Asylstreit:Erschütterte Grundfesten

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Am Sonntag läuft das sogenannte Ultimatum der CSU an die Kanzlerin ab. Warum die Partei mit ihren Forderungen an die "Schwester" CDU so weit geht, dass die Koalition auf dem Spiel steht, ist der Mehrheit der Leser ein Rätsel.

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: N/A)

" Es geht um alles" vom 28. Juni, " Als gäbe es kein Morgen mehr" vom 27. Juni und " Lega Süd" vom 23./24. Juni:

Keiner haut auf den Tisch

Man kann es kaum glauben: Seit Wochen wedelt der Schwanz mit dem Hund, treibt die CSU die CDU vor sich her, zerstört die bayerische Abrissbirne Grundfesten der Regierung, der Demokratie und Europas und scheut dabei auch vor Drohungen und Ultimaten nicht zurück. Doch während die Dobrindts, Scheuers, Söders mit ihrem Führhund Seehofer "knurren" und "bellen", traut sich bei der CDU keiner aus der Deckung und haut mit der Faust auf den Tisch, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Die SPD schaut sprachlos zu, und die Populisten in Deutschland und Europa klatschen begeistert Beifall.

Friedhelm Stoltenberg, Schermbeck

Überflüssiger Zwist

Wie dumm und wie abgehoben von der Wähler- und Parteibasis muss die Spitze der CSU sein, indem sie ihre bisher so blendend guten Zustimmungswerte in der Bevölkerung selbst in den Keller fährt? Der Bundespräsident ist zu Recht besorgt über die "Unnachsichtigkeit und maßlose Härte", mit der Söder, Seehofer, Dobrindt und Co. ihren Dauerstreit in der Union immer wieder befeuern. Der Zwist ist überflüssig und durch Sachargumente längst nicht mehr begründbar. Die Bundesregierung, die Unionsparteien in ihrer Gänze, letztlich sogar das bisher so stabile Parteiensystem in Deutschland werden durch die immer neuen Drohgebärden aufs Spiel gesetzt. Die CSU tut derzeit wirklich alles, sich bei der Landtagswahl im Oktober eine deftige Klatsche einzuhandeln. Und die AfD schüttet sich derweil aus vor Lachen. Wenn es dem Esel zu gut geht, geht er aufs Eis.

Karl Hagemann, Münster

Sein "Baby"

Die Lage für die Regierung ist de facto wie nach der Jamaika-Pleite, und unser Bundespräsident fühlt sich wieder berufen, die Regierung, sprich Angela Merkel zu retten, schließlich ist die Regierung sein "Baby". Horst Seehofer und die CSU wird er allerdings nicht so leicht überzeugen wie Martin Schulz und die SPD. Besser wäre wohl, er würde sich aufs Repräsentieren beschränken.

Armin Weis, Germering

Kaum Rückführungen

In der Diskussion um die Zurückweisung bereits in anderen Ländern registrierter Asylbewerber an der deutschen Grenze hört man oft folgendes Gegenargument: Wenn man registrierte Flüchtlinge in die Erstaufnahmeländer zurückschickt, führt das dazu, dass diese Länder, zum Beispiel Italien, sie nicht mehr registrieren und Asylbewerber durchwinken.

Diese Befürchtung hätte in der Praxis aber kaum Auswirkungen. Die Registrierung und eventuelle Rücküberstellung von Asylbewerbern nach der Dublin-III-Verordnung funktionierte noch nie zufriedenstellend. Im Jahr 2017 wurden beispielsweise nur 2110 Personen nach Italien zurückgebracht bei fast 22 700 Übernahmeersuchen an das Land. Würde also Italien alle Migranten wie befürchtet "durchwinken", würde sich die Zahl der Asylverfahren in Deutschland, bezogen auf das Jahr 2017, um nicht einmal ein Prozent erhöhen.

Zieht man den Kreis der Länder noch größer, ergeben sich folgende Zahlen: 2017 hatte Deutschland rund 65 000 Ersuche auf Übernahme von Asylbewerbern an andere Staaten gestellt. In rund 7000 Fällen davon war die Rückführung erfolgt. Demgegenüber wurden 9000 Asylbewerber aus anderen EU-Staaten entsprechend den Regeln des Dublin-Abkommens in die Bundesrepublik überstellt. Kurz gesagt: Wenn im ungünstigsten Fall die Dublin-III-Verordnung von allen EU-Staaten völlig missachtet würde, gäbe es in Deutschland 2000 Asylbewerber weniger.

Stefan Wegner, Schwäbisch Gmünd

Böses Gift

Ich hoffe, der größere Teil der Bayern und auch der CSU ist nicht so geschichtsvergessen, nicht zu wissen, dass populistisches, nationalistisches Gerede der Politiker ein Gift ist, das süchtig macht: Es werden ja keine wirklichen Lösungen erzeugt, sondern nur Schuldige ausgemacht, auf die man eindreschen kann. Wenn dann alles noch schlechter wird, dann werden die Parolen und die Feindschaften verschärft.

Ernst Friedl, Deggendorf

Eine Abrechnung

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der CSU im unionsinternen Streit um die Asylpolitik/Flüchtlingspolitik weniger um die Asylpolitik geht, sondern einigen bayerischen Politmachos vielmehr darum, endlich einmal mit der Kanzlerin abzurechnen, möglichst endgültig. Auch wenn manches an Angela Merkels Politik sicher kritisch zu sehen ist, hoffe ich, dass sie auch dieses Mal mit den genannten Protagonisten fertig wird und dass sie ihre besonnene Politik in zweifellos schwierigen Zeiten fortsetzen kann. Die Menschen wünschen sich austarierte Lösungen und keinen Streit um des Streits und einiger Egos willen.

Diether Augustin, Hamburg

Begrenzte Aufnahmefähigkeit

Der Andrea Nahles zugeschriebene Satz, man könne nicht alle Asylsuchende bei uns aufnehmen, deren Asylbegehren abgewiesen worden sind, hat teilweise heftige Kritik hervorgerufen, obwohl sie damit nur eine Binsenweisheit anspricht. Die Empörung des Juso-Chefs Kevin Kühnert vermag ich - selbst langjähriges Mitglied der SPD - nicht zu teilen. In der deutschen Politik werden offenbar noch immer nicht die Bedrohungen für die Aufnahmefähigkeit in der dicht besiedelten Bundesrepublik wahrgenommen, die mit der rapiden Zunahme der Weltbevölkerung verbunden sind - von derzeit etwa 7,5 Milliarden Menschen auf wahrscheinlich zehn Milliarden bis Mitte des Jahrhunderts. Diese "Bevölkerungsexplosion" findet zumeist in den ärmeren Staaten der Welt statt, die sich dieses Wachstum am wenigsten leisten können. Es bedarf keiner großen Anstrengungen der Fantasie, um die negativen Folgen auch für Europa vorherzusehen. Die dann im Amt befindliche Bundesregierung wird zu kämpfen haben, wenn sie dann wenigstens den Kernbereich des Asylrechts noch durchsetzen kann.

Prof. Günter Witzsch, Fürth

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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