Geistiges Eigentum:Wissenschaft: Der Chef darf klauen

Darf ein Institutsleiter bestimmen, welche Wissenschaftler seines Instituts als Autoren auf Publikationen genannt werden - unabhänging von der tatsächlichen Autorenschaft? Ein Forscher in Bremen bezichtigte seinen Chef deshalb des geistigen Diebstahls - und verlor prompt seinen Job.

Hermann Horstkotte

In der Guttenberg-Affäre beteuerten Professoren und Hochschulfunktionäre, der redliche Umgang mit geistigem Eigentum mache die Wissenschaft erst zur Wissenschaft. Ein Rechtsstreit aus Bremen zeigt nun beispielhaft, wie sich Forscher um die Autorschaft streiten und wie die Hierarchien von Instituten in diesen Streit hineinspielen.

Neuer Präsident an der Uni Eichstätt

Wer hat was geschrieben? Der Kampf um geistiges Eigentum verkommt mitunter zur Posse. (Symbolbild: Studentin in der Bibliothek der Universität Eichstätt)

(Foto: dpa)

Ein weltweit bekannter Laser-Techniker an einem hochschulnahen Institut der Hansestadt (BIAS) kämpft seit vier Jahren um seinen Arbeitsplatz - und um seinen guten Namen. Der frühere Abteilungsleiter, nennen wir ihn Herrn Roland, bezichtigt den Institutschef Frank Vollertsen, einen renommierten Leibniz-Preisträger, des geistigen Diebstahls in mehreren Fällen - bei einem Aufsatz und bei Förderanträgen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).

Wegen dieser Vorwürfe wurde Roland (bislang nicht endgültig) gekündigt, er lebt derzeit von Hartz IV. Seine letzte Hoffnung: Vor dem Arbeitsgericht vertritt ihn neuerdings die Kanzlei des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum (FDP).

Die zugrunde liegenden Plagiatsvorwürfe sind dagegen bereits rechtsgültig gescheitert, allerdings nicht durch Klärung in der Sache, sondern weil niemand den Umgang mit dem geistigen Eigentum klären wollte oder konnte. Beispiel DFG: Deren Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek konnte in Anträgen des Institutschefs Vollertsen ohne seinen Abteilungsleiter nichts Verwerfliches sehen. Sie sagt: Ob der Antrag des Chefs mit oder ohne Mitarbeiter erfolge, beruhe "eher auf arbeits- und personalrechtlichen Entscheidungen, die aber nicht Gegenstand eines Verfahrens der DFG sind". Offenbar wird die Frage guter wissenschaftlicher Praxis für die DFG von der Institutshierarchie bestimmt.

Zudem musste sich Roland vom Bonner Landgericht belehren lassen: Er könne von der DFG nichts Klärendes verlangen, weil er keinesfalls von ihr direkt geschädigt sei. Als "privater Verein" sei die DFG nicht unmittelbar zur Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit eines Einzelnen verpflichtet. Tatsächlich aber verteilt der "Verein" im Jahr mehr als eine Milliarde Euro an staatlichen Fördermitteln. Deswegen hält Fachanwalt Askan Deutsch das private Rechtskleid der DFG längst für realitätsfremd. Gleichwohl wies das Oberlandesgericht die Berufung in dem Fall ab.

Weiteren Streit gab es um einen Aufsatz, den Institutsdirektor Vollertsen vom Abteilungsleiter Roland und dessen Mitarbeiter C. W. für einen Kongressvortrag angefordert hatte. Die beiden waren schon öfter als Ko-Autoren aufgetreten. Vollertsen selbst legte letzte Hand an. Der Beitrag wurde auch in einer Spezialzeitschrift veröffentlicht, allerdings nur unter den Autorennamen Vollertsen und C. W. Den Namen Roland hatte der Chef gegen dessen Willen gestrichen. Als Grund gibt Vollertsen eine Zwei-Autoren-Regel an, "um jeweils einen Mitarbeiter gezielt zu fördern". Der Abteilungsleiter habe ja selber auf den erheblichen Werkanteil des jüngeren Kollegen hingewiesen.

Änderungen "nicht mehr nachvollziehbar"

Der Münchener Rechtsprofessor und Fachmann für Wissenschaftsplagiate, Volker Rieble, kennt aber sonst keine "Zwei-Autoren-Regelung". Wenn es mehr Autoren gibt, so Rieble, dann gehören sie nach den anerkannten Regeln guter wissenschaftlicher Praxis allesamt auf den Titel. Umgekehrt reiche die reine Funktion in der Hierarchie als Chef oder Abteilungsleiter für eine Mit-Autorschaft grundsätzlich nicht aus.

Vergiftete Atmosphäre

Roland zog wegen seiner Urheberrechte vor Gericht. Der Mitautor C. W. konnte sich als Zeuge an Details nicht mehr erinnern. Insgesamt gab es zwar 13 Computer-Versionen von der Entstehung des Aufsatzes. Welche Änderungen wem genau zuzuordnen seien, erschien dem Gericht "nicht mehr nachvollziehbar". Das wäre aber nötig, weil es beim Urheberrecht auf die persönliche schöpferische Leistung ankommt. Aus Sicht von Vollertsens Anwalt habe Roland nur behauptet, die Inhalte stammten von ihm - ohne dass er dies nachweisen konnte.

"Man kann etwa durch digitale Signaturen und eine ausgefeilte technologische Infrastruktur versuchen, individuelle Anteile zu schützen", sagt Harald Niggemann vom amtlichen Bundesinstitut für Sicherheit in der Informationstechnik. Er fügt aber hinzu: Sicherheitsstandards müssen in der jeweiligen Arbeitsumgebung "angemessen" sein. "Kontrollmechanismen können das Arbeitsklima ja auch vergiften, vermutlich gerade auch wissenschaftliches Teamwork."

Dazu betont die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel: "Wir benötigen in unseren Hochschulen eine Atmosphäre von Offenheit, Kreativität und Leistungsbereitschaft; Basis hierfür ist das gegenseitige Vertrauen." Demgegenüber verlangt das Urheberrecht offenbar Nachweise und Misstrauen, wie sie im wissenschaftlichen Arbeitsalltag nicht üblich sind.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof schon vor gut 30 Jahren klargestellt: Ob jemandem "die Früchte seiner wissenschaftlichen Arbeit treuwidrig entzogen wurden", ist eine andere Frage als die, "ob damit in das Urheberrecht eingegriffen worden ist" (BGH I ZR 106/ 78, Urteil vom 21. 11. 1980). Damals bekam ein Hochschullehrer Recht, der die Staatsexamensarbeit eines Schülers unter seinem eigenen Namen weiterverwendet hatte.

Als ob nichts passiert wäre

Erst vor wenigen Jahren hat ein Bonner Slawistik-Professor eine Staatsexamensarbeit zu einem eigenen Festschriftenbeitrag ummontiert. Deswegen entzog ihm die Universität als Dienstvorgesetzte die Prüfungs- sowie andere Erlaubnisse. Für ein Disziplinarverfahren war es dagegen schon zu spät. Dennoch: Das Vorgehen der Universität hatte 2008 vor Gericht keinen Bestand. Der Professor wurde wieder in seine vollen Rechte eingesetzt - als ob nichts passiert wäre.

Forscher Roland aus Bremen ist nicht der einzige, dem sich im Kampf ums geistige Eigentum die Haare sträuben.

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