Wissenschaftler:Der Duft der großen, weiten Welt

Deutschland bemüht sich, Forscher aus den USA zurückzuholen - für die sind jedoch häufig private Motive entscheidend.

Von Jeanne Rubner

"Man wird sich um Sie reißen", ruft Max Huber in den Ballsaal des Marriott Cambridge und löst erst einmal Raunen unter den Nachwuchsforschern aus, "aber nicht notwendigerweise in Deutschland". Womit der Vize-Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) die Lacher auf seiner Seite hat. Denn die Anwesenden, alles aus Deutschland stammende Jungwissenschaftler mit einem Forschungsstipendium, kennen die Diskussion nur zu gut. Sie sind für ein paar Jahre nach USA gekommen, werden aber vielleicht nicht in die Heimat zurückkehren, weil sie hier besser arbeiten können. Gerade die Besten dieser Besten bleiben, denn sie erhalten die attraktivsten Angebote - von Harvard, Yale oder Berkeley. Und wer würde es ihnen verdenken? Diese Universitäten nehmen die ersten Plätze auf den weltweiten Rankings ein, während die beste deutsche Hochschule erst auf Rang 45 auftaucht.

"Brain drain", der "Abfluss der Gehirne" beschäftigt Deutschlands Forschungsszene schon länger. Vor fünf Jahren setzte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) das Thema auf ihre Agenda und beschwor auf USA-Reisen Forscher zurückzukommen. Ob die bisherigen Bemühungen gegriffen haben, lässt sich schwer einschätzen, doch immerhin belegen neueste Zahlen, dass 85 Prozent der Stipendiaten über kurz oder lang eine Stelle in der Bundesrepublik annehmen. Und viele der vom DAAD vergangene Woche nach Cambridge Geladenen zeigten mehr Zuversicht als bei früheren Stipendiatentreffen.

Sicher, die Schwachstellen des deutschen Forschungsbetriebs, welche die jungen Leute nennen, sind längst nicht beseitigt, allen voran die unsichere Jobsituation. Die Habilitation legt dem Nachwuchs Fesseln an, die neu geschaffene Juniorprofessur bietet keine Garantie auf einen festen Job; klinische Forschung in einem deutschen Krankenhaus ist extrem schwierig; Hürden bei der Zusammenarbeit mit Firmen sind hoch; kaum eine Uni kümmert sich darum, auch dem Partner einen Job zu vermitteln, was Doppelkarrieren erschwert.

Einiges haben Politik und Forschungsorganisationen in den letzten Jahren versucht: Juniorprofessur ebenso wie das "Emmy Noether"-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft sollen dem Nachwuchs mehr Selbstständigkeit garantieren. Fünf interdisziplinäre DFG-Forschungszentren bieten interessante Positionen, zwei weitere sollen hinzukommen, verspricht DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker. Er und weitere Prominenz aus der Forschung sind eigens nach Cambridge gereist, um die Abgewanderten zu überzeugen. So preist Max-Planck-Präsident Peter Gruss die gezielte Frauenförderung, einen neuen Familienservice sowie die Einrichtung zusätzlicher Nachwuchsgruppen bei der MPG an. Solche will auch die Helmholtz-Gemeinschaft schaffen. Schließlich bemüht sich das vor einem Jahr gegründete "German Academics International Network" von DAAD, Humboldt-Stiftung und DFG, Rückkehrwilligen attraktive Angebote zu vermitteln. Die vom deutschen Exil-Physiker Eicke Weber aus Berkeley lancierte "German Scholar Organization" vermittelt Kontakte zur Industrie.

"Die gefühlte Jobperspektive ist schlechter als die reale", fasst Christiane Ebel-Gabriel, Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz zusammen, es tue sich viel, auch an den Hochschulen. Die Mehrheit, das ergeben viele Gespräche und eine schnelle Meinungsumfrage unter den 200 Anwesenden, lässt sich überzeugen und will durchaus zurück. Gleichwohl: Die Sache mit der Juniorprofessur lässt ihnen keine Ruhe. Denn zum einen muss diese nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. Zum anderen endet sie - im Gegensatz zum amerikanischen "tenure track"-Modell - häufig im akademischen Nirwana. "Tenure track wird es in Deutschland nicht geben", warnt Ebel-Gabriel. DFG-Präsident Winnacker sieht dennoch Wege aus der Unsicherheit: Viele Unis würden jetzt schon erfolgreichen Juniorprofessoren anbieten, sich um eine feste Stelle zu bewerben - tenure track unter der Hand also. "Sie müssen nur selbstbewusst sein und sich die richtige Fakultät suchen", empfiehlt Winnacker. Auch die VW-Stiftung will mit ihrem "Lichtenberg"-Programm das tenure track-Modell fördern.

Freilich ist auch in Amerika nicht alles Gold, was glänzt, mussten viele Nachwuchsforscher feststellen. Wer hier Professor ist, muss Geld für jeden Doktoranden und jeden Radiergummi einwerben. Die Jagd nach Drittmitteln führt zu einem Druck, der so manches zweifelhaftes "last-minute"-Ergebnis aus dem Labor bewirke, klagt ein Jungforscher. Einer gewissen Bequemlichkeit, Sicherheit und Abhängigkeit in Deutschland stehen eben harte Arbeit, Freiheit und Abenteuer in den USA gegenüber.

Letztlich sind es für viele aber ganz persönliche Gründe wie Heimweh, die Freundin, der Sonntagsspaziergang oder aber der "american way of life", die sie zum Fortgehen oder Hierbleiben bewegen. Wolfgang Ketterle gehört zu denen, die ganz oben angekommen sind. Vor fünf Jahren - noch bevor er den Nobelpreis für Physik erhielt - konnte er zwischen seiner gut dotierten Professur am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und einem ebenso gut dotierten Posten als Münchener Max-Planck-Direktor wählen. "Noch einen Tag vor der Entscheidung stand es fünfzig zu fünfzig", sagt Ketterle. Den Ausschlag gegeben hätten letztlich die Kinder, denen er einen Schulwechsel nicht zumuten wollte.

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