Bewerbungsverfahren:Chef, was hast du mir zu bieten?

Bewerber buckeln, Personaler haben die Wahl? Das war einmal. In Zeiten des Fachkräftemangels sind es die Unternehmen, die sich um passende Kandidaten bemühen. Das verändert auch das Vorstellungsgespräch - und die Verhandlungsposition der Bewerber.

Maria Holzmüller

Das Blut pocht in den Schläfen, das Herz rast. Und wohin mit den feuchten Händen? Kurz vor dem Vorstellungsgespräch gehen manche Bewerber durch ihre ganz persönliche Hölle. Während der Arbeitgeber cool auf der anderen Seite des Tisches sitzt, eingehüllt in die Aura der Überlegenheit, schleudert das Gehirn der Bewerber eine Frage nach der anderen ins Bewusstsein: Wie präsentiere ich mich am besten? Wie überzeuge ich den Arbeitgeber? Wie komme ich an den Job?!

Bewerbungsgespräch

Kniffelige Frage: Wenn es um ihre Gehaltsvorstellungen geht, tun sich viele Job-Einsteiger schwer.

(Foto: endostock - Fotolia)

Solche Szenarien spielen sich tagtäglich in deutschen Personalbüros ab - noch. Waren es jahrelang die Bewerber, die um die Gunst potentieller Arbeitgeber buhlen mussten, könnte es in vielen Branchen bald andersherum sein. Bereits jetzt sprechen Experten vom Fachkräftemangel, Unternehmen klagen über fehlende Bewerber. Und die Entwicklung steht noch am Anfang.

Laut einer Berechnung der Bundesregierung sinkt das Potential an Erwerbspersonen in Deutschland, also der Menschen, die arbeiten können, bis 2025 um 6,5 Millionen. Der Arbeitgebermarkt wird mehr und mehr zum Bewerbermarkt. Das wirkt sich auch auf die künftige Gestaltung von Bewerbungsprozessen aus. "Die Firmen müssen von ihrem hohen Ross herunterkommen, sie müssen sich bewerben - um die Bewerber", sagt Personalberater Christian Pape, Autor des Buches Traum!Job!Now!. "Auch wenn die großen Marken sich noch immer nicht vor Bewerbungen retten können - kleinere Firmen haben schon jetzt Probleme, gute Mitarbeiter anzuwerben. Und auch die großen Firmen werden früher oder später Schwierigkeiten bekommen", sagt Pape.

In der Folge müssen auch sie sich künftig so gut wie möglich präsentieren. Einseitige Auswahlverfahren wie das Assessment-Center seien dann nicht mehr zeitgemäß. "Da werden Bewerber gegrillt und mit psychologischen Fragen bombardiert, damit das Unternehmen herausfindet, ob sie auf die Stelle passen. Aber niemand achtet darauf, ob das Unternehmen auch zum Bewerber passt. Die Firmen befriedigen lediglich ihr eigenes Ego", sagt Pape.

Mehr Zeit für Gespräche

Dabei wäre es für alle Beteiligten wichtig, dass auch der Bewerber kritisch hinterfragt, ob der Job, auf den er sich bewirbt, auch der richtige ist. Nicht nur die Stelle ist von Bedeutung, sondern vor allem auch die Unternehmenskultur. "Die meisten Kandidaten bewerben sich zu unkritisch und achten nur auf die Jobbeschreibung. Dann landen sie oftmals in einem Unternehmen, dessen Kultur ihnen nicht zusagt", sagt Pape. Die Folge: Unzufriedenheit und Überforderung bis hin zum Burn-out.

Das sieht auch Hans-Joachim Maar, Partner bei der Personalberatung Rochus Mummert, so. Der Ursprung zahlreicher Burn-out-Erkrankungen liegt seiner Meinung nach in einer unkritischen Karriereplanung. "Wer jeden Job auf der Karriereleiter annimmt, ohne in einem ehrlichen Selbstcheck zu hinterfragen, ob er von seiner Arbeits- und Denkweise wirklich dafür geeignet ist, landet schnell im fremdbestimmten Hamsterrad" sagt er. "Arbeitnehmer brauchen Distanz und müssen sich fragen, was ihnen wirklich wichtig ist", sagt er.

Wollen sie lieber in einem US-amerikanischen Unternehmen arbeiten, in dem es vielleicht mehr auf Selbstdarstellung ankommt? Oder lieber in einer japanischen Firma, wo vielleicht alles ein wenig geduldiger gehandhabt wird? Oder besser für ein mittelständisches Unternehmen, dessen Chef den persönlichen Kontakt pflegt? Entspannt sich der Bewerbungsmarkt für die Beschäftigten, sollten sie die Zeit nutzen, darüber nachzudenken.

Und die Chefs? Auch sie müssen sich umstellen, davon ist Personalberater Maar überzeugt: "Gerade die Leistungsträger unter den Angestellten hinterfragen heute regelmäßig, ob ihr aktuelles Arbeitsverhältnis noch ihren Interessen und Bedürfnissen gerecht wird. Umso mehr müssen sich Arbeitgeber bemühen, für die Beschäftigten attraktiv zu sein."

Thomas Schwartz, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität Augsburg, plädiert in diesem Zusammenhang für mehr Wertschätzung des Menschen, der jeder Angestellte auch ist. "Eine erfolgreiche Führungskraft muss erkennen, welche Potentiale in jedem Einzelnen stecken und diese Potentiale dann auch fördern. Sie müssen entwickelt werden, sonst wird die Person unglücklich", sagt der Professor, der auch Pfarrer ist, und fügt hinzu: "Wertschätzung führt zu Wertschöpfung." Mitarbeiter, die sich ernst genommen fühlen und gefördert werden, arbeiten gut und bleiben im Unternehmen.

Um diese Förderung und gute Zusammenarbeit zu gewährleisten, müssen sich Vorgesetzte und Mitarbeiter jedoch besser kennenlernen. Von Seiten des Chefs erfordert das mehr Zeit für die Kommunikation mit seinen Mitarbeitern. "Eine Führungskraft sollte 70 Prozent ihrer Zeit damit verbringen, mit den eigenen Mitarbeitern zu sprechen", sagt Schwartz.

Aber auch die Bewerber sind gefragt, und das schon vor der Einstellung, sagt Personalberater Pape. "Kritische Fragen im Bewerbungsgespräch können bei der eigenen Entscheidung helfen. Wie gehen Sie mit Ihren Mitarbeitern um? Wie entwickeln Sie Ihre Mitarbeiter weiter? Wie sind die Entscheidungswege im Unternehmen?" Alles Fragen, die jeden Bewerber interessieren sollten. Und die Personaler, die gute und motivierte Mitarbeiter wollen, sollten offener denn je darauf antworten.

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