Weiterbildung:"Coachings sind Heuchelei"

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27 Milliarden Euro geben Firmen pro Jahr für Weiterbildung aus - rausgeworfenes Geld, sagt der Insider Richard Gris. Ein Gespräch über die Unmöglichkeit, sich zu ändern und inkompetente Chefs.

Julia Bönisch

Richard Gris - der Name ist ein Pseudonym - ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet seit 20 Jahren als Trainer und Berater in der Coachingbranche. In seinem Buch "Die Weiterbildungslüge", das jetzt im Campus Verlag erschienen ist, greift er seine Kollegen hart an: Weiterbildung bringe nichts, aber Seminaranbieter verdienten prächtig - obwohl sie wüssten, das ihre Kunden nichts davon haben.

Weiterbildung - alles Lüge? Der Psychologe Richard Gris sagt, viele Mitarbeiter seien zu Veränderungen gar nicht fähig. (Foto: Foto: iStock)

sueddeutsche.de: Herr Gris, in Ihrem Buch vertreten Sie die These, Weiterbildung bringt nichts. Ist also alle Mühe von Firmen und Mitarbeitern vergebens?

Richard Gris: Nicht alle, aber viel Arbeit ist tatsächlich umsonst. Ich arbeite selbst seit 20 Jahren als Trainer in der Personalentwicklung und weiß aus eigener Erfahrung, dass Weiterbildung die Gesetze von Lernen und Veränderung völlig missachtet. Das gilt nicht nur für reine Wissensvermittlung, sondern auch um Trainings und Coachings. Hier sollen bestimmte Verhaltensweisen geübt oder Einstellungen verändert werden. Darin geht es häufig um soziale Kompetenz und Soft Skills. Doch die Möglichkeiten, diese zu vermitteln, sind nur sehr begrenzt. Da ist viel Heuchelei dabei.

sueddeutsche.de: Warum ist das so?

Gris: Zum einen, weil viele Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten zur Weiterbildung genötigt werden. Sie sitzen in Trainings und sagen ganz offen: "Mein Chef hat mich hierhergeschickt, aber ich weiß gar nicht, was ich hier soll." Die Angestellten sehen keine Notwendigkeit, an sich zu arbeiten. Ein klassisches Beispiel ist der Teamleiter, der lernen soll, wie er richtig Feedback gibt. Mit seinem bisherigen, autoritären Führungsstil ist er aber gut zurechtgekommen, weil jeder gespurt hat.

Zum anderen bekommen Mitarbeiter im Arbeitsalltag viel zu wenig Gelegenheit, das Gelernte auch zu üben und anzuwenden. Wer ein neues Verhalten lernen soll, muss das trainieren und braucht regelmäßiges Feedback. Da ist es mit einer Zweitages-Schulung nicht getan. Die Mitarbeiter brauchen Begleitung - und sie müssen pauken. Dafür braucht man Disziplin, die nicht jeder aufbringt. Darüber hinaus ist die Lernfähigkeit des Menschen begrenzt. Das Wort Personalentwicklung suggeriert, man könne alles und jeden entwickeln, aber das stimmt leider nicht.

sueddeutsche.de: Das heißt, wir sind gar nicht dazu in der Lage, uns zu verändern?

Gris: Aus der Lernforschung wissen wir, dass der Mensch nur das lernt, was er ohnehin schon weiß. Eine wirkliche Entwicklung findet nur dann statt, wenn ein Mitarbeiter entweder einen sehr hohen Leidensdruck verspürt - also um seinen Arbeitsplatz fürchtet oder in extrem belastenden Auseinandersetzungen steckt - oder er ein hohes, lohnenswertes Ziel vor Augen hat. Das kann eine Gehaltserhöhung oder Beförderung sein. Aber diese Situation trifft nur auf zehn Prozent aller Weiterbildungsteilnehmer zu.

sueddeutsche.de: Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 90 Prozent der 26,8 Milliarden Euro, die Unternehmen im vergangenen Jahr in Weiterbildung investiert haben, rausgeworfenes Geld sind?

Gris: Ja, so hart das klingt. Aber daran sind natürlich nicht nur die Mitarbeiter alleine schuld.

sueddeutsche.de: Welche Fehler machen Vorgesetzte?

Gris: Sie missbrauchen das Coaching als Reparaturbetrieb. Viele Chefs nehmen zwar wahr, wenn Mitarbeiter Schwierigkeiten haben, aber sie befassen sich nicht gern damit. Anstatt zu überlegen, was eigentlich los ist und wie man das Problem lösen kann, schicken sie ihre Leute lieber zu einem Trainer. Der soll's dann richten und die Angestellten geheilt zurückschicken.

sueddeutsche.de: Wie reagieren Mitarbeiter darauf?

Gris: Für sie wird solch ein Coaching ganz schnell zur Quälerei. Sie fragen sich: "Was will mir mein Chef damit sagen, dass er mich zu einem Psychotraining schickt?" Oft fungieren die Maßnahmen als Kritikersatz, weil der Vorgesetzte zu feige ist, dem Mitarbeiter mitzuteilen, wo seine Schwächen und Fehler liegen.

sueddeutsche.de: Was müsste sich ändern, damit Weiterbildung funktioniert?

Gris: Die Trainings müssten direkt am Arbeitsplatz durchgeführt werden. Wenn wir Trainer dort den Mitarbeiter und sein Umfeld direkt beobachten könnten, würde zum einen die Hilfe konkreter. Zum anderen können wir korrigierend eingreifen und mit den Leuten üben, so dass die Erkenntnisse aus der Weiterbildung tatsächlich angewandt werden. Außerdem müssen die Kandidaten für Weiterbildung besser ausgewählt werden. Dafür sollte es Bewerbungsgespräche geben.

sueddeutsche.de: Ein Auswahlverfahren? Warum soll ein Mitarbeiter ein Recht auf Weiterbildung haben, ein anderer aber nicht? Das ist doch nur schwer zu vermitteln.

Gris: Das stimmt. Im Moment ist es üblich, dass Mitarbeiter sagen: "Mein Kollege war letztens auf einer Schulung. Jetzt bin ich auch mal dran." Aber das darf nicht entscheidend sein. Nur wer die nötige Offenheit, Veränderungsbereitschaft und Disziplin mitbringt, sollte sich weiterbilden dürfen. Das finden Vorgesetzte schnell über Gespräche heraus.

sueddeutsche.de: Zerstören Sie sich mit Ihren Thesen nicht Ihren eigenen Markt?

Gris: Natürlich wäre es einfacher, stillzuhalten und zu kassieren. Aber ich bin Trainer geworden, um etwas zu verändern. Wir sollten auch bei unseren Kunden den Finger immer in die Wunden legen, und das tue ich jetzt auch mit meinem Buch.

sueddeutsche.de: Wieso schreiben Sie dann unter Pseudonym?

Gris: Mein Verhalten wird von einigen in der Branche als geschäftsschädigend angesehen. Ich will aber auch weiterhin als Trainer arbeiten - da ist es sicherer, wenn meine Auftraggeber und Kollegen nicht wissen, wer das System anprangert.

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