Zweite Runde der Exzellenzinitiative:Die geistige Elite

Lesezeit: 4 min

Sechs weitere Hochschulen sind zu "Elite-Unis" gekürt worden. Das ist zu viel des Guten und weckt den Verdacht, dass man es aus regionalpolitischen Gründen möglichst vielen recht machen wollte. Wichtiger ist jedoch, dass der Exzellenz-Wettbewerb langfristig fortgesetzt wird.

Tanjev Schultz

Was geschähe, wenn sich heute ein Rektor vor die Studenten und Professoren seiner Hochschule stellte und ihnen zuriefe: "Die Universität ist die wichtigste Anstalt und das Heiligste, was das Menschengeschlecht besitzt." Würde er ausgelacht, ignoriert oder für verrückt erklärt werden? Niemand traut sich mehr, in so hohem Ton den Geist der Universität zu beschwören, und die moderne Nüchternheit hat gewiss ihre guten Seiten.

Aber die Worte, die Johann Gottlieb Fichte sprach, als er sein Amt als erster gewählter Rektor der Berliner Universität antrat, sind noch immer ergreifend. In ihnen steckt eine Leidenschaft für das akademische Leben, die nicht verloren gehen darf im Wandel der Zeiten.

Am 19. Oktober 1811 hielt der Philosoph Fichte seine Rektoratsrede. Humboldts Universitätsgründung nahm Gestalt an, es war der Beginn einer großen, wenn auch oft verklärten Ära der Wissenschaft in Deutschland. Nun, 196 Jahre später, wieder an einem 19. Oktober, setzt das Finale des Exzellenz-Wettbewerbs die Zeichen für einen neuen Aufbruch.

Er ist nötig, um Schwung in die alte Institution zu bringen. Die Hochschulen sind ja nicht heilig im Sinne einer Unantastbarkeit. Die Exzellenzinitiative trägt dazu bei, dass sie sich auf ihre unterschiedlichen Stärken konzentrieren und zumindest einige deutsche Unis für die weltweit besten Forscher attraktiv werden oder attraktiv bleiben.

Elite sein, ohne Dünkel

Der Wettbewerb setzt die Professoren aber auch unter Stress, er erzeugt Gewinner und Verlierer. Dass ausgerechnet die Humboldt-Uni leer ausgeht, hat etwas Tragisches. Die Erbin der alten Berliner Universität, die in den Zeiten von Fichte, Hegel und Helmholtz zum Inbegriff einer modernen Hochschule wurde, hat ihre frühere Kraft noch nicht wiedererlangt. Sie musste sich nach dem Fall der Mauer neu organisieren, intern gibt es immer wieder Zwist. Zum Trost: Auch in den Gründerjahren war es nie leicht. Fichte trat schon bald als Rektor zurück, entnervt von Händeln der Studenten und Konflikten mit den Professoren.

Auch wenn dieser Prozess schmerzlich ist: Der Wettbewerb unterstützt die notwendige Differenzierung der Hochschullandschaft. Zu lange wurde so getan, als seien alle Universitäten gleich (gut).

Zu lange herrschte im deutschen Bildungssystem eine verkehrte Welt: Schon früh werden Kinder auf verschiedene Schulformen aufgeteilt, wodurch vielen die Chance auf eine gute Bildung genommen wird. Doch ausgerechnet da, wo es sinnvoll und zumutbar ist, nämlich bei den Hochschulen, Studenten und Wissenschaftlern, gibt es eine Scheu, strenger nach Leistungen zu unterscheiden.

Es geht nicht darum, eine dünkelhafte Elite hervorzubringen. Noch immer stimmt Adornos Satz, man möge in Gottes Namen Elite sein, aber niemals dürfe man als solche sich fühlen. Es geht darum, guten Forschern die besten Bedingungen für ihre Arbeit zu verschaffen. Es sind eben nicht alle 100 Unis gleich großartig, und unter den mehr als 30.000 Professoren des Landes gibt es viele, von denen man sich überhaupt einmal wieder einen Beitrag zur Forschung wünschte.

So teuer wie der Transrapid

Jahrzehntelang dümpelten die Hochschulen vor sich hin, man begann sich damit abzufinden, dass sie ihre internationale Klasse verloren hatten. Zu wenig Geld, zu wenig Professoren und eine lähmende Staatsbürokratie: Die Universitäten sind "im Kern verrottet", urteilte Dieter Simon, der frühere Chef des Wissenschaftsrats, Anfang der neunziger Jahre.

Mittlerweile lässt der Staat den Unis mehr Freiheit, er gibt ihnen mit der Exzellenzinitiative auch etwas mehr Geld. Die Summen, die da verteilt werden, sind eine Wohltat für die Forscher, auch wenn die Dimensionen weiterhin bescheiden sind; 1,9 Milliarden stehen für den gesamten Wettbewerb bereit. Die Summe entspricht etwa den veranschlagten Kosten für die Transrapid-Strecke in München.

Auf Dauer wird die besondere Förderung für Forscher allerdings nur dann genügend Rückhalt finden, wenn die breite Masse der Hochschulen nicht völlig abgehängt wird. Vor allem die Zustände in der Lehre sind vielerorts - übrigens auch noch an den "Elite-Unis" - unerträglich. Verständlicherweise können deshalb viele Professoren und Studenten mit dem Exzellenz-Gerede wenig anfangen. Es wäre aber falsch, so lange gar nichts für die Spitzenforschung zu tun, bis es an jeder Uni genügend Professoren gibt, um alle Studenten vernünftig zu betreuen.

Zu viel des Guten

Manche Wissenschaftler ärgert der Wettbewerb, weil sie das Gefühl haben, ihre Exzellenz werde übersehen. Bedeutet denn die Kür von "Elite-Unis", dass andernorts nur mediokre Forscher am Werk sind? Es wäre schlimm, wenn dieser Eindruck entstünde. Wer sehr gute Historiker sucht, findet sie in Tübingen, in Bielefeld sitzen hervorragende Soziologen, in Bonn und Köln renommierte Volkswirte.

So könnte man noch lange fortfahren. Nur wenige Universitäten können aber als gesamte Institution international zu den Besten zählen. Dass nun am Freitag gleich sechs "Elite-Unis" gekürt wurden, ist so gesehen zu viel des Guten und weckt den Verdacht, dass man es aus regionalpolitischen Gründen möglichst vielen recht machen wollte.

Kritiker stoßen sich ohnehin am Tamtam, mit dem der Wettbewerb inszeniert wird; sie sehen darin nur ein hohles Spektakel. Dabei ergehen sie sich aber auch selbst gern effekthascherisch in Übertreibungen: Sie bejammern den "Tod" der Universität, sehen verschwörerische "Machtkartelle" am Werk oder tun so, als würden Professoren gezwungen, an der Exzellenzinitiative teilzunehmen.

All dies ist nicht der Fall. Nicht dunkle Mächte, sondern international erfahrene Gutachter entscheiden den Wettbewerb. Und der Tod der Universität wäre eher zu befürchten, wenn sie erstarrte und die Wurstigkeit sich fortsetzte, die sich schon viel zu sehr ausgebreitet hat. Aber einen Mitmach-Zwang gibt es nicht. Und es ist auch keinem Professor verboten, ganz allein und ohne jeden Exzellenz-Antrag ein großes Werk zu schreiben.

Sicher: Immer öfter beknien auf Drittmittel getrimmte Rektoren ihre besten Leute, immer wieder neue Forschungsanträge zu stellen. Mit der Projektförmigkeit der Forschung darf man es aber nicht übertreiben. Gerade die guten Professoren müssen lernen, Nein zu sagen, wenn sie fürchten, ihre Zeit zu vergeuden. Sonst mutieren sie, da ist den Kritikern des Wettbewerbs zuzustimmen, zu Projektmanagern und Fast-Food-Forschern, deren Arbeit an Tiefe verliert.

Kreativität lässt sich nicht verordnen, sie braucht Zeit. Wenn der Wettbewerb um die beste Idee zum rasenden Schaulaufen wird, bleibt am Ende nur die Simulation von Kreativität. Deshalb dürfen die Hochschulen ihre Wissenschaftler nicht zu sehr verplanen. Die akademische Freiheit kann leicht im Schlendrian enden, aber sie war und bleibt der "eigentlich belebende Odem der Universität" (Fichte). Wenn der Exzellenz-Wettbewerb, wie zu hoffen ist, langfristig fortgesetzt wird, muss er weniger hektisch ablaufen als in den vergangenen zwei Jahren. Sonst geht den Forschern bald die Puste aus.

© SZ vom 20. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: