundgesetz garantieren die Religionsfreiheit und legen fest, dass es keine Staatskirche gibt. Die in dem Erlass festgelegte Position der CSU und der bayerischen Staatsregierung ist eindeutig verfassungswidrig. Speziell in Bayern wurde die volle Religionsfreiheit zuerst im Staatsgrundgesetz des Freistaats vom 4. Januar 1919 unter dessen erstem Ministerpräsidenten, Kurt Eisner, proklamiert; die Ausarbeitung des Textes hatte in Eisners Auftrag der Münchner Rechtsanwalt Philipp Loewenfeld übernommen. Die von der CSU reklamierte geschichtliche und kulturelle Prägung Bayerns beruht daher seit 1919 ebenso wie im übrigen Deutschland auf der Religionsfreiheit. Sie gilt für alle mit den Grundwerten der Verfassung übereinstimmenden Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften und umfasst natürlich auch Agnostiker und Atheisten.

Verfassungswidrig ist daher auch die Ansicht des Bundesinnenministers Horst Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Besonders das Christentum ist im Ursprung - wie der Islam und das Judentum - eine Religion des Morgenlands; das christliche Abendland ist in seiner Geschichte zuerst seit Papst Gelasius I. (492 - 496 n. Chr.) durch dessen Lehre von den zwei Gewalten der Kirche und des Staats gekennzeichnet. Diese Lehre führte seit der Aufklärung zur heutigen Trennung von Staat und Kirche. Folglich geht auch die Berufung auf das "christliche Abendland" im Beschluss der bayerischen Staatsregierung in die Irre und beweist mangelndes Geschichtswissen

Prof. Peter Landau, München

Wir brauchen mehr Papst

Genau zwischen Empfangsloge und amtliche Bekanntmachungen gehört das Kreuz. Dort findet doch die Verwaltung des Lebens statt. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn ein emeritierter Professor der evangelischen Kirche das Kreuz in den sakralen Bereich verdammen will. Es zeigt sich immer mehr, wir brauchen mehr Papst. Kirche und Kreuz mitten im Leben - immer und nicht nur im Wahlkampf, wo er auch immer stattfindet.

Dr. Thomas G. Langohr, Flein

Emotionale Geborgenheit

Wie kann man Markus Söders Kreuzerlass so viel mediale Aufmerksamkeit schenken? Wo ich herkomme, hing ein Kreuz in jedem Klassenzimmer, jeder Amtsstube, jedem Krankenzimmer und in den Häusern meiner Schulfreunde - und nicht immer hatte das was mit Religiosität zu tun. Können sich die, die sich jetzt so aufregen, nicht vorstellen, dass ein Kreuz für viele Menschen so etwas wie emotionale Geborgenheit bedeutet - ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit? Ich selber gehöre keiner Religionsgemeinschaft an und habe nie CSU gewählt. Aber mein Eindruck ist, dass es bei dem ganzen medialen Bohei weniger um das Kreuz als vielmehr gegen den Politiker Söder geht. Auch seine Gegner wollen bei der Landtagswahl punkten - und dazu lässt sich auch von ihnen das Kreuz ganz gut instrumentalisieren.

Margarita Karger, Aßling

Ambivalentes Symbol

Das Kreuz hat wie jedes Symbol Anteil an der Zweideutigkeit und Ambivalenz alles Existierenden und alles von Menschen Gedachten und Geschaffenen. Es ist insofern zuerst ein Symbol der ersten christlichen Gemeinde, der sich durch Jesu Tod eine neue Sicht auf die sie umgebende Wirklichkeit eröffnete. Und das Kreuz ist zugleich ein Symbol, das beginnend mit Kaiser Konstantin zum Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kulturgemeinschaft wurde. Dadurch wurde es sehr häufig im Verlauf der Geschichte von politischen und kirchlichen Führern für die eigene Machterweiterung missbraucht. Viele große Verbrechen geschahen so, auf der anderen Seite wurde auch die Voraussetzung für die Verbreitung und friedliche Ausübung des Glaubens geschaffen (nicht nur mit Krieg und Terror).

Die Zweideutigkeit des Kreuzes gilt es auszuhalten und den Umgang damit zu lernen. Markus Söder drückt seinen Wunsch, als Gemeinschaft einer bestimmten Kultur wieder erkennbar zu werden für uns selbst und andere und nicht in einer Multikulti-Wellnessgefühligkeit unterzugehen, sicherlich etwas anfechtbar aus. Aber er formuliert auch ein ganz allgemeines Unwohlgefühl in der Bevölkerung. Eine große Mitschuld an diesem Dilemma sehe ich bei den jetzigen (in den 50ern geborenen) Kirchenführern, die es versäumt haben, den Aufbruch der Theologie nach dem Krieg und in den 60er-Jahren aufzugreifen und weiterzuentwickeln, das heißt das Kreuzesgeschehen und seine Bedeutung unter der Berücksichtigung heutiger Entwicklungen (auch in Philosophie, Psychologie, Soziologie) den Menschen heute verständlich zu machen. Ein Verstecken hinter alten, auch biblischen Erklärungsmustern (Versöhnungslehre) hilft nicht weiter.

Peter Benz, Michelstadt

Überzeugungen - entwertet

Selten habe ich einem Meinungsartikel so zugestimmt wie dem von Friedrich Wilhelm Graf! Das Kreuz als Zeichen von "Kulturwerten", "Tradition" oder "Identität" in bayerischen Amtsstuben aufzuhängen, beleidigt mich als aktives Mitglied der lutherischen Kirche ganz außerordentlich. Ich fühle meine Überzeugungen dadurch entwertet. Und das durch den Protestanten Söder, der dazu noch die Gegner dieser Kreuz-Aktion als "Religionsfeinde" beschimpft. Herr Söder, können Sie mir sagen, welcher Religion ich als Protestantin mit meinem Protest feindlich gegenüberstehe?

Dagmar Hellmann, München

Gottes Feind Goethe

Im Goethe-Haus war kein Kreuz zu finden. Ihm war das Kreuz zuwider, wie "Gift und Schlange", wie "Tobak, Wanzen und Knoblauch" ("Venezianische Epigramme 66"). "Das leidige Marterholz", so im Brief an Carl Friedrich Zelter vom 9. Juni 1831, sei "das Widerwärtigste unter der Sonne." Goethe gehört wohl nicht zu Deutschland.

Stéphane Vézina, Heidelberg

Die Bundeswehr "betet an"

Der Missbrauch der christlichen Religion geht leider noch viel weiter. Wir hatten vor dem Verwaltungsgericht geklagt gegen die regelmäßige Verwendung des Chorals "Wir beten an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart" bei Großen Zapfenstreichen der Bundeswehr, unter anderem sogar vor dem Kölner Dom. Leider wegen "Nicht-Betroffenheit" abgelehnt, wir müssten uns das ja nicht anschauen, eine gerichtlich oft genutzte Ausrede. Früher stand "Gott mit uns" auf den Koppelschlössern der Soldaten. Heute hält die vom Staat bezahlte Militärseelsorge die Soldaten im Auslandseinsatz zum Durchhalten statt zum Verweigern an. Der psychologische Dienst der Bundeswehr für Traumatisierte hat in seiner Stellenausschreibung vermerkt, dass nur solche Psychologen infrage kämen, die grundsätzlich positiv zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr stehen. So geht man Probleme an der Wurzel an.

Martin Singe, Bonn

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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