Verdienst von Männern und Frauen:Deutschland weist Europas größte Gehaltslücke auf

Nirgendwo in Europa klafft der Verdienst von Männern und Frauen so weit auseinander wie in Deutschland. Das zeigt die jüngste Statistik der OECD. Daran konnten auch Initiativen wie der Weltfrauentag und der "Equal Pay Day" nichts ändern.

Von Sibylle Haas

Junge Frauen können es oft nicht glauben: Sie sollen benachteiligt sein - heute noch? Dabei sind sie doch längst emanzipiert. In der Schule haben sie von ungleichen Chancen nichts gespürt, oft hatten sie besser Noten als Jungs. Seit Jahren machen mehr Mädchen als Jungen Abitur, und ein Uniabschluss mit guten Noten ist für viele Studentinnen selbstverständlich. Und doch bekommen schon junge Frauen weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen. Das wird später nicht besser, wenn es darum geht, Karriere zu machen - zwischen Mitte 30 und Anfang 40.

Dann holt viele Frauen die Realität ein: Sie sind seltener in Führungsjobs und verdienen deutlich schlechter als Männer. Die jüngste Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt, dass in keinem anderen europäischen Land der OECD die Gehaltslücke zwischen Frauen und Männern so groß ist wie in Deutschland. Hier verdienen Frauen durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 15 Prozent.

Jedes Jahr rechnet das Frauennetzwerk Business and Professional Women (BPW) Germany den Tag aus, bis zu dem Frauen arbeiten müssen, um genauso viel zu verdienen, wie ihre männlichen Kollegen bis zum Ende des Vorjahres erhalten haben. In diesem Jahr fällt der "Equal Pay Day" auf den 21. März. Die durchschnittliche Deutsche arbeitet also - symbolisch betrachtet - mehr als zwei Monate ohne Bezahlung.

"Es reicht nicht, die Beschäftigungszahlen von Frauen zu erhöhen"

Der "Equal Pay Day" wurde vor sechs Jahren ins Leben gerufen. Die Idee stammt aus den USA, wo Mitte der Neunzigerjahre berufstätige Frauen diesen Tag einführten. "Es gibt absolut keinen Grund, müde zu werden und zu meinen, dass die Entgeltlücke stagniert", sagt BPW-Präsidentin Henrike von Platen.

Der Kampf um Gleichberechtigung ist noch lange nicht gewonnen. Daran erinnert im März nicht nur der "Equal Pay Day", sondern auch der Internationale Frauentag, der am 8. März gefeiert wird. Er wurde vor etwa hundert Jahren ins Leben gerufen. Doch in vielen Ländern werden Frauen auch heute noch diskriminiert, wird Mädchen der Besuch einer Schule verweigert. In der westlichen Welt ist zwar einiges geschehen. Wer heute Frauen am Arbeitsplatz benachteiligt, muss mit juristischen Konsequenzen rechnen. Das ist gut so. Und doch haben Frauen auch bei uns oft das Nachsehen.

"Es reicht nicht, die Beschäftigungszahlen von Frauen zu erhöhen", erklärt daher BPW-Präsidentin Platen. Frauen müssten öfter als bisher in qualifizierten Jobs unterkommen. Eine wichtige Ursache für die Lohnlücke sieht Platen darin, dass Frauen nach der Babypause in Teilzeit- und Minijobs hängen blieben. Damit landeten sie in einer "beruflichen Sackgasse", da Aufstiegschancen versperrt blieben, die Stundenlöhne meist niedriger seien als bei Vollzeitarbeit und damit auch eine existenzsichernde Rente nicht aufgebaut werden könne.

Zuverdiener-Modell als Armutsfalle

"Frauen geben sich leider viel zu oft damit zufrieden, dass sie das Haushaltseinkommen des Mannes ein bisschen aufstocken", sagt Karin Nordmeyer von UN Women, der weltweit führenden Organisation der Vereinten Nationen zur Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Frauenrechte. "Das Zuverdiener-Modell führt Frauen oft in eine Armutsfalle", warnt Nordmeyer, die Vorsitzende des Nationalen Komitees von UN Women in Deutschland ist. "Die Arbeitswelt muss sich ändern, sodass Beruf und Familie besser koordinierbar sind", fordert Nordmeyer. Home-Office, Job-Sharing auch in Führungspositionen und flexiblere Arbeitszeiten seien erste Schritte, um vor allem Frauen den Berufsalltag nach der Elternzeit zu erleichtern.

Eine Umfrage der Unternehmensberatung Accenture bestätigt das. Danach fehlen flexible Arbeitszeitmodelle, die auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind. Dieses Problem wird sich nach Einschätzung der befragten Frauen sogar noch verschärfen: Mehr als jede dritte Frau glaubt, dass es in Zukunft schwieriger werden wird, Beruf und Privatleben miteinander in Einklang zu bringen.

In Deutschland sind Chefinnen eine Randerscheinung

Dazu passt, dass viele Frauen einen gesellschaftlichen Wandel bezweifeln. Sie sind skeptisch, dass die Dominanz von Männern im Top-Management gebrochen wird. Nur knapp ein Viertel rechnet damit, dass bis zum Ende des Jahrzehnts Männer und Frauen gleichermaßen in Führungspositionen vertreten sein werden. Tatsächlich sind in Deutschland Chefinnen eine Randerscheinung. In keinem einzigen der 30 Dax-Konzerne steht eine Frau an der Spitze. Betrachtet man den gesamten Vorstand, gibt es zwar Frauen, ihr Anteil ging 2013 allerdings von 7,8 auf 6,3 Prozent zurück.

Arbeitgeber, so heißt es in der Accenture-Umfrage, müssen mehr tun, um Frauen beim beruflichen Aufstieg zu helfen. Flexible Arbeitszeitmodelle und die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, gehören dazu. Wichtig sei aber vor allem, Frauen gezielt zu fördern, und zwar von Anfang an. Dies kann in Seminaren für angehende weibliche Führungskräfte geschehen oder indem klare Regeln für Beförderungen eingeführt werden.

Ursula Schwarzenbart ist beim Automobilkonzern Daimler für Chancengleichheit (Diversity) zuständig. Sie macht diesen Job seit 2005 und ist damit eine der ersten Diversity-Beauftragten in einem deutschen Großunternehmen. Diversity meint freilich mehr als die berufliche Gleichstellung von Männern und Frauen; es bedeutet, die Vielfalt einer Belegschaft mit weltweit 275 000 Beschäftigten in mehr als 120 Nationen zu fördern.

"Keine einfache Aufgabe in einer von Männern dominierten Branche"

Dennoch ist die Frauenförderung für Schwarzenbart besonders wichtig. Sie selbst ist eine der 13 Prozent Frauen, die bei Daimler eine leitende Führungsposition haben. Bis 2020 will Schwarzenbart diesen Anteil auf 20 Prozent bringen. "Das ist keine einfache Aufgabe in einer von Männern dominierten Branche", sagt sie. "Wir stellen immer wieder fest, dass der Frauenanteil in den Technikberufen eines Autoherstellers nicht so schnell wächst, wie wir uns das wünschen", erklärt sie.

Deshalb schickt das Unternehmen Ingenieure an Schulen, die dort ihren Beruf vorstellen und gerade Mädchen für die Technikberufe interessieren sollen. Schwarzenbart hat auch die Sache mit den Workshops auf den Weg gebracht, durch die inzwischen 6000 männliche und weibliche Führungskräfte geschleust wurden. Ziel dieser Seminare ist es, unbewusste Verhaltensmuster zu erkennen und Vorurteile zu hinterfragen.

"Frauen wird noch immer oft die klassische Männerrolle im Beruf nicht zugetraut. Es muss selbstverständlich werden, dass das ein Irrtum ist und Frauen einen Mehrwert bringen", sagt Schwarzenbart. Immerhin sitzt mit der Juristin Christine Hohmann-Dennhardt seit 2011 eine Frau im Daimler-Vorstand. "Das hat Vorbildcharakter für die Frauen in unserer Belegschaft", sagt Schwarzenbart dazu. Ihr Einsatz zeigt Wirkung: Bei einem Ranking des Familienministeriums bekam Daimler im vorigen Jahr Bestnoten in Sachen Frauenförderung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: