Wissensmanagement:Kann man Wissen kaufen?

Um Mitarbeiter dazu zu bringen, von ihren Erfahrungen zu erzählen, braucht es mehr als Geld und gute Worte.

Sabine Hense-Ferch

(SZ vom 27.10.2001) Schon in der Schule war das so: Der Banknachbar neben dir quält sich mit der Geometrieaufgabe, die du längst gelöst hast. Vergeblich versucht er, auf dein Blatt zu gucken. Nix da: Löschblatt über die Lösung. Neulich im Vokabeltest hat er dich auch hängen lassen, der Streber. Diesmal weißt du was, das er nicht weiß. Und spielst deinen Vorteil hemmungslos aus.

Eine Einstellung, die sich im Berufsleben fortsetzt - und oft genug bezahlt macht: Trotz Teamarbeit allerorten gilt Know-how noch immer als Besitzstand des Einzelnen, den man nicht so einfach aufgibt. Jedenfalls nicht, ohne etwas dafür zu bekommen.

Keine Zeit, kein Interesse

"Wissen ist Macht" - diese nicht eben neue Erkenntnis geben immer noch zwei Drittel der befragten Unternehmen als Haupthindernis für das Teilen von Wissen an. Dies fand die Unternehmensberatung Kienbaum in einer bereits 1999 veröffentlichten Umfrage unter Betrieben der Investitionsgüterindustrie heraus. Nicht an einer schlechten EDV scheitert ein effizientes Wissensmanagement, sondern an der Einstellung zum Umgang mit dem eigenen geistigen Kapital. "Keine Zeit" wird als häufiges Argument genannt und "kein Interesse", da das Wissen, das man selbst hat, einen Vorteil gegenüber Kollegen bedeutet.

"Knowledge Sharing ist ein unnatürliches Verhalten", stellt die Unternehmensberatung Booz, Allen & Hamilton fest. "Stimmt. Andere vom eigenen Wissen profitieren zu lassen, funktioniert nur, wenn man einen Anreiz hat", denkt auch Professor Heinz Mandl, Lehrstuhlinhaber für pädagogische Psychologie an der Uni München und Knowledge Management-Experte.

Pokern mit Wissen

"Wissensweitergabe kann nicht von oben befohlen werden und klappt nur, wenn in der Firma eine Kultur des Vertrauens herrscht und diese Einstellung auch von den Chefs vorgelebt wird", ist Mandl überzeugt. Auch die Geschäftsleitung solle wie ein offenes Buch ihrerseits das Wissen teilen, das andere im Unternehmen brauchen.

Chefs, die ihre Mitarbeiter vor vollendete Tatsachen stellen und nicht aktiv deren Wissen erfragen, machen sich für das Wissensmanagement unglaubwürdig. Und: Vorgesetzte, die das Pokern mit Wissen belohnen oder dulden, ermuntern ihre Experten geradezu, ihr Know-how zu horten, um zum geeigneten Zeitpunkt damit aufzutrumpfen. "Hinzu kommt: Unternehmen, die Teamarbeit pflegen und die Hierarchien flach halten, haben bessere Voraussetzungen für den Wissensaustausch. Wissen teilen gilt besonders dort als Machtverlust, wo Status und Prestige eine große Rolle spielen und wo Mitarbeiter fürchten, wegrationalisiert zu werden, wenn sie ihren Wissensvorsprung aufgeben", so Professor Mandl.

Horten oder teilen

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Studie "Anreizsysteme im Wissensmanagement" des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart: "Einen offenen Umgang mit Wissen zu erzeugen, ist für viele Firmen sehr schwierig", so Marc Rüger vom IAO, der 3000 Unternehmen zu diesem Thema befragt hat. "Die Unternehmenskultur muss sich radikal ändern, damit Wissensteilung nicht als Machtverlust empfunden wird." Hinzu kommt: Experten, die etwas von ihrem Wissen preisgeben, werden in der Folge häufig "überrannt", obwohl sie ohnehin schon wenig Zeit haben.

"Patentlösungen, um Leute dafür zu belohnen, dass sie Wissen abgeben, gibt es nicht", sagt Rüger. Häufig sei es sinnvoll, diesen ,Experten' eine Weiterentwicklung ihres Wissens in Aussicht zu stellen oder einen Wissensaustausch mit anderen ,Experten', die an ähnlichen Problemen arbeiteten.

Um einen Wandel in Gang zu bringen, hat Rüger herausgefunden, sei auch ein monetärer Anreiz sinnvoll. Zum Beispiel in Form von Chips oder Punkten, die dann in Flugmeilen, Schulungen oder ähnliches umgetauscht werden könnten. Vor allem Unternehmen des produzierenden Gewerbes setzten auf die Kraft des Geldes, während Dienstleister eher an immaterielle Anreize glaubten.

"Sinnvoll ist es allerdings, dass die Verteilung dieser Bonuspunkte öffentlich erfolgt, dann ist die Kontrolle besser und die Gefahr geringer, dass man sich gegenseitig Gefälligkeiten erweist", so Rüger.

Prämien und Boni

Aber Geld ist nicht alles: Zusätzliche Vergütung für Dozententätigkeit in Workshops, Boni für das regelmäßige Füttern von Datenbanken, aus denen andere Abteilungen sich anschließend bedienen können, Prämien für gute Ideen - materielle Anreize verlieren auf Dauer ihre Zugkraft.

Diese Erfahrung hat auch Bettina Nerbel, bei IBM Global Services zuständig für Knowledge Management und Intellectual Property gemacht: "Prämien und Awards sind eher geeignet, um Wissensteilung und das Mitmachen bei Datenbanken ins Rollen zu bringen. Aber wir können nicht für jede zusätzliche Leistung eines Mitarbeiters bezahlen. Die Motivation mitzumachen, muss daher kommen, sich als Fachmann auf einem Gebiet einen Namen zu machen und als solcher auch Beiträge für ein Wissensnetzwerk zu leisten und namentlich in einem Wissensspeicher in Erscheinung zu treten".

Mein oder Unser

Viel wichtiger, so Nerbel, sei ein mentaler Wandel. Mitarbeiter müssen Wissen als Macht des gesamten Unternehmens begreifen, nicht als Besitzstand des Einzelnen. Und: Wissen teilen kann nur funktionieren, wenn es einen Wert in sich darstellt. "Die Erklärung dafür ist eigentlich ganz einfach: Es ist ein menschliches Grundbedürfnis zu kommunizieren, seine Autonomie und Kompetenz zu zeigen. Der Anreiz liegt eigentlich in der Sache selbst", so Professor Mandl. So sieht das auch Christian Kurtzke, Erfinder des Sharenet, eines Wissensnetzwerkes, das ursprünglich für Siemens konzipiert war, inzwischen aber von diversen anderen Unternehmen genutzt wird: "Der Nutzen für alle Teilnehmer muss da sein. Wenn alle nehmen können, ist man auch bereit zu geben."

Wenn sich unter den Mitarbeitern die Gewissheit breit macht, dass das Teilen von Wissen nicht Verlust, sondern Gewinn bringt, ist viel gewonnen: Knowledge Management macht Wissensträger nicht etwa austauschbar, sondern definiert ihre Bedeutung und Kompetenz.

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