Versicherungsjobs:Öde wie bei Stromberg?

Versicherungsjobs: Anastasios Leonburg ist als Kapitän zur See gefahren, bevor er Risk Consultant wurde. Hier steht er im Hafen von Ust-Luga an Bord eines Schwerlastschiffes, das Chemieanlagen transportiert.

Anastasios Leonburg ist als Kapitän zur See gefahren, bevor er Risk Consultant wurde. Hier steht er im Hafen von Ust-Luga an Bord eines Schwerlastschiffes, das Chemieanlagen transportiert.

(Foto: Allianz)

Im Gegenteil: Mitarbeiter von Versicherungen arbeiten auch mit Hollywood zusammen oder planen gefährliche Schwertransporte. Drei Beispiele für aufregende Jobs.

Von Viola Schenz

Auf der Liste der beliebtesten Arbeitgeber rangieren Versicherungen nicht gerade an oberster Stelle. Beim Stichwort "Versicherungskaufmann" denken manche entweder an die Fernsehserie "Stromberg" oder an Großraumbüros mit grauen Trennwänden, hinter denen blasse Menschen Versicherungsprämien kalkulieren, Vertragsänderungen formulieren, Prämienrechnungen und Kündigungsfristen erstellen oder Kunden am Telefon erläutern, welche individuellen Angebotskombinationen oder Entschädigungsleistungen es gibt.

Das klingt manchen nach zu vielen Zahlen und Tabellen, nach zu viel Mathematik, nach Monotonie und Langeweile, nach viel Schriftverkehr mit eventuellen Gegnern und deren Versicherungen, mit Anwälten, Behörden, Polizei und Gerichten. Alles Sachen, mit denen man nicht nach Feierabend die Freunde beeindruckt.

Die Versicherungsbranche hat nicht nur mit Schadensregulierung zu tun, sondern auch mit Vorurteilen. Denn es geht dort nicht so grau zu, wie man gemeinhin denkt. Hinter den oft schicken Fassaden der großen Konzerne verbergen sich durchaus auch schicke Tätigkeiten.

Die Allianz, Deutschlands größtes Versicherungsunternehmen, nennt sich intern etwa das "Haus der hundert Berufe" - das ist ironisch und durchaus auch stolz gemeint. Nur ein Teil ihrer 140 000 Mitarbeiter weltweit (42 000 davon in Deutschland) hat tatsächlich eine versicherungstechnische Ausbildung absolviert, es gibt hier reichlich Exoten und Quereinsteiger. Selbst ein promovierter Byzantinist wurde dort gesichtet, er ist für Kunstversicherungen zuständig.

Eigentlich ist das nur logisch: Alles Mögliche wird heutzutage versichert und rückversichert, es geht schon lange nicht mehr nur um Haftpflicht, Unfälle und Hausrat, längst müssen auch die Risiken von Filmproduktionen, Schwertransporten, Offshore-Windparks, Drohnen oder Ölgemälden des Impressionismus ermittelt und betreut werden. Für all solche Spezialgebiete braucht es nicht nur die Mathematiker, Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler, die lange Zeit das Versicherungsbild geprägt haben.

Die Allianz bietet inzwischen ein Duales Studium an, das mit einem Bachelor in BWL abschließt. Es behandelt die Fragen, was in einer modernen Welt versichert werden muss, welche Risiken zum Beispiel beim Dreh eines Filmes, beim Einsatz von Drohnen oder nach einem Hackerangriff bestehen.

Versicherungsjobs: Christina Mertens: "Geht eine Kamera kaputt, müssen wir prüfen, wie lange es dauert, bis Ersatz kommt. In der Stadt ist das selten ein Problem, in der Wüste schon."

Christina Mertens: "Geht eine Kamera kaputt, müssen wir prüfen, wie lange es dauert, bis Ersatz kommt. In der Stadt ist das selten ein Problem, in der Wüste schon."

(Foto: privat)

Die Süddeutsche Zeitung hat mit Menschen gesprochen, die eher zufällig im Versicherungswesen gelandet sind, die dort unvermutete Dinge verrichten, denen dabei selten langweilig wird, wie sie versichern, und die nach Feierabend durchaus ihre Freunde beeindrucken können - mit Geschichten, die man hinter diesem angeblich grauen Job nicht erahnen würde.

Die Frau, die den Wüstendreh versichert

Christina Mertens, 48, hat Versicherungskauffrau gelernt und BWL studiert. Sie zeichnet als Underwriterin bei der Allianz in Köln das Versicherungsrisiko im Entertainment-Bereich in Zentral- und Osteuropa:

"Ich bin für unsere Entertainment-Sparte zuständig. Neben Live-oder Sportveranstaltungen versichere ich Werbespots, TV-Serien, internationale Produktionen und Kino-Filme gegen Personenausfall, Sachschäden von Requisiten oder Haftpflichtschäden. Unter anderem sind wir sind bei knapp der Hälfte der Hollywood-Blockbuster als Versicherer involviert.

Ich schaue mir an, wer den Film dreht, worum es darin geht, wo und auf welchem Material gedreht wird, welche Bauten und Kulissen zum Einsatz kommen. Wird im Ausland gedreht? Dann ist es ein Unterschied, ob in der Wüste oder in der Großstadt - es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit Darsteller vor Ort nicht erkranken, also ausfallen, und für den Produzenten und uns ein Schaden entsteht.

Wie ein Wasserkraftwerk von China nach Pakistan kommt

Geht eine Kamera kaputt, müssen wir prüfen, wie lange es dauert, bis Ersatz kommt. In der Stadt ist das selten ein Problem, in der Wüste schon. Wenn Kameras oder Darsteller ausfallen, stoppt der Dreh, aber die Kosten laufen weiter. Je exotischer, je riskanter ein Ort, desto höher die Versicherungsprämie.

Versicherungsjobs: Anastasios Leonburg: "Oft kommt es nicht auf Fachwissen an, sondern auf Einfühlungsvermögen. Ich habe viel Gestaltungsspielraum, bin in aller Welt unterwegs - und das macht meine Arbeit immer wieder exotisch."

Anastasios Leonburg: "Oft kommt es nicht auf Fachwissen an, sondern auf Einfühlungsvermögen. Ich habe viel Gestaltungsspielraum, bin in aller Welt unterwegs - und das macht meine Arbeit immer wieder exotisch."

(Foto: privat)

Meine Aufgabe ist es, die Produzenten dafür zu sensibilisieren. Wir schauen uns zusammen die Gegebenheiten und Kulissen an, und ich gebe konkret Rat, etwa noch einen Feuerlöscher näher hinzustellen oder einen Scheinwerfer weiter weg. Brennt es im Studio einer TV-Serie, käme zum reinen Materialschaden der Ausfallschaden dazu, weil die Serie nicht fortgesetzt werden kann.

Einmal bekam ich eine Schadensmeldung, das gesamte Studio sei abgebrannt. Da aber die Kamera überlebt hatte und auch die gewünschte Aufnahme heil im Kasten war, lag kein Versicherungsfall vor. All das müssen wir eben abwägen. Man ärgert sich, wenn sich ein Schaden nicht vermeiden lässt, aber dafür ist letztlich ja Versicherung da.

Die Leute sind über meinen Job oft erstaunt. Ach, so was kann man versichern, heißt es dann. Sie wollen dann wissen, was die höchsten Ausfallschäden waren, mit welchen Promis ich es zu tun habe und wer die größten Marotten hat. Alles Dinge, über die ich natürlich nicht sprechen kann, weil ich zur Verschwiegenheit verpflichtet bin. Das Filmgeschäft ist eben eine verschwiegene Branche - vor allem, wenn mal was schief geht."

Der Mann für Superjachten und unbekannte Gewässer

Anastasios Leonburg, 46, ist Diplom-Ingenieur mit nautischem Kapitänspatent und arbeitet als Marine Risk Consultant bei der Allianz in Hamburg:

Versicherungsjobs: Markus Tradt: "Durch mein Philosophie-Studium habe ich gelernt, Dinge zu hinterfragen, sie von außen zu betrachten. Selbst bei einer Versicherung kann ich das, es gibt hier den nötigen Gestaltungsfreiraum."

Markus Tradt: "Durch mein Philosophie-Studium habe ich gelernt, Dinge zu hinterfragen, sie von außen zu betrachten. Selbst bei einer Versicherung kann ich das, es gibt hier den nötigen Gestaltungsfreiraum."

(Foto: privat)

"Ich verkaufe keine Versicherungen, sondern berate Unternehmen bei ihren Transporten, oft geht es um Schwergüter. Ich bin auch mit Reedereien in Kontakt, die Versicherungen für ihre Schiffe benötigen. Früher, als ich als Kapitän zur See fuhr, habe ich selber Jachten mitgenommen und verladen. Ich kann also ganz gut einschätzen, worauf es ankommt, und bei einer 60-Meter-Superjacht, die 14 Millionen kostet, kommt es auf einiges an. Wenn etwas schiefgeht, kann ein Schiff auch mal ein Totalverlust sein oder Menschen kommen zu Schaden. Ich bin daher bei den Verladungen dabei und checke, ob internationale Standards eingehalten werden.

Ich bin zur Allianz Global Corporate & Specialty, dem Industrieversicherer der Allianz, gewechselt, weil sie dort Leute mit praktischer Erfahrung brauchen, ich verlinke dort den praktischen Teil mit der Versicherung. Als ich Bekannten erzählte, dass ich zu einer Versicherung gehe, warnten sie mich, dass es da sicherlich zugehe wie in der TV-Serie Stromberg, es sei langweilig und das Ende meiner Karriere.

Ich war dann überrascht, wie vielfältig der Job ist. Jeden Tag kommt etwas anderes herein, aus verschiedenen Gebieten, die was mit Marine zu tun haben. Vor zwei Jahren wurde ein Wasserkraftwerk aus China in Pakistan gebaut, und wir mussten mal eben zehn mal 30 Meter große Laufräder transportieren. Letztes Jahr mussten wir die riesigen Komponenten einer Ammoniak-Anlage nach St. Petersburg verschiffen. Unsere Recherchen ergaben, dass es dort einen Grenzfluss gibt, der allerdings von kommerziellen Schiffen noch nie befahren wurde. Es gelang dem Projektteam, eine Genehmigung einzuholen, den Fluss zu befahren; dann haben wir eine eigene Anlegestelle gebaut und so die Ladung weitergebracht, die wegen ihrer Übergröße nicht auf Straßen transportiert werden konnte.

Andere Länder, andere Sicherheitsrisiken, andere Besonderheiten. Oft kommt es nicht auf Fachwissen an, sondern auf Einfühlungsvermögen. Ich habe viel Gestaltungsspielraum, bin in aller Welt unterwegs - und das macht meine Arbeit immer wieder exotisch."

Ein Philosoph geht unter die Versicherer

Markus Tradt, 43, hat Philosophie studiert und landete 2004 nach mehreren Zwischenstationen in der IT des Rückversicherers Munich Re in München:

"Ich bin wahrscheinlich der Prototyp eines Quereinsteigers. Ich habe in München Philosophie studiert und darin auch meinen Magister gemacht. Als Anfang des Jahrtausends der neue Markt boomte, waren überall in der Softwareentwicklung Leute gesucht, auch fachfremde. Über ein Trainee-Programm bin ich bei der Munich Re gelandet. Dort kümmere ich mich um die Blockchain-Technologie, also darum, Daten in verschlüsselter Form auf Hunderten oder Tausenden Rechnern zu speichern, fälschungssicher, darauf kommt es an.

Die riesigen Datensätze werden aufgeteilt in verkettete Blöcke, Blockchains. So können Konten, Buchungen, Transaktionen sicherer und effizienter abgebildet werden. Das ist ähnlich revolutionär wie die doppelte Buchführung seinerzeit in der Renaissance. Ich hatte erkannt, dass Blockchains für Versicherungsberufe immer wichtiger werden und bekam die Gelegenheit, das hier zu entwickeln. Meine Aufgabe ist es, ein stabiles Umfeld zu schaffen, damit wir die Dinge voranbringen und den Zeitplan einhalten können.

Durch mein Philosophie-Studium habe ich gelernt, Dinge zu hinterfragen, sie von außen zu betrachten und von ihnen Abstand zu nehmen. Selbst bei einer Versicherung kann ich das, es gibt hier den nötigen Gestaltungsfreiraum. Für viele passt das nicht zusammen, für sie klingt Versicherung nach Routine und Papierarbeit. Aber gerade durch neue Technologien entstehen spannende Berufsfelder. Es ist faszinierend, das mitgestalten zu können - da ist es zweitrangig, was man studiert hat."

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