Zukunft der Arbeit:Die Vermessung der Mitarbeiter

Zukunft der Arbeit: Namen sind nicht wichtig: Aus abertausenden anonymisierten Datensätzen könnte das Muster für den perfekten Mitarbeiter generiert werden. Wer wollte das nicht haben?

Namen sind nicht wichtig: Aus abertausenden anonymisierten Datensätzen könnte das Muster für den perfekten Mitarbeiter generiert werden. Wer wollte das nicht haben?

(Foto: Vladimir Kudinov / Unsplash)

Eine Analyse-Firma hat sich Zugang zu den Daten von Millionen Facebooknutzern verschafft. Am Arbeitsplatz hinterlassen Beschäftigte noch sensiblere Spuren. Was ließe sich damit anfangen?

Von Larissa Holzki

Bei einem Mitarbeiter laufen viele E-Mails auf. Ständig erhält er Anrufe. Die Gespräche sind kurz. Danach mailt er wenige Worte an eine Person, die daraufhin lange telefoniert. Er selbst ruft immer wieder die gleichen Kontakte an. Auch diese Gespräche sind lang. "Wenn Sie noch herausfinden, dass diese Telefonate in die Chefetage führen, können Sie ziemlich sicher sagen: Das muss ein mächtiger Mensch sein", sagt der Datenschutzrechtler Peter Wedde. Das Beispiel illustriert, welche Aussagekraft anonymisierte Daten haben, wenn man sie mit soziologischem Wissen deutet: Während Organigramme nur zeigen, wie Machtstrukturen und Informationsflüsse in einem Unternehmen verlaufen sollten, zeigen Datenströme, wer wirklich Einfluss hat.

Wo Menschen am Computer zusammenarbeiten, hinterlassen sie Spuren: Wer schreibt wem, wann kommt die Antwort? Wer arbeitet gemeinsam an Dokumenten und in welcher Reihenfolge? Welche Mitarbeiter haben übereinstimmende Termine, viele Kontakte und die größte Zustimmung zu Beiträgen im Forum? Microsoft, der größte Softwarehersteller der Welt, liest all das mit. Aus den Betrieben, in denen das Paket Office 365 aus Online-Dienst, Webprogrammen und Bürosoftware genutzt wird, saugt es sämtliche Beziehungsdaten ab. Dass sie anonymisiert sind, wiegt viele in falscher Sicherheit.

Peter Wedde und der Informatiker Heinz-Peter Höller haben für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung eine Studie erstellt, die zeigt, wie Daten künftig darüber bestimmen könnten, wer in einem Unternehmen Karriere macht und wer rausfliegt - schon deshalb, weil er sich mit den falschen Kollegen austauscht. Noch setzt der Datenschutz diesem Szenario zwar Grenzen, doch nicht zuletzt der Datenskandal bei Facebook ist Anlass genug, es einmal durchzuspielen. Denn selbst wenn Microsoft kein Geld mit seinen Kundengeheimnissen verdienen wollte: Betriebswirte und Personalentwickler hätten ein mächtiges Interesse daran, sogar wenn die Daten völlig anonymisiert sind.

Personalentwicklung 4.0: Rauswurf nach Raster?

Die Autoren der Studie haben sich vor allem den Office Graph 365 angesehen, eine Art Selbstlernfunktion von Microsoft, die viele Menschen unbewusst schon kennen: Schlägt zum Beispiel das Mailprogramm beim Klick auf "Datei anfügen" das gesuchte PDF-Dokument direkt vor, dann deshalb, weil es mitlernt. Etliche Nutzer wandeln regelmäßig Präsentationen in das geschützte Format um, um sie gleich darauf per Mail zu versenden. Für jeden, der so arbeitet, ist das ziemlich praktisch. Aber was ist, wenn ein bestimmtes Verhaltensmuster als Ideal gilt? Wenn Arbeitgeber dieses Ideal kennen und ihre Mitarbeiter mithilfe von Algorithmen daran messen könnten?

Ließe sich beispielsweise beobachten, dass namenlose Mitarbeiter in vielen Unternehmen zehn Monate vor ihrer Kündigung angefangen haben, E-Mails unregelmäßiger zu beantworten und keine Termine mehr für Kaffeepausen mit Kollegen vorzumerken, könnte man daraus ableiten, dass auch der eigene Angestellte das Unternehmen verlassen wird, wenn er sich so verhält. Ein darauf programmiertes Alarmsystem könnte den Arbeitgeber veranlassen, ihm wichtige Informationen vorzuenthalten. Der Mitarbeiter würde isoliert, unzufrieden - und vielleicht kündigen, obwohl er das nicht im Sinn hatte.

Angestellte in den USA jagen schon den Social Highscore

Wie gesagt: Zulässig ist das nach europäischen Richtlinien nicht. "Anonym gespeicherte Erkenntnisse dürfen nur dann auf vorhandene personenbezogene Daten einzelner Beschäftigter rückbezogen werden, wenn dies für das Beschäftigungsverhältnis erforderlich ist", sagt Peter Wedde. Das sei in diesem Fall sicher nicht gegeben. Die Bausteine für einen solchen Mitarbeiterscan sind aber schon da.

Der Soziologe Christian Stegbauer erforscht Netzwerke in Organisationen und schätzt die Aussagekraft der Daten ähnlich hoch ein wie Wedde: "Die Frage, wer für ein Unternehmen wichtig ist, hängt von seinem Netzwerk ab", sagt er. Bisher stützen er und seine Kollegen Untersuchungen vor allem auf Interviews: Mitarbeiter werden etwa gefragt, an wen sie sich wenden, wenn sie ein arbeitsspezifisches Problem haben - mehr ließen Betriebsräte meist nicht zu. "Als Forscher würde ich einiges dafür geben, auf Daten wie die von Microsoft zugreifen zu können", sagt Stegbauer. "Aber wenn private Unternehmen solche Daten generieren und Erkenntnisse gewinnen können, die der Öffentlichkeit so nicht möglich sind, macht mir das Sorgen." Wie will man da auch überprüfen, ob sie angewendet werden?

Mit den Daten aus Mailprogramm, Kalendern, Firmennetzwerk und Internettelefonie könnten Unternehmen Mitarbeiter ausmachen, die überflüssig sind, sagen Wedde und Höller - zum Beispiel weil einer viel an andere kommuniziert, aber keine Reaktion erzeugt: Seine Beiträge kümmern offenbar niemanden. Soziologe Stegbauer hält diese Ableitung je nach Position und Funktion für plausibel.

Auch ein Mitarbeiter, der anderen Abteilungen nichts zu sagen hat, dessen Kontaktdaten aber für enge Beziehungen sprechen, könnte Managern auffallen und ungelegen sein. Andersrum könnten sie Mitarbeiter mit Führungspotenzial entdecken - weil Daten zeigen, dass Kollegen ihren Rat suchen und ihre Ideen aufgreifen. Personalvermittler versuchen bereits, Jobkandidaten anhand solcher Beziehungsmuster automatisiert in Karrierenetzwerken aufzuspüren. Dort ist es also keine Spielerei mehr.

Auch Betrieben sollte das Datensaugen ungeheuer sein

Auch auf die tägliche Arbeit wirken sich Analysen von Mitarbeiter-Beziehungen schon aus: Funktionen im Nachrichtendienst Slack etwa sagen Nutzern, wie wichtig eine E-Mail ist, und schlagen Kollegen vor, sich bei einem Kaffee kennenzulernen. Mit der Microsoft-Software Delve können Angestellte sehen, wo sie ihre Zeit vergeuden und - wenn sie sich gegenseitig freischalten - ob andere rege an gemeinsamen Projekten arbeiten.

Der US-Konzern IBM verbindet seine Analysefunktion gleich mit einer Botschaft: Wer im Firmennetzwerk nicht so stark engagiert ist, kann seinen Score verbessern, indem er mit mehr Kollegen häufiger schreibt. In den USA sei es fast schon üblich, dass Chefs auf solche Daten Zugriff haben und sie überwachen, sagt Peter Wedde.

Die Möglichkeiten, die Datensammlungen wie der Office Graph bieten, sind zu groß, um von Managern und Personalentwicklern langfristig ignoriert zu werden - das ist die Warnung von Wedde und Höller. Aber auch den Betrieben selbst sollten Datensauger ungeheuer sein: Wer die Strukturen und Informationsflüsse eines Unternehmens kennt, kann es kopieren. Interesse an diesen Erfolgsrezepten hätten etwa Unternehmensberater und Wettbewerber.

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