Verteidigung an Schulen:"Wenn einer angreift, sind 150 von uns tot"

Eine Schule in Texas stattet Lehrer mit Pistolen aus. Die Aufrüstung ist selbst im waffen-vernarrten Amerika umstritten.

Christian Wernicke

Das Dorf Harrold ist alles andere als der Nabel der Welt. Auch in den Vereinigten Staaten hatte bislang niemand von dem Ort im staubigen und eher eintönigen Norden von Texas je etwas gehört. Einsam liegt die 300-Einwohner-Gemeinde in der kargen Landschaft: Die Trucks auf dem nahen Highway 287, Amerikas Nord-Süd-Ader, donnern ungerührt vorbei, und das Büro des Sheriffs von Wilbarger County liegt 40 Kilometer weit entfernt. Doch genau diese Einsamkeit ist der Grund dafür, dass Harrold jetzt Schlagzeilen macht: Ab sofort nämlich dürfen dort die Lehrer Schusswaffen tragen, um ihre 110 Schüler eigenhändig vor potentiellen Amokläufern und Gewalt zu beschützen.

Waffe, ddp

Aufrüstung in Texas Schulen: Trotz Attentaten wie das an der Columbine High School soll das Waffenverbot gelockert werden.

(Foto: Foto: ddp)

"Wir leben rund 30 Minuten weit entfernt von jedem Polizeischutz", schimpft David Thweatt, der oberste Schulaufseher von Harrold, "wenn hier einer angreift, sind schnell 150 von uns tot. Es wäre ein Blutbad." Das bisherige Waffenverbot auf dem Schulgelände liefere die Schüler jedem Gewalttäter wehrlos aus - und wer wisse schon, welche finstere Typen da täglich auf der Autobahn vorbeiführen?

Charakterprüfung, Waffenschein und ordentliches Training

Als erster Schulbezirk in den gesamten USA beschloss Harrold deshalb, zum Zwecke robuster Selbstverteidigung ausgewählten Lehrern und Hauswarten das Tragen von Pistolen und Revolver zu erlauben. "Wir sind ein potentielles Ziel", rechtfertigt Thweatt die Aufrüstung, die in den gesamten Vereinigten Staaten Aufsehen erregt hat. "Unsere Schüler ohne Schutz zu lassen, das ist als würde man zu einem bissigen Hund sagen: Fass!"

Drei Wochen vor Beginn des Schuljahres dürfte der texanische Präzedenzfall in den Vereinigten Staaten eine neue Debatte über Waffengewalt an US-Schulen auslösen. Bisher gilt an fast allen Lehranstalten des Landes ein generelles Waffenverbot. Zudem hatten fürchterliche Attentate wie die Ermordung von zwölf Schulkameraden durch zwei Schüler an der Columbine High School in Littleton/Colorado sowie das Massaker an der Universität von Virginia Tech mit insgesamt 33 Toten im April 2007 dazu geführt, die bestehenden Regeln eher zu verschärfen.

Anhänger des in der US-Verfassung verbrieften Rechtes auf Waffenbesitz argumentieren hingegen, eben diese Beschränkungen hätten erst eine Welle der Gewalt an US-Schulen provoziert. Genau diese Linie verfolgt auch Schulaufseher Thweatt: "Erst als die Schulen zu waffenfreien Zonen wurden, wurden sie zum Zielgebiet für Typen, die Tote zählen wollen", heißt es mit martialischem Unterton aus Harrold. Zudem würden nur ausgewählte Mitglieder seines Lehrkörpers bewaffnet - nach vorheriger Charakterprüfung, mit Waffenschein und ordentlichem Training.

Auf der nächsten Seite: Warum der Gouverneur von Texas hinter den Bewohnern von Harrold steht - und was die Aufrüstung mit den Republikanern zu tun hat.

"Wenn einer angreift, sind 150 von uns tot"

Eskalation der Gewalt

Zumindest den Gouverneur von Texas wissen die Bewohner von Harrold hinter sich. Der Republikaner Rick Perry verkündete bereits im vergangenen Jahr, seine Bürger sollten das Recht haben, ihre Waffen auch in Schulen oder in Kirchen tragen zu dürfen. Lehrerverbände befürchten hingegen, die Bewaffnung des Schulpersonals werde nur eine Eskalation der Gewalt provozieren: "Dies ist eine der miesesten Ideen in der Geschichte der Pädagogik", wetterte Gayle Fallon, die Präsidentin der Lehrervereinigung von Houston. Texas mache sich lächerlich - weltweit.

Aber Harrold liegt im Trend. Überall in den USA drängen konservative Gruppen darauf, die Waffenverbote zu lockern. An der Universität von Colorado verlangen Studenten, Handfeuerwaffen im Rucksack tragen zu dürfen. Und der republikanische Studentenverband von Florida fordert, ein Gesetz auch auf Schulen und Unis auszudehnen, das im Sonnenstaat seit Juli den Waffenbesitz am Arbeitsplatz gestattet.

Experten für Jugendgewalt wie Dewey Cornell, Professor an der Universität von Virginia, betrachten den Kulturkampf um die schulische Bewaffnung eher als Verirrung. Statistisch betrachtet sei die Gewalt an Amerikas 119.000 Schulen nicht höher als sonst in der US-Gesellschaft: "In einem Land, wo etwa 200 Millionen Waffen in Umlauf sind, gibt es immer die Möglichkeit für ein Desaster", mahnt Cornell.

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