Afghanistan:Verleugnung der Realität und Schönrednerei

Im Artikel "Krieg im toten Winkel" wurde jüngst die Misere des deutschen Afghanistan-Einsatzes eingehend beschrieben. Leser, die mit diesem Thema viel zu tun hatten, meldeten sich daraufhin mit ihrer Einschätzung.

Bundeswehr in Afghanistan

War alles umsonst? Ein Bundeswehrsoldat im afghanischen Masar-i-Scharif.

(Foto: dpa)

"Krieg im toten Winkel" vom 17./18. Juni:

Großen Dank, dass Sie aller Afghanistan-Müdigkeit zum Trotz den Blick auf den "Krieg im toten Winkel" lenken. Beim teuersten, kompliziertesten und opferreichsten deutschen Kriseneinsatz war der Knackpunkt ein kollektives politisches Führungsversagen. Sie bestätigen, was mir seit etlichen Jahren immer deutlicher wurde, was ich aber als Bundestagsabgeordneter nicht ernst genug nahm: Die Spitzen der Bundesregierung hatten kein sonderliches Interesse an Afghanistan, seinen Menschen und der Aufbauunterstützung dort. Ausschlaggebend war Solidarität mit den USA.

Da war es kein Wunder, dass in Berlin erst zwei Jahre nach Einsatzstart ein erstes dürftiges Afghanistankonzept entstand, dass die diplomatische und polizeiliche Komponente bis 2008/09 sträflich unterausgestattet war, dass auf Warnungen hoher Offiziere vor Lageverschärfungen ab 2006 notorisch mit Abwehr reagiert wurde, dass sich Realitätsverleugnung und Schönrednerei breitmachten. Kein Wunder, dass trotz drängender Forderungen seit 2006 eine systematische, selbstkritischer Bilanzierung und Wirkungsanalyse verweigert wurde.

Zigtausende Frauen und Männer in Uniform wie in Zivil wurden von Bundesregierung, Bundestag und Durchführungsorganisationen nach Afghanistan entsandt, in enorme Herausforderungen, hohe Belastungen und zum Teil extreme Risiken. Sie haben sich bewährt und Hoffnung gemacht. Tausende Einsatzsoldaten draußen mussten ab 2008/2009 immer häufiger schießen, töten, eigene Verwundete und Gefallene erleiden. Der Einsatz geht ihnen nicht mehr aus dem Kopf, bei nicht wenigen ist er eine jahrelang schmerzende Wunde. Und dann realisieren müssen, dass es die Spitzen der verantwortlichen Politik gar nicht ernst gemeint haben mit dem Einsatzauftrag und den hehren Zielen des UN-Mandats, das ist zum Verzweifeln. So wurde Vertrauen in Politik und Innere Führung von höchst oben zersetzt und von wechselnden sturen Koalitionsloyalitäten flankiert.

Trotz aller immer noch vorhandenen Teilfortschritte in Afghanistan - immer mehr Einsatzrückkehrer erleben einen nachträglichen Sinnverlust ihres Einsatzes. Dem muss sich Politik stellen, die Außen-, Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsminister wie der Bundestag. Sich und die Öffentlichkeit zu Afghanistan ehrlich zu machen, selbstkritisch und gründlich zu lernen, wäre jetzt das Mindeste. Alles andere wäre verweigerte Verantwortung.

Winfried Nachtwei, Münster

Nicht sicherer geworden

56 deutsche Soldaten sind bis heute in Afghanistan umgekommen, mehr als 90 000 Menschen haben in diesem Krieg ihr Leben verloren. Für mich als ehemaligen Zeitsoldaten stellt sich die Frage nach dem Warum. Was haben unsere jungen Frauen und Männer am Hindukusch zu verteidigen? Ist unsere Freiheit durch den Einsatz auch nur ein Stück weit sicherer geworden, oder unterstützen wir eine Koalition, die ganz andere Interessen vertritt? Ich meine, wir sollten das Abenteuer beenden, der tägliche (!) Aufwand von 735 000 Euro wäre sicher besser angelegt in der Ausstattung und Qualifizierung unserer Soldaten.

Herbert Häger, Schleching

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