Zweite Chance im Job:Mit 50 fängt das Berufsleben erst an

Noch vor wenigen Jahren gingen sie in den Vorruhestand, heute wollen viele Ältere sich wieder auf dem Arbeitsmarkt behaupten. Davon können sowohl die Unternehmen als auch die Mitarbeiter profitieren - sofern sie offen für Neues sind.

Anne-Ev Ustorf

Jeden Morgen könnte Peter Hahn sich extrem alt fühlen. Wenn er um neun Uhr sein Großraumbüro in Berlin-Mitte betritt, schaut der 65-Jährige in junge Gesichter. Um die dreißig sind die meisten seiner Kollegen, der älteste ist 38. Doch Hahn arbeitet gern mit ihnen zusammen. "Meine Kollegen halten mich jung", sagt er. Hahn ist Head of International Sales bei einem großen Internetanbieter. Er verkauft digitale Marketingprodukte, ein Traumjob für den gelernten Werber, der mit 50 Jahren auf das Internet umsattelte. Nun bereist er die Welt und berichtet anschließend seinem 29 Jahre jüngeren Chef. Für Hahn kein Problem. "Viel mehr Sorgen macht mir die Pensionierung", sagt er, "ich würde so gern noch weiterarbeiten." Zwei Jahre konnte sein Chef noch für ihn rausschlagen - doch dann, mit 67, muss Hahn in Rente gehen.

Arbeitnehmer jenseits der 50 hatten es viele Jahre nicht leicht in Deutschland. In den 1990er-Jahren noch galt ein 50-jähriger Arbeitsloser als nicht vermittelbar. Und auch heute wird Älteren häufig vorzeitig gekündigt oder sie werden mit Abfindungen in den Vorruhestand verabschiedet. Doch mittlerweile ist die oft beschworene Trendwende da: Immer mehr Menschen über 60 sind noch berufstätig.

Eine neue Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt: Von allen arbeitsfähigen Senioren in Deutschland zwischen 60 und 64 Jahren sind im vergangenen Jahr 44 Prozent einer Arbeit nachgegangen oder hätten sich zumindest als Arbeitslose um einen Job bemüht. Noch vor 20 Jahren war die Erwerbsquote in dieser Altersgruppe nur halb so hoch.

Leute wie Peter Hahn zeigen, dass ältere Arbeitnehmer problemlos mit jungen Kollegen mithalten können, wenn sie entsprechend qualifiziert sind. Denn die heutigen "Älteren" sind fitter, flexibler und gesünder als je zuvor: Laut Statistik wird jeder zweite Mann in Deutschland mindestens 80 und jede zweite Frau sogar 85 Jahre alt. Deutsche Arbeitnehmer können also durchaus länger arbeiten.

Und um einer langen Erwerbslosigkeit und Altersarmut im Rentenalter entgegenzuwirken, plädieren viele Arbeitsmarktforscher und Karriereberater für die Schaffung neuer Tätigkeitsformen für das späte Berufsleben und die Nacherwerbsphase jenseits der 65. Fazit: Auch 50-Jährige tun gut daran, sich Gedanken über berufliche Perspektiven zu machen. Statt die Zeit bis zur Rente abzusitzen, kann es sich für ältere Arbeitnehmer nämlich durchaus lohnen, wie Peter Hahn die eigenen Kompetenzen zu stärken oder sogar eine berufliche Umorientierung zu wagen.

Doch wie realistisch ist der Plan, mit 50 beruflich neu anzufangen? Oft haben ältere Arbeitnehmer keine Wahl, weil in ihrer Branche nichts mehr möglich ist - oder sie nach einem anstrengenden und frustrierenden Berufsleben auf der Suche nach neuer Sinnhaftigkeit im Job sind.

Umorientierung im Rentenalter

Roger Henrichs, Geschäftsführer der Hamburger Personal- und Unternehmensberatung 2coach, beschreibt eine berufliche Umorientierung mit 50 plus als einen "mühevollen und von vielen Rückschlägen begleiteten Weg". Dennoch rät er nicht davon ab. Denn am Ende sei eine Umorientierung meist mit Gefühlen von großer Zufriedenheit, Stimmigkeit und Klärung verbunden. Viele Beispiele aus seiner eigenen Beratungsfirma kann Henrichs geben: Da ist die Empfangsdame, die nach der Kündigung ihr ehrenamtliches Engagement als Patin zum Beruf machte und nun für eine Wohltätigkeitsorganisation arbeitet; die 60 Jahre alte Krankenschwester, die mehr Kontakt zu Kindern haben wollte und in einem Waldkindergarten anheuerte; der Versicherungsvorstand, der mit seiner großzügigen Abfindung einen Oldtimer-Suchdienst gründete.

Ein professionelles Coaching kann dabei helfen, eigene Ressourcen zu erkennen und sich neue Ziele zu setzen. "Menschen der Generation 50 plus muss man manchmal sanft massieren, damit sie sich trauen", sagt Henrichs. "Das ist eine tugendhafte Generation, die viel Wert auf Zertifizierungen setzt. Wenn man aber genau nachschaut und prüft, wo die Kompetenzen und Interessen liegen, ist vieles möglich - ohne Diplom. Auch weil es oft ein finanzielles Polster durch Abfindungen oder Zuschüsse zu Arbeitslosenleistungen gibt."

Max Keller, Bereichsleiter bei der Arbeitsagentur München, setzt bei älteren Arbeitnehmern hingegen vor allem auf Weiterbildungen, um sie wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen. "Vollumschulungen finanzieren wir nur, wenn der Arbeitnehmer das will oder eine Erkrankung vorliegt, die eine Rückkehr in die alte Tätigkeit unmöglich macht", erklärt Keller, "Arbeitnehmer fangen sonst ja wieder auf dem Lohnniveau eines Berufsanfängers an. Wir empfehlen vielmehr, durch fachliche Weiterbildungen eigene Defizite auszugleichen - dann bekommen die Arbeitgeber Leute mit Berufserfahrung und guten fachlichen Kenntnissen."

In einem Punkt sind sich Henrichs und Keller einig: Ältere Arbeitnehmer haben heute deutlich bessere Chancen als noch vor zehn oder 20 Jahren. Beflügelt durch den Fach- und Führungskräftemangel, sei auf dem Markt eine Trendwende erkennbar. Unternehmen wüssten die Potenziale älterer Mitarbeiter zunehmend zu schätzen. "Mitarbeiter jenseits der 50 verfügen in der Regel über ein hohes Leistungs- und Verantwortungsbewusstsein, aber nicht unbedingt über starke Karriereambitionen", erklärt Henrichs, "ältere Mitarbeiter haben in der Regel außerdem eine bessere Frustrationstoleranz und Reflexionsfähigkeit. Und das macht sie - ganz zu schweigen von ihrem großen Fachwissen - zu attraktiven Arbeitskräften. Ich kenne eine Reihe von Unternehmen, die ihre qualifizierten älteren Mitarbeiter inzwischen wieder zurückzuholen versuchen."

Ein Trend, der sich fortsetzen wird: Arbeitgeber sind mehr denn je gefordert, ihren Beschäftigten attraktive Rahmenbedingungen zu bieten, die ihnen möglichst lange die Ausschöpfung ihres körperlichen und geistigen Potenzials im Job ermöglichen. Mit dem Nebeneffekt, dass so auch die negative Rentenentwicklung und eine mögliche Altersarmut abgefedert werden könnten. Eine Erwerbstätigkeit über das 65. Lebensjahr hinaus kann sich lohnen - vorausgesetzt, die Arbeit wird als sinnstiftend empfunden und angemessen entlohnt. Verkäufer Peter Hahn macht es vor.

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