Zukunft der Arbeit:Gemütliches Meeting bei Rotwein und Pasta

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Verschwimmt die Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit?

Sylvia Englert

(SZ vom 9.6.2001) In Amerika, schon so oft Vorbild und Trendsetter für Europa, halten sich die Menschen wesentlich länger im Betrieb auf als bei uns - durchschnittlich 2050 Stunden. Die Deutschen kommen auf ganze 1600 Stunden im Jahr.

Arbeitsbesprechung im Café (Foto: photodisc)

Die Amerikaner: ein Volk von emsigen Arbeitsbienen? Keineswegs: "In den USA findet ein Teil des sozialen Lebens im Betrieb statt, die Arbeitszeit ist aber nicht unbedingt produktiver als in Deutschland", erklärt André Büssing, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der TU München. Die Unternehmen fördern das nach Kräften: Große Computerfirmen haben laut Büssing in den USA bereits künstliche Siedlungen gebaut, um ihre Mitarbeiter und ihre Familien über die Arbeit hinaus auch in der Freizeit noch stärker zu integrieren.

Andere Länder, andere Sitten? Die Anzeichen sprechen dagegen, auch in Deutschland beginnt die Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit zu verschwimmen.

Das Ergebnis zählt

Er ist schon Legende geworden, der Kicker in den Büros von New Economy Firmen. Während der Arbeitszeit wird zur Entspannung auch mal schnell ein paar Minuten lang ein Computerspiel gestartet. Isfried Högerle, Produktmanager Financial Services bei der Firma Abaxx, steht seinem Unternehmen jede Woche zwischen 50 und 65 Stunden zur Verfügung. Aber er geht zwischen Meetings auch schon mal ins Fitnesscenter oder zieht seine Inline Skates an.

"Bei uns ist egal, wie man arbeitet, man muss nur ein brauchbares Ergebnis abliefern", sagt er. "Ob ich eine Stunde Skaten oder in die Stadt gehe, interessiert keinen." Gibt es nicht trotzdem scheele Blicke von Vorgesetzten und Kollegen? "Nein, die Vorgesetzten machen es ja auch so. Es wird eher gefördert."

Mein Hobby, die Arbeit

Es wird sie immer geben, diejenigen, die nach dem Motto "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps" leben. Doch selbstverantwortliche Arbeit nimmt zu und damit die Zahl derer, die sich stark mit ihren Projekten identifizieren, bei denen Arbeit und Hobby verschmelzen. "Für mich hat die Arbeit einen gewissen Freizeitwert, weil hier gute Stimmung herrscht. Durch die Atmosphäre kommt es einem nicht wie Arbeit vor", meint Gunnar Piening, Associate Director Business Development bei Verbraucherportal Ciao.com. Bei Ciao ist es üblich, auch sonntags ins Büro zu schauen; damit hat Piening kein Problem. Auch nicht mit dem traditionellen Freitagabend-Treffen, das die Mitarbeiter nutzen, um sich über neue Entwicklungen in den Abteilungen auszutauschen. Danach ziehen einige der Kollegen noch gemeinsam um die Häuser.

Die Freizeit hält Einzug in die Arbeitswelt, aber auch die Firma in die Freizeit. Das Handy ist immer dabei - und damit auch der Arbeitgeber, der einen erreichen kann, das Projekt, das sich nicht mehr so leicht aus dem Bewusstsein verdrängen lässt. Durch Home Office und Telearbeit wird das traute Heim zur Außenstelle des Unternehmens.

Wird sich dieser Trend fortsetzen? "Die Trennlinie löst sich zunehmend auf - und das ist weitgehend unabhängig von der New Economy", bestätigt Büssing. "Das Zusammenrücken der Lebensbereiche wird stärker. Aber nach der Familiengründung bemühen sich die Leute meist, diese Bereiche wieder klarer zu trennen. Und so weit wie in Amerika wird es bei uns sicher nicht kommen, dazu sind die kulturellen Unterschiede zu groß."

Ende der Zwölf-Stunden-Tage

Auch die finanziellen Schwierigkeiten der Internetbranche haben diesem Trend einen Dämpfer verpasst. "Man hört viel davon, dass wir alle Freunde seien in New-Economy-Unternehmen, dass alle ihre gesamte Freizeit in der Firma verbringen, weil es so cool ist. Das ist früher so gewesen, aber das ist nicht mehr uneingeschränkt so", sagt Gunnar Piening. "Zwölf-Stunden-Tage im Büro kommen fast nicht mehr vor, das lässt sich auf Dauer einfach nicht durchhalten. Und nach der Arbeit gibt es auch Momente, wo man sagt, man möchte heute definitiv nichts mit Leuten zu tun haben, die Ciao auch nur kennen, damit das Thema Arbeit garantiert nicht aufkommt."

Noch bis vor kurzem hielt man bei Ciao die Marketingsitzungen in gemütlicher Runde bei Rotwein und Pasta ab. Für so etwas macht die Firma heute kein Geld mehr locker.

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