Zeugnis:Zwischen Wahrheit und Wohlwollen

Schöne Formulierungen lassen sich erstreiten, ein guter Eindruck nicht.

Von Nicola Holzapfel

Was schön klingt, kann ganz anders gemeint sein. "Herr Meier war auf seinem Fachgebiet besonders erfahren" bedeutet gerade nicht, dass er ein Fachmann war.

Der Arbeitgeber steckt beim Schreiben eines Zeugnisses in einem Dilemma: Wahrhaftig muss er urteilen, zugleich aber wohlwollend bleiben. "Er hat Hässlichkeiten zu vermeiden", sagt Andreas Mauritz, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht in Göppingen. "Das heißt, wenn ein Mitarbeiter stets unpünktlich erschienen ist, darf der Arbeitgeber dies so nicht schreiben. Aber die Unpünktlichkeit hat natürlich mit seiner Leistung und mit seinem Verhalten im Betrieb zu tun. Also bekommt der Arbeitnehmer eben nicht die Beurteilung stets zur vollen Zufriedenheit und nicht die Beurteilung, dass sein Verhalten stets einwandfrei war".

Wer ein Zeugnis richtig verstehen will, muss daher zwischen den Zeilen lesen, darauf achten, was weggelassen wurde und ob pure Selbstverständlichkeiten erwähnt sind.

Kein Wunder, dass so viele Zeugnisse vor Gericht landen. Im Jahr 2002 sind ihretwegen an deutschen Arbeitsgerichten fast 28.000 Klagen eingegangen. "Ein Arbeitnehmer kann letztendlich jede Formulierung einklagen", sagt Andreas Mauritz.

Schlecht für den erfolgreichen Kläger: Ein neuer Arbeitgeber erkennt sofort, ob er ein erstrittenes Zeugnis vor sich hat. Denn gute Zeugnisse enthalten eine Schlussformel, in der sich der Arbeitgeber bedankt und seinem Mitarbeiter alles Gute wünscht. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2001 haben Arbeitnehmer darauf jedoch keinen Anspruch. Wenn die guten Wünsche fehlen, liegt daher der Schluss nahe, dass im Arbeitsverhältnis etwas vorgefallen sein muss.

Der Anspruch auf ein Zeugnis ist klar geregelt und in der Gewerberordnung festgeschrieben (§ 109). In einem qualifizierten Zeugnis muss der Arbeitgeber eine ausführliche Tätigkeitsbeschreibung liefern und die Leistung sowie das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb beurteilen.

Auch während eines Arbeitsverhältnisses können Mitarbeiter ein Zeugnis verlangen. Der Anspruch auf ein Zwischenzeugnis steht zwar in keinem Gesetzbuch, ist in der Praxis aber anerkannt. Der Wechsel eines Vorgesetzten oder der anstehende Abschied in den Erziehungsurlaub sind typische Situationen, in denen ein Zwischenzeugnis ausgestellt wird.

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