Verfahrensflut für Arbeitsrichter:Der Drang zur Klage

Noch nie sind beim Bundesarbeitsgericht so viele Fälle eingegangen wie im vergangenen Jahr: Tausende Kläger kämpfen um Ruhegelder oder gegen Kündigungen. In diesem Jahr muss Erfurt unter anderem die Frage klären: Darf man Jüngeren weniger Urlaub als Älteren gewähren?

Streitigkeiten um Altersregelungen und Kündigungen haben die Zahl der Fälle am Bundesarbeitsgericht auf einen Höchststand schnellen lassen. Sie stieg 2011 um 38,4 Prozent auf 3421. Noch nie in der mehr als 50-jährigen Geschichte seien mehr Fälle eingegangen, sagte BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt am Dienstag in Erfurt. "Die Bereitschaft zur gütlichen Einigung und Bereinigung von Konflikten nimmt ab", erklärte sie.

Arbeitsrecht: Bundesarbeitsgericht zieht Bilanz

Die Bundesarbeitsrichter in Erfurt haben Bilanz gezogen: Wie Präsidentin Ingrid Schmidt berichtet, kommen im höchsten deutschen Arbeitsgericht jährlich weit mehr als 2000 Fälle aus allen Teilen Deutschlands auf den Tisch.

(Foto: dpa)

Schmidt beobachtet einen zunehmenden "Drang, Bundesgerichte entscheiden zu lassen". Die Verfahrensflut für die höchsten Arbeitsrichter, die in diesem Jahr anhalten werde, habe außerdem mit der ständigen "Neujustierung des Arbeitsrechts" durch EU-Regelungen zu tun.

Laut dem BAG dominieren Verfahren, in denen es um Ruhegelder, um Altersteilzeit und um den Kündigungsschutz geht. "Die Lage wird sich sicher 2012 nicht entspannen", sagte Schmidt. Auch Fälle von Altersdiskriminierung rückten zunehmend in den Blick der Bundesrichter. Das Erfurter Gericht kann mit seiner Rechtsprechung die Arbeits- und Tarifverträge von Hunderttausenden von Arbeitnehmern beeinflussen.

Altersbezogene Regelungen auf dem Prüfstand

In diesem Jahr geht es in Erfurt unter anderem darum, ob Regelungen, nach denen ältere Arbeitnehmer mehr Urlaub erhalten als jüngere, mit dem Verbot der Altersdiskriminierung vereinbar sind. Nach und nach kämen alle altersbezogenen Regelungen in Tarif- und Arbeitsverträgen auf den Prüfstand, sagte die Gerichtspräsidentin.

Im Herbst nimmt sich das BAG erneut der umstrittenen "Kettenverträge" an - befristete Arbeitsverträge, die immer wieder verlängert werden. Die Bundesrichter hatten zur deutschen Praxis der häufigen "Vertretungsbefristungen" beispielsweise im öffentlichen Dienst den Europäischen Gerichtshof angerufen. Dieser entschied am 26. Januar, dass befristete Arbeitsverträge mehrfach hintereinander verlängert werden dürfen, wenn es dafür einen sachlichen Grund gibt.

Besonders deutlich um 48,7 Prozent erhöhte sich im vergangenen Jahr die Zahl der Nichtzulassungsbeschwerden - das sind die Fälle, bei denen die Landesarbeitsgerichte eine Revision beim Bundesarbeitsgericht nicht zulassen wollten. Im Schnitt beträgt die Verfahrensdauer beim BAG mit seinen 10 Senaten und 35 Richtern sieben Monate. Die Erfolgsquote der Kläger liegt bei den Sachentscheidungen bei 27,5 Prozent.

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