Wege zur Hochschulreife:Mit beruflichem Vorsprung zum Abitur

Berufliche Oberschulen bieten Schülern eine Alternative zum klassischen Gymnasium. Eine Branchen-Spezialisierung ist schon auf dem Weg zum Abi möglich. Das lockt immer mehr Schüler.

Angelika Steffen

Nur im Unterricht zu sitzen und zuzuhören, das liegt Stephanie Maurer gar nicht. Sie möchte "auch mal zupacken, anschaulich lernen", sagt sie. Nach einem Jahr im Ausland entschied sich die 19-Jährige daher, ihren Weg zum Abitur auf der Heinrich-Kleyer-Schule (HKS) fortzusetzen, einem von zwei beruflichen Gymnasien in Frankfurt. Innerhalb von drei Jahren können Jugendliche an einem beruflichen Gymnasium die allgemeine Hochschulreife erwerben und sich dabei schon einmal für bestimmte Branchen qualifizieren. Maurer hätte beispielsweise den Schwerpunkt "Datentechnik" wählen können, entschied sich aber für "Mechatronik".

Zentralabitur in NRW

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(Foto: dpa)

"Ich wusste überhaupt nicht, was auf mich zukommt", sagt die Schülerin. Aber es reizte sie, in die technische Richtung zu schauen: Roboter zu bauen, Kräfte zu berechnen und mit Platinen, Oszilloskopen und Schaltungen zu arbeiten. Schon ihr Vater hatte sein Abitur an der Schule erworben. Die Tochter folgte der Tradition, auch wenn sie nun erkannt hat, dass sie nicht dauerhaft in diesem technischen Bereich arbeiten möchte. "Ich werde Psychologie studieren", sagt die Abiturientin.

Beim Vergleich mit herkömmlichen Gymnasien schätzt Stephanie Maurer an der HKS die kleinen Klassen, den persönlicheren Umgang und den kompakten Stundenplan. Außerdem könnten sich die Lehrer ganz auf die Oberstufenschüler konzentrieren, weil es keine unteren Klassen gibt. Im Abitur gelten, trotz Schwerpunktwahl, die gleichen Regeln wie an anderen hessischen Gymnasien; die Abschlussaufgaben sind dieselben. Die Betreuung zuvor ist intensiv, was sich in guten Noten niederschlägt: Laut Schulleitung erzielten die HKS-Schüler im zurückliegenden Zentralabitur eine um ein Zehntel bessere Note als der Landesschnitt.

Berufliche Gymnasien werden in vielen Bundesländern immer beliebter. Vorreiter ist Baden-Württemberg, wo mittlerweile 48 Prozent der Schüler die Hochschul- und Fachhochschulreife erreichen, im deutschen Mittel sind es 44 Prozent. Fast jeder Dritte im Südwesten erwirbt sein Abitur an einem beruflichen Gymnasium. In Bremen wurden seit 2002 Fachgymnasien aufgebaut, ebenso in Schleswig-Holstein, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen.

Eine Studie zeigt, dass berufliche Gymnasien gerade für Schüler ausländischer Herkunft ein Türöffner zu einer akademischen Laufbahn sein können. Denn der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung nimmt in der Sekundarstufe II in Baden-Württemberg deutlich ab. Dank der beruflichen Gymnasien gelingt es laut einer Expertise der Bildungsforscher Ulrich Trautwein und Kai Maaz, mehr Schülern den Weg zur Hochschulreife zu ermöglichen.

"Wir haben enormen Zulauf"

Vor allem Kinder von Einwanderern, die eine Realschule besuchen, haben durch die beruflichen Gymnasien gute Chancen, dann noch die Hochschulreife zu erwerben und zu studieren. Die Landesregierung in Stuttgart setzt deshalb weiter auf diese Stärken und plant, die beruflichen Gymnasien, die mittlerweile knapp 50000 Schüler besuchen, um hundert Klassen zu erweitern.

Auch wenn Landesregierungen ungern einen Zusammenhang zum Lernstress im traditionellen, mittlerweile teils auf acht Jahre verkürzten Gymnasium (G8) erkennen wollen: Viele Eltern und Schüler suchen ausdrücklich einen entzerrten Weg zur Hochschulreife. Und auch dabei sind die beruflichen Gymnasien offenbar ein attraktives Angebot. "Wir bekommen am Gymnasium immer mehr Stoff in immer kürzerer Zeit reingepresst", sagt der 21-jährige Badma Kuberlinow. Der Münchner verließ in der zwölften Klasse sein Gymnasium in Dachau, um auf die städtische Rainer-Werner-Fassbinder-Fachoberschule für Sozialwesen und Gestaltung zu gehen.

In Bayern heißen diese Schulen zwar nicht berufliche Gymnasien, sondern berufliche Oberschulen. Das Prinzip ist aber ähnlich. In zwei Jahren kann man an einer der mehr als 80 bayerischen Fachoberschulen (FOS) sein Fachabitur erwerben, in drei Jahren die allgemeine Hochschulreife. Wer bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, besucht eine Berufsoberschule (BOS) und bekommt dort seine Studienberechtigung.

Zu mehr als 40 Prozent wird die Hochschulreife in Bayern mittlerweile an beruflichen Schulen erworben. "Wir haben einen enormen Zulauf", sagt Rainer Raß, Schulleiter der Fassbinder-FOS, die mit 1800 Schülern eine der größten Oberschulen Bayerns ist. In den vergangenen zehn Jahren seien die Anmeldungen um 80 Prozent gestiegen. Zwei Drittel seiner Schüler kommen von der Realschule und wollen sich auf der FOS weiterqualifizieren, wie eine Umfrage ergeben habe. "Das hat mich sehr überrascht", sagt Raß. "Ich war eigentlich überzeugt davon, dass viele kommen, weil sie keinen Ausbildungsplatz gefunden haben."

Der Zulauf vom Gymnasium beträgt etwa 20 Prozent - aus ganz unterschiedlichen Motiven. "Viele Eltern sehen die FOS mittlerweile als Alternative zum Gymnasium", sagt der Schulleiter. Badma Kuberlinow entschied sich für diesen Weg, weil ihm an seiner alten Schule der Praxisbezug fehlte: "Das Gymnasium bereitet nur akademisch auf das Abitur vor, das ist mir zu trocken." An der FOS hingegen arbeitete der Schüler nun jeweils ein halbes Jahr im Kindergarten und im Altenheim.

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