Weiterbildung nach Feierabend:Freiwillige Nachtschicht

Wer sich als Berufstätiger nach Feierabend weiterbilden will, kann auf ein Aufstiegsstipendium des Bundesbildungsministeriums hoffen. Mit finanzieller Unterstützung und Engagement lässt sich auch ein Studium meistern.

Christiane Langrock-Kögel

Viel Mut machte ihr keiner. Eva Weller war 28 Jahre alt und hatte bereits zwei Ausbildungen absolviert, als sie beschloss, ein Ingenieurstudium dranzuhängen. Nach der Realschule hatte sie Bauzeichnerin gelernt, dann die staatlich geprüfte Technikerin draufgesetzt. Um an der Universität in Kassel, wo Weller wohnt, zum Studium zugelassen zu werden, musste sie eine Aufnahmeprüfung für "beruflich besonders Befähigte" ablegen. Die gibt es nur einmal jährlich, und sie hatte sie gerade verpasst. Im Jahr darauf begegnete man ihr kühl. Der Professor legte ihr lange Listen vor, was sie sich anzueignen habe. "Versuchen Sie's mal", signalisierte man ihr. "Aber das wird vermutlich nichts."

Nachtschicht

Der einzige, der noch wach ist: Wer arbeitet und sich nebenher weiterbildet, braucht vor allem Disziplin.

(Foto: iStock)

Heute steht vor Eva Wellers Namen ein Dipl. Ing., sie hat ihr Studium geschafft und arbeitet als Bauingenieurin, Schwerpunkt Wasserwesen. Weller, die ihr Diplom vor sieben Jahren gemacht hat, ist eine Vorzeige-Quereinsteigerin. Sie hat den Ehrgeiz, sich stets weiterzuentwickeln. Und praktiziert das, was Bildungspolitiker europaweit fordern: lebenslang zu lernen. Für Quereinsteiger wie sie gibt es seit zwei Jahren ein Aufstiegsstipendium, das ihnen den Weg zur Spitzenfachkraft ebnen soll. Denn der Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung scheitert hierzulande oft an bürokratischen und finanziellen Hürden.

Das deutsche Bildungssystem ist wenig durchlässig. Für lernwillige Berufspraktiker gibt es kaum Beratung, die Studienmöglichkeiten sind vielen unbekannt. Und an den Unis begegnet man den Seiteneinsteigern aus der Praxis oft wie Eva Weller: zunächst einmal ziemlich von oben herab. Das Bundesbildungsministerium hat deshalb 2008 das Programm "Aufstiegsstipendium" ins Leben gerufen. Musste Eva Weller noch alles selbst bezahlen, erhält man jetzt Unterstützung, nämlich für ein Vollzeitstudium 650 Euro sowie 80 Euro Büchergeld im Monat. Zuschüsse für Kinderbetreuung gibt es extra. Ein berufsbegleitendes Studium wird jährlich mit 1700 Euro gefördert.

Die Hälfte der Stipendiaten studiert berufsbegleitend. Mehr als 40 Prozent von ihnen sind älter als 30 Jahre. Und ein Drittel hat Kinder. Über die Vergabe der Stipendien entscheidet im Auftrag des Bundesbildungsministeriums zweimal im Jahr die Bonner Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung (SBB). "Die Hindernisse müssen ausgeräumt werden", sagt Bildungsministerin Annette Schavan (CDU). "Verbesserungspotential besteht insbesondere bei der Anrechnung bisheriger Qualifikationen und der Vereinbarkeit von Studium, Berufstätigkeit und Familie."

Deutschland braucht die Quereinsteiger. In vielen Branchen herrscht ein Mangel an Fachkräften. Allein mit dem klassischen Akademikerpfad - Abitur, Studium, dann Praxis - lässt er sich nicht beheben. Unternehmen schätzen zudem Studenten, die jahrelange Berufserfahrung mitbringen. Auch den Unis tun sie gut: Sie bringen mehr Praxis ins Spiel.

"Quereinsteiger sind gut für das System", sagt Bauingenieurin Weller. "Die wenigen, die es an die Uni schaffen, sind sehr effizient." Sie hat damals ihren Job gekündigt und alles aufs Studium gesetzt. Nach acht Semestern hatte sie ihr Diplom, ein "heftiges Programm". Aber Weller würde wieder so entscheiden. Sie fand sehr schnell einen Job, ihr Praxisbezug habe den Ausschlag gegeben, sagt sie. "Der Weg von der Praxis an die Hochschule sollte zur selbstverständlichen Bildungsoption werden", erklärt die Bildungsministerin, die gerade das allgemeine Hochschulstipendien-Programm zusammengestrichen hat. Die Aufstiegsstipendien sollen aber nicht angetastet werden. 13 Millionen Euro fließen 2010 in das Programm.

"Quereinsteiger sind gut für das System"

Claudia Galle ist eine der Stipendiatinnen. Sie studiert berufsbegleitend, neben einem Vollzeitjob und als Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Die Regensburgerin hat nach der Hauptschule Bekleidungsschneiderin gelernt und sich dann zur Bekleidungstechnikerin fortgebildet. Sie entwarf Modelle für Herrenkonfektion, und es ging ihr auf die Nerven, dass der Chef ihr vorhielt, sie habe keine Ahnung von den Kosten. Galle stachelte das an: In zweieinhalb Jahren machte sie nebenbei den technischen Betriebswirt. Und konnte fortan mitreden in Sachen Kalkulation.

Studieren

Lesen, bis nachts um halb eins: Ein Studium neben dem Beruf bedeutet Arbeit und schlaflose Nächte.

(Foto: iStockphoto/Goldmund)

Ihre jüngste Fortbildungsoffensive ist ein Wirtschaftsingenieur-Studium. Monatelang suchte sie eine Hochschule, an der man berufsbegleitend studieren kann. Bei einer der wenigen Adressen, die sie fand, eine hessische Hochschule, teilte man ihr am Telefon kurz und bündig mit, dass man keine Bayern ohne Abitur nehme. Bei der Hamburger Fernhochschule wurde Galle schließlich fündig. Seitdem kommt sie abends um sieben von der Arbeit, nimmt sich bis neun Uhr Zeit für ihren Sohn und sitzt dann bis halb eins am Schreibtisch. Das Studium an der Fernhochschule kostet 240 Euro im Monat. 140 Euro monatlich bekommt Galle als Stipendiatin.

Warum macht sie das, und warum versuchen diesen Spagat zunehmend mehr Berufstätige? "Ich will nicht stehenbleiben", sagt sie. "In meinem Ursprungsberuf gibt es kaum noch Stellen. Ohne Studium habe ich keine Chance. Und ich will einen vernünftigen Job in meiner Region." Ähnlich wie sie erklären viele Quereinsteiger ihre Motivation. Das Nürnberger Forschungsinstitut Betriebliche Bildung hat eine Befragung unter Quereinsteigern durchgeführt. Das Ergebnis: Es geht ihnen nicht in erster Linie um den beruflichen Aufstieg oder einen besseren Verdienst. Vielen ist wichtig, dass sie fachlich weiterkommen. Dass sie verantwortungsvollere Tätigkeiten übernehmen können. Dass sie flexibler sind und leichter neue Jobs finden. Und dass ihnen der Abschluss mehr Selbstbewusstsein gibt.

Thomas Freiling, im Nürnberger Institut zuständig für wissenschaftliche Weiterbildung, und seine Mitarbeiterin Dagmar Festner haben auf Basis der Befragung Empfehlungen an die Politik formuliert. Die erste lautet: Hürden für Quereinsteiger müssen abgebaut werden. Das Bestandspersonal der Firmen muss im Sinne einer modernen Personalentwicklung weiterentwickelt werden, die Betriebe sollen interne "Karrierepfade" etablieren. Zum Beispiel: Der Facharbeiter entwickelt sich zum Ingenieur. Voraussetzung dafür ist eine gute Beratung über die unterschiedlichen Studienmöglichkeiten. Arbeitsagenturen, Hochschulen, Kammern, aber auch die Betriebe selbst sind gefordert.

Ein weiterer Punkt ist der Ausbau von Finanzierungsangeboten auch für über 30-Jährige: Die Altersgrenzen mancher Förderprogramme sollten nach Ansicht von Freiling und Festner fallen, da auch Ältere studieren. Sie sehen auch die Unis gefordert, Modelle zu entwickeln, die der Lebenssituation von Quereinsteigern entsprechen, wie unterschiedliche Studiengeschwindigkeiten zuzulassen.

Eva Weller verdient heute, als Ingenieurin, nicht viel mehr als früher. Aber ihr Aufgabenbereich hat sich stark verändert, sie trägt mehr Verantwortung. "Allein dafür hat es sich gelohnt", sagt sie.

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