Work-Life-Balance:Raus aus dem Hamsterrad

Auf der Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Arbeit, Familie und Freizeit: Flexible Arbeitszeitmodelle und bessere Gesetze können den Alltag vieler Menschen verbessern. Die technischen Möglichkeiten sind da - doch der Wandel muss in den Köpfen stattfinden.

Sibylle Haas

Zeit für die Familie, den Sport oder das Ehrenamt. Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr davon. Zeit ist zum Luxusgut geworden. Denn die Arbeit frisst sich zunehmend in das Privatleben der Menschen hinein. Das liegt an den Kommunikationsmitteln, mit denen man überall und jederzeit erreichbar ist. Work-Life-Balance heißt das Zauberwort - es geht um ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Nichtarbeit.

Seit mehr als zehn Jahren widmet sich die Beruf und Familie gGmbH von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie hat in den vergangenen Jahren viele Nachahmer gefunden. Inzwischen hat sich ihr Zertifikat zum Qualitätssiegel familienbewusster Personalpolitik entwickelt. Mehr als 1000 Unternehmen, Institutionen und Hochschulen haben sich bis heute zertifizieren lassen. "Viele Arbeitgeber haben erkannt, dass Mitarbeiter motivierter und effizienter sind, wenn sie neben dem Beruf einen Ausgleich haben oder wenn der Chef wegen der Familie eine Auszeit gewährt", sagt Stefan Becker, Geschäftsführer der Gesellschaft.

Dazu gehört die Telekommunikationsfirma Vodafone. Mitarbeiter können für einige Zeit den Job ruhen lassen, um in einer gemeinnützigen Organisation mitzuarbeiten. In dieser Zeit übernimmt Vodafone die Lebenshaltungskosten am Einsatzort. "Wir wollen das soziale Engagement unserer Mitarbeiter unterstützen. Sie bekommen durch die Aufgabe einen anderen Blick und kehren mit neuer Erfahrung und motiviert an den Arbeitsplatz zurück", erklärt eine Firmensprecherin. Auch Stefan Becker ist davon überzeugt, dass so etwas nicht nur den Mitarbeitern nützt, sondern auch den Firmen. "Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Fehltage sinken", sagt Becker. Auch steige die Attraktivität als Arbeitgeber, wenn Unternehmen darauf achten, dass Beschäftigte Beruf und Familie gut vereinbaren können. "Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann dies hilfreich bei der Suche nach neuen Mitarbeitern sein", meint Becker.

Beim Softwarekonzern Microsoft spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schon lange eine große Rolle. Das zwölfköpfige Geschäftsleitungsteam bestehe zur Hälfte aus Frauen, berichtete Brigitte Hirl-Höfer kürzlich auf einem Kongress von Personalern in Berlin. "Vier Frauen davon haben kleine Kinder", betonte Hirl-Höfer, selbst Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland und zuständig für Personalfragen. "Bei Microsoft gibt es keine Präsenzkultur, sondern Vertrauensarbeitszeit und Zielvereinbarungen", erklärte sie. Wann jemand seine Aufgaben erledige, sei seine Sache. Kinder seien für Führungsjobs kein Hindernis. "Ich selbst bin in der Elternzeit gefragt worden, ob ich den Führungsposten haben will", sagte sie. Ihre Geschäftsleitungskollegin Angelika Gifford etwa hatte sich voriges Jahr eine längere Auszeit genommen, um "den Kopf frei zu bekommen und wieder mit mehr Kreativität zurückzukehren".

Auszeit für mehr Einsatz

Das Mercedes-Benz-Werk in Wörth wurde in diesem Jahr zum vierten Mal von Beruf und Familie gGmbH für seine familienfreundliche Personalpolitik ausgezeichnet. Es gibt dort viele kleine Einzelmaßnahmen, vom Jobsharing und mobilen Arbeiten bis hin zu Elternzeitprogrammen und Unterstützungsangeboten zur Pflege Angehöriger.

Während sich immer mehr Firmen darum kümmern, den ehrenamtlichen Einsatz der Mitarbeiter zu fördern oder Eltern bei der Betreuung ihrer Kinder zu helfen, ist die Pflege Angehöriger noch immer ein Tabu. Wie schwer sich die Arbeitgeber damit tun, zeigt eine Umfrage der Beruf und Familie gGmbH. Danach kennen 71 Prozent der deutschen Arbeitgeber keine betrieblichen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. 62 Prozent haben sich bislang noch nicht einmal mit dem Thema beschäftigt.

Das Reha-Zentrum Lübben gehört zu den Ausnahmen. Es hat für pflegende Angehörige nicht nur die Arbeitszeiten flexibilisiert, sondern bietet den Mitarbeitern auch eine Art Urlaub von der Pflege an. Die Angestellten können ihre pflegebedürftigen Angehörigen in der Ferienzeit in der Klinik kostenfrei betreuen lassen. Andere Unternehmen kooperieren mit der Diakonie oder der Caritas, damit ihre Mitarbeiter im Notfall schnell und kostenlos beraten werden. Das Pharmaunternehmen Merz etwa spricht gezielt Männer an, weil Pflege nicht nur als Frauensache wahrgenommen werden soll.

Seit Jahresanfang ist das Familienpflegezeitgesetz in Kraft. Danach können Angehörige erstmals auch Beruf und die Pflege von Angehörigen verbinden. Die Familienpflegezeit sieht vor, dass Beschäftigte für höchstens zwei Jahre ihre wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden absenken können, wenn sie einen Angehörigen versorgen. Wird die Arbeitszeit in der Pflegephase zum Beispiel auf 50 Prozent verringert, gibt es 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Zum Ausgleich müssen die Beschäftigten später wieder voll arbeiten, bekommen aber weiterhin 75 Prozent des Gehalts - bis ihr Zeitkonto wieder ausgeglichen ist.

"Es gibt bei der Pflege deutliche Parallelen zur Kinderbetreuung", sagt Stefan Becker. "Damals waren die Arbeitgeber mit konkreten betrieblichen Maßnahmen auch sehr zurückhaltend. Heute sind die Maßnahmen auch wegen ihrer betriebswirtschaftlichen Vorteile durchwegs anerkannt - dahin müssen wir auch mit der Pflege kommen. Deutschland könnte hier Vorreiter in Europa sein."

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