Volksentscheid "Pro Reli":Den Kirchen verzeiht man nicht

In der Diskussion um "Pro Reli" waren die Kirchen Teil einer scharfen politischen Auseinandersetzung - und verschuldeten so selbst, dass sich die Stimmung gegen sie wandte.

Matthias Drobinski

Religion bleibt in den Berliner Schulen am Rande - ein Wahlfach, zu belegen in den Nachmittagsstunden; die Initiative "Pro Reli" hat die nötige Stimmenzahl verfehlt, um Religion in der Hauptstadt zum ordentlichen Schulfach zu machen.

Mit der geringen Beteiligung bei der Abstimmung hätten die Kirchen, die "Pro Reli" auf das Heftigste unterstützt haben, noch leben können. Sie hätten das schöne Wetter anführen können, die allgemeine Demokratiefaulheit beklagen und die viel zu hohen Hürden, die das Land Berlin vor einem Volksentscheid aufbaut. Doch nicht die Beteiligung, sondern das Ergebnis macht die Abstimmung für die Kirchen so bitter: 51,5 Prozent zu 48,5 Prozent - pro Ethik.

Uneins, unvorbereitet und ohne Kampfeslust

Die evangelische Kirche hat schon Erfahrungen mit herben Niederlagen. 1996 scheiterte ein Volksbegehren kläglich, das den Protestanten den der Pflegeversicherung geopferten Buß- und Bettag hätte wiederbringen sollen. Mangelnde Kampagnefähigkeit attestierten damals die Kommentatoren der evangelischen Kirche - uneins, unvorbereitet und ohne Kampfeslust sei sie in die Auseinandersetzung gegangen.

Das konnte man diesmal wirklich nicht sagen. Katholiken und Protestanten waren sich bei der Berliner "Pro-Reli"-Kampagne einig wie selten, sie investierten das Geld der Kirchensteuerzahler und die Zeit ihrer Mitarbeiter, sie gewannen bundesweite Aufmerksamkeit und besetzten geschickt Begriffe: für Freiheit, Gleichberechtigung, Fairness.

Am Rande der Redlichkeit

Das war nicht immer differenziert und manchmal am Rande der Redlichkeit - aber die andere Seite, der rot-rote Senat und der Humanistische Verband, machte es ja auch nicht anders. Die Kirchen waren Teil einer scharfen politischen Auseinandersetzung, und sie verhielten sich wie Akteure einer politischen Auseinandersetzung. Sie waren, könnte man sagen, professionell.

Wahrscheinlich war aber genau das ihr Problem. Einer Partei verzeiht der Wähler, wenn sie auf die Pauke haut und die Wahrheit zur Magd der eigenen Kampagne macht. Den Kirchen verzeiht man das nicht. Sie sollen anders sein, wahrhaftig, bescheiden, lieber moralische Sieger als tatsächlicher Gewinner.

"Pro Reli" war in Berlin populär, solange die Initiative als Nothilfe gegen einen übermächtigen, ungerechten und ignoranten Senat galt. Die Stimmung kippte, als Schüler in Religionsunterricht zum Unterschriftensammeln angehalten wurden, als Plakate die Stadt zupflasterten, und Pfarrer, die für Ethik waren, Ärger mit den Bischöfen bekamen - es ging ja schließlich um die Freiheit, da kann man sich keine Abweichler leisten.

Auf der nächsten Seite: Warum das christliche Abendland nicht untergeht, weil es keinen Unterricht gemäß Grundgesetz-Artikel 7 gibt.

Verrat an der christlichen Botschaft

Teil der demokratischen Kultur

Das wird das Dilemma der Kirchen in den bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Frage sein, wie viel öffentliche Religion ein säkularer Staat mit einer sich säkularisierenden Gesellschaft braucht. Sie muss die Regeln der Mediengesellschaft kennen und die Instrumente der öffentlichen Auseinandersetzung handhaben. Doch tut sie das, gerät sie immer in den Verdacht, das Eigene zu verraten, den Kern, die christliche Botschaft; ein Akteur wie die anderen Parteien und Verbände auch, nicht der Begleiter bei der Taufe oder der Helfer in der Not.

Und diese Auseinandersetzungen kommen, das hat der große Streit ums kleine Fach Religion gezeigt. Es wird den Kirchen nicht helfen, wenn sie sich darauf zurückziehen, dass "Reli" in den anderen Bundesländern vom Grundgesetz garantiert ist. Sie brauchen inhaltliche Argumente dafür, dass dieses Fach eine andere Wirklichkeit in die Schule bringt, die zu kennen und zu erleben ein wichtiger Teil der demokratischen Kultur ist.

In Berlin müssen sie nun abrüsten: Das christliche Abendland geht nicht unter, weil es keinen Unterricht gemäß Grundgesetz-Artikel 7 gibt. Die Frage aber, ob dies nicht eine traurige Selbstverarmung des Schulwesens bedeutet, die dürfen und sollten die Kirchen weiterhin stellen, und einen guten Religionsunterricht anbieten. Der ist die beste Werbung.

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