Alter:Die Jugend ist nicht genug vertreten

Lesezeit: 2 min

Gibt es tatsächlich zu wenige alte Abgeordnete, wie jüngst in der SZ beklagt wurde? Leser ergreifen hier eher Partei für die Jugend und andere Gruppen - Frauen zum Beispiel -, die in der hohen Politik in der Minderheit sind.

"Reifetest" vom 22./23. April:

Den Brexit wollten die Alten

Heribert Prantl beklagt, dass zu wenig Alte im Bundestag vertreten seien. Dies führe zu einer Vernachlässigung der Senioren-Anliegen. Davon kann jedoch keine Rede sein. Wichtige Wahlversprechen, welche die große Koalition direkt umsetzte, betrafen die Renten. Kein Wunder, stellen Rentnerinnen und Rentner doch die prozentual größte Wählergruppe dar und gehen zudem häufiger zur Wahl als jüngere Menschen. In Großbritannien durften wir die Folgen am 23. Juni des vergangenen Jahres bewundern: Die Altersgruppe der über 65-Jährigen votierte mit 65 Prozent für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Unter den Jungwählern, die am längsten mit den Auswirkungen leben müssen, waren es gerade einmal 20 Prozent. Die Alten zwangen den Jungen also ihren Willen auf. Bei der Wahl zum neuen US-Präsidenten nahm der Stimmenanteil für Donald Trump proportional zum Alter zu. Der demografische Wandel wird zu einer Überalterung der Gesellschaft führen. Da stellt sich die Frage: Wie groß soll der Einfluss der Alten noch werden?

Prantl stellt auch fest, dass der Altersschnitt der Bundestagsabgeordneten verglichen mit dem Durchschnittsalter abgenommen hat. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Abgeordneten sind im Schnitt immer noch älter als die Bundesbürger. Der jüngste Abgeordnete war zum Zeitpunkt der Wahl 26 Jahre alt. Eine bessere Repräsentation aller Altersgruppen würde dem Parlament guttun. Aber: Fordert man eine Repräsentation der Achtzigjährigen, so muss man im selben Atemzug auch eine Repräsentation der Zwanzigjährigen fordern. Die Alten entscheiden freiwillig über ihren Rückzug, bleiben aber häufig auf Stadtteilebene, in anderen Ehrenämtern oder als Berater tätig. Sie nutzen so ihre verdientermaßen erworbene Autorität zur Einflussnahme. So haben die CSU-Altvorsitzenden Horst Seehofer erst jüngst zu einer neuen Kandidatur bewogen und damit mehr Einfluss auf die Politik genommen, als es ein einfacher Abgeordneter je könnte. Die Jungen haben diese Alternativen nicht: Ihnen fehlt altersbedingt die zum Einzug in den Bundestag notwendige Parteikarriere. Marc Castendiek, Köln

Es gibt andere Betätigungsfelder

Der Artikel trifft es genau. Einst wurden die Jungen von den Alten regiert. Jetzt ist es umgekehrt. Es wird zwar überall davon geredet, dass wir doch noch so fit sind, wir länger arbeiten sollen etc. Alles schön und gut. Die "Realpolitik" berücksichtigt das nur wenig. Da wird vielleicht das Renteneintrittsalter erhöht, weil das Geld spart. Aber dann hört es auch schon auf. Doch ich will nicht jammern. Ich will zwar nicht in den Bundestag, engagiere mich aber gegen Fake News und Hassposts, in der Hoffnung, dass wir einen einigermaßen glaubwürdigen Wahlkampf haben werden. Ria Hinken, Freiburg

Gegen Ewigkeitsamtszeiten

Als Angehöriger des Jahrgangs 1934 liest man den Essay "Reifetest" mit häufigem Nicken: Recht hat er. Mit der Unterrepräsentation älterer Mitglieder in den Parlamenten gehe, so glaubt man zu beobachten, auch eine Minderung der Qualitäten unserer Volksvertretungen einher. Der Grund dafür ist nicht primär die fehlende "Reife" der Älteren, sondern mehr der Mangel an qualifizierten jüngeren Männern und Frauen in vielen Parlamenten. Beruf, Geschäft, Praxis, Kanzlei und Familie erlauben oft nicht mehr die Übernahme eines politischen Amtes. Die Zeit reicht vielleicht gerade noch zum Vorstand bei den Reitern oder Golfern oder Rotariern. So mancher Ruheständler wäre noch in der Lage, diese offensichtliche Qualitätslücke zu mindern, wenn die Parteien den Weg dazu frei machen würden und ihre juvenile Grundhaltung korrigierten.

Ein anderes Hindernis für den Einstieg befähigter Älterer in die Politik ist der auch unter Wählern verbreitete Glaube, Ewigkeitsamtszeiten seien verdienstvoll. Oft wäre es besser, Landräte, Bürgermeister, Abgeordnete für ihr freiwilliges Ausscheiden nach zwei Amtsperioden auszuzeichnen. Eben, eben, die Zeiten haben sich geändert. Den Konsul Buddenbrook aus Thomas Manns gleichnamigem Roman gibt es nicht mehr und somit auch immer weniger fähige Leute, die sich den Luxus eines politischen Ehrenamtes leisten können. Aber vielleicht haben wir dafür jetzt mehr Demokratie. Albert Hagn, Ravensburg

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: