Zu schnell aufs Altenteil:Ein Irrweg namens Frührente

Nur noch 39 Prozent aller 55- bis 65-Jährigen sind in Deutschland berufstätig. Das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft fordert nun eine Offensive für die Qualifizierung älterer Arbeitnehmer.

Helmut Maier-Mannhart

(SZ vom 5.10.2001) Eigentlich sollte in Deutschland der Ruhestand mit dem 65. Lebensjahr beginnen. Das aber war einmal. Nur noch ein kleiner Teil der Erwerbstätigen ist bis zu diesem Alter beruflich aktiv; mit weniger als 60 Jahren räumt der Durchschnitts-Deutsche seinen Arbeitsplatz aus unterschiedlichsten Motiven: Weil er nicht mehr mag, weil er nicht mehr gebraucht wird, weil er es sich leisten kann, die dritte Lebensphase früher beginnen zu lassen, als es die Rentversicherungsträger vorsehen.

Raubbau mit Humankapital

Für Manfred Scholz, Spitzenmanager und daneben Vorsitzender des Vorstandes des Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft, ist es höchste Zeit, das Rad auf diesem Gebiet zurückzudrehen. Die Entwicklung hin zu immer jüngeren Rentnern hält er für eine verheerende Fehlentwicklung, für eine Verschleuderung von wertvollem Humankapital.

Es kann doch nicht angehen, so Scholz, dass die deutsche Wirtschaft auf der einen Seite händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften sucht, dass man eine Greencard-Regelung über den Informations- und Kommunikationssektor hinaus fordert, auf der anderen Seite aber auf erfahrene Mitarbeiter zu einem Zeitpunkt verzichtet, von dem an sie noch diverse Jahre eine wichtige Rolle spielen könnten.

Nicht selten bedeutet dies, dass hochqualifizierte Menschen, Meister mit vielen Jahren Berufserfahrung, den Betrieben nicht mehr zur Verfügung stehen, dass mit ihnen wertvolles Know-how verloren geht.

Welchen Luxus sich das Land mit einer solchen Beschäftigungspolitik leistet, erläutert Scholz am Beispiel der internationalen Szene. Nur noch 39 Prozent aller 55- bis 65-Jährigen sind in Deutschland berufstätig, wogegen es in den USA 60 Prozent und in der Schweiz sogar 71 Prozent sind. Und die Kehrseite sieht dann so aus: Nahezu jeder dritte Arbeitslose ist 50 Jahre und älter, rund 54 Prozent der älteren Arbeitslosen sind Langzeitarbeitslose, weil niemand es der Mühe wert findet, sie in entsprechende Fortbildungsmaßnahmen einzubeziehen.

Wandel in den Köpfen

Das soll und muss sich ändern, fordert Scholz. Dazu ist freilich nicht weniger nötig als ein kultureller Wandel, weg von der Kultur der Frührente und hin zur "Kultur der Spätrente", wie er es nennt.

Er muss in den Köpfen beginnen, freilich auch der Arbeitgeber, denn diese haben ihre Personalprobleme nur allzu oft auf dem Rücken älterer Arbeitnehmer gelöst, die finanziell mehr oder weniger gut ausgestattet in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wurden.

Aber auch der Staat muss weit mehr tun als diese bisher der Fall ist. Von den mageren 5,2 Milliarden DM, welche die Bundesanstalt für Arbeit aus ihrem 102-Milliarden-Etat für Weiterbildung zur Verfügung stellt, entfällt lediglich ein Prozent auf die über 55-Jährigen, ganze fünf Prozent kommen den 50- bis 55-Jährigen zugute.

Investition in die Weiterbildung

Das ist, wie Scholz meint, der völlig falsche Ansatz. Die Überregulierung auf dem Arbeitsmarkt verursache in Deutschland die hohe Arbeitslosigkeit, die dann mit viel Geld in Form von Lohnersatzleistungen kompensiert werden müsse. Deshalb bleiben zu wenig Mittel für die Weiterbildung übrig, die bei einer Höherdotierung aber die Arbeitslosigkeit maßgeblich verringern könnte - ein Teufelskreis.

Um ihn zu durchbrechen, hat Scholz einen radikalen Vorschlag parat. Die deutschen Wirtschaft gibt jährlich 35 Milliarden DM für die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter aus. Den selben Betrag nun sollte der Staat drauflegen, dann ließen sich gerade für ältere Arbeitnehmer Programme in dem notwendigen Umfang auflegen. Was aber passiert zur Zeit? In rund 50 Prozent der bayerischen Arbeitsämter-Bezirke gibt es keine Weiterbildung mehr, weil die Mittel für dieses Jahr erschöpft sind.

Projekte für ältere Arbeitslose

Dabei sind die Erfahrungen, die das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft mit der Fortbildung und anschließenden Wiedereingliederung von älteren Arbeitslosen gemacht hat, ausgesprochen positiv. Die von ihr unterhaltenen Beruflichen Fortbildungszentren und ihre Tochter Fortbildungsakademie der Wirtschaft haben im Jahr 2000 bundesweit 28.600 zuvor arbeitslose Teilnehmer von Weiterbildungskursen wieder aus der Arbeitslosigkeit herausführen können; darunter waren rund 2000 ältere Arbeitslose.

An acht Standorten der Fortbildungszentren werden derzeit Projekte speziell für ältere Arbeitslose durchgeführt, die vom Arbeitsmarktfonds des Freistaates Bayern gefördert sind, an insgesamt 20 von 27 Standorten gibt es unterschiedliche Programme, bei denen der Anteil der über 50-jährigen Teilnehmer bis zu zwölf Prozent beträgt.

Thema für Tarifpolitiker

All diese Bemühungen reichen jedoch nicht aus, um dem Problem der Ausgrenzung älterer Semester auf dem Arbeitsmarkt Herr zu werden.

Deshalb ist Scholz der Meinung, dass das Thema auf eine wesentlich größere Bühne gehört. Die Tarifpolitik könnte die Wende bringen, wenn sie, statt die Frühverrentung zu fördern, eine Offensive für die Weiterbildung und Höherqualifizierung älterer Arbeitnehmer starten würde. Gewerkschaften wie Arbeitnehmer, so sein Kalkül, müssten ein gemeinsames Interesse daran haben, die Leute in den Unternehmen zu halten. Ein Unterfangen, das freilich durch den Gesetzgeber über die von ihm geregelte Altersteilzeit kräftig konterkariert wird.

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