Wenn Forscher betrügen:Kopieren geht über Studieren

Geltungssucht, Machtstreben, Erfolgsdruck - manche Wissenschaftler geben Erkenntnisse anderer als eigene aus. Das Klauen kann sich für sie lohnen.

Achim Zons

Ein Mann namens Claudius Ptolemäus präsentierte seiner Umwelt irgendwann im zweiten Jahrhundert nach Christus den vollständigsten und genauesten Sternenkatalog, den die Antike je hervorgebracht hat. Es war eine großartige Leistung, die Welt lag dem ägyptischen Astronomen zu Füßen.

verzweifelter Forscher

Wenn Forscher nicht mehr weiter wissen, greifen sie manchmal zu unerlaubten Methoden.

(Foto: Foto: istockphoto)

Leider beruhte das eindrucksvolle Sternenbild keineswegs, wie von Ptolemäus behauptet, auf eigenen Beobachtungen und Berechnungen, sondern war die Frucht fleißigster Kopierarbeit. Denn seine Fixsternpositionen stammen allesamt aus einem bereits 250 Jahre vor Ptolemäus zusammengestellten Himmelsatlas, den sein griechischer Vorgänger Hipparchos erarbeitet hat. Ptolemäus kennt seitdem jeder, nach ihm wurde ein Weltbild benannt. Hipparchos dagegen kennt kaum einer. Er ist nur Namensgeber eines künstlichen Satelliten. Es kann sich also lohnen, etwas zu klauen.

Das urheberrechtlich interessante Vorgehen des Ptolemäus ist wohl der erste dokumentierte Plagiatsfall in der Wissenschaft. Der jüngste stammt von einem nicht ganz so bekannten Mann namens Hans-Werner Gottinger.

Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Direktor des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen in Euskirchen steht in dem Verdacht, jahrelang aus anderen Quellen geklaut und sogar Institute erfunden zu haben, was seiner Karriere aber nicht abträglich war.

In der Ausgabe vom Donnerstag berichtet das renommierte Wissenschaftsmagazin Nature, dass Gottinger große Teile mathematischer Gleichungen aus einer 1980 erschienenen Arbeit übernommen und 1993 in der Fachzeitschrift Research Policy publiziert hatte.

Die Redaktion von Research Policy gab jetzt bekannt, dass es den 14 Jahre alten Beitrag des 63-jährigen Ökonomen offiziell zurückziehen werde. Der Artikel stelle einen ,,klaren und ernsten Fall von Plagiat'' dar. Gottinger weist die Vorwürfe zurück. Bei den genannten Artikeln handele es sich um klar gekennzeichnete Übersichtsartikel. Er gab aber zu, dass es möglicherweise ,,einen Mangel an ausreichender Sorgfalt bei der Überprüfung der Vollständigkeit von Quellen und Referenzen'' gegeben habe.

Man kann das natürlich auch einfacher ausdrücken, und dann erkennt man, dass die Fälle, in denen die Sorgfalt bei der Überprüfung von Quellen etwas besser hätte sein können, in den zurückliegenden Jahren eindrucksvoll zugenommen haben.

Immer wieder hat nämlich die erstaunte Öffentlichkeit von dreisten Fälschungen erfahren, von wortgetreuem Abschreiben, von nie stattgefundenen Versuchen, von gefälschten Ergebnissen, von falschen Tabellen, von künstlich hergestellten Laborbedingungen, unter denen man genau das verifiziert hat, was man verifizieren wollte. Was wohl auch mit dem gestiegenen Erfolgsdruck in der Wissenschaft zusammenhängt, mit dem Gieren nach Forschungsgeldern, mit der Sehnsucht nach Anerkennung, die nur über die Publikation und den öffentlichkeitswirksamen Auftritt zu befriedigen ist.

Insofern also ist Fälschen eine durchaus menschliche Profession. Die Motive dürften vielen Menschen nicht unbekannt sein: Geltungssucht, Machtstreben, Arroganz; manchmal vielleicht sogar der hehre Drang, die Welt zu verbessern. Und wenn dann noch eine gehörige Portion Selbsttäuschung hinzukommt, dann ist die Melange perfekt, die einen Wissenschaftler oder sonstigen Publizisten dazu verleitet, den anerkannten Weg wahrhaftiger Studien zu verlassen.

Vielleicht verführen ihn ja auch die übergroßen Vorbilder, es nicht so genau zu nehmen. Mogler, Fälscher und Betrüger gab es ja auch schon früher in den hehren Hallen der Wissenschaft, nicht nur Ptolemäus ist da ein Beispiel. Auch andere Größen sollen nicht immer blitzsauber gearbeitet haben. Galilei zum Beispiel soll Experimente vorgetäuscht haben, Einstein Versuchsergebnisse unterschlagen und Newton Experimente so retuschiert haben, dass sie eine Genauigkeit vortäuschten, die mit den damaligen experimentellen Methoden niemals hätte erreicht werden können. Und trotzdem hat man das Gefühl, dass das Fälschen bei diesen Geistesgrößen irgendwie auch eine Kunst war. Vielleicht, weil diese Männer ansonsten Unglaubliches vollbracht haben.

Vor allem wundert man sich heute darüber, dass der Wissenschaftsbetrieb oft über Jahre und immer wieder auf diese Betrügereien hereinfällt. Was möglicherweise damit zusammenhängt, dass niemand mehr all das lesen und prüfen kann, was weltweit an wissenschaftlichen Artikeln veröffentlicht wird. Insgesamt soll es nicht weniger als 60000 wissenschaftliche Fachzeitschriften geben. Sie sollen rund 20000 Artikel ausstoßen. Pro Tag.

Eines aber ist sicher. Wer im Rahmen akademischer Tätigkeiten intellektuelle Leistungen anderer als eigenes Produkt ausgibt, indem er die fremden Quellen nicht nennt, begeht ein Plagiat. Er muss mit einer Klage wegen Schadenersatz rechnen, im schlimmsten Fall, wenn er an einer Universität lehrt, mit dem Ausschluss aus der Hochschule, also praktisch mit einem Berufsverbot.

Und man sollte nie vergessen: Alles fliegt eines Tages auf. Selbst der Chinese, der die Arbeit eines Berliner Wissenschaftlers über Kompressionsverfahren übersetzt und an einer chinesischen Hochschule als Doktorarbeit eingereicht hat, ist aufgeflogen, wenn auch nur durch Zufall. Der Versuch dieses jungen chinesischen Wissenschaftlers war wenigstens intelligent. Was nicht so häufig festzustellen ist, wenn man die aktuellen Fälle betrachtet.

Womit auch im Bereich der Wissenschaften mal wieder bewiesen ist: Intelligente können sich dumm stellen. Umgekehrt ist es schon schwieriger.

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