Veränderungsprozesse in Unternehmen:Warum Widerstand zwecklos ist

Change Management gehört in Unternehmen zu den Königsdisziplinen - und wird doch immer wieder vernachlässigt. Das führt zur Verunsicherung, manchmal gar zur inneren Kündigung von Mitarbeitern. Dabei müssen die Führungskräfte doch nur eines sein: ehrlich.

Miriam Hoffmeyer

"Ein System, das man selbst mitdefiniert hat, wird eher akzeptiert." Davon ist die Wirtschaftsinformatikerin Mareike Solbach überzeugt. Sie ist Expertin darin, Unternehmen durch Veränderungsprozesse zu manövrieren. Keine leichte Aufgabe: Mehr als 40 Prozent solcher Prozesse scheitern ganz oder teilweise. Das geht aus einer aktuellen Studie des Change-Beratungsunternehmens Mutaree und der Bundeswehr-Universität München hervor, für die 300 Manager und Mitarbeiter von Unternehmen befragt wurden.

Wenn es schiefgeht, liegt das oft am passiven Widerstand der Belegschaft. Denn ob es nun um Änderungen der Zuständigkeiten geht, die Zusammensetzung von Teams oder eine komplette Neustrukturierung - viele Mitarbeiter wollen von lieb gewonnenen Gewohnheiten nicht lassen. Oder sie befürchten, bisweilen zu Recht, dass sie künftig mehr arbeiten müssen oder an Einfluss verlieren.

Eine besonders große Veränderung hat sich der Mobilfunk-Netzbetreiber e-plus vorgenommen, bei der Mareike Solbach die Abteilung "Change Management" leitet: Innerhalb von drei Jahren soll unternehmensübergreifend ein neues, einheitliches Computersystem eingeführt werden. Dadurch verändern sich nicht nur die Arbeitsabläufe. Viele Mitarbeiter erhalten andere Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die ganze Organisation wird umgekrempelt.

Um seine Angestellten für das neue Programm zu gewinnen, betreibt e-plus einigen Aufwand: 200 der 4500 Mitarbeiter wirken aktiv bei dem Projekt mit. Einige wurden dafür komplett freigestellt, andere nur für einige Stunden pro Woche. Wichtig sei es, dass Vertreter aller Abteilungen und Hierarchieebenen eingebunden seien, sagt Solbach. Gemeinsam überlegen die Beteiligten, welche Anforderungen das neue System erfüllen muss oder wie sich etwa Kundendaten am besten überführen lassen. "Wir brauchen das Wissen der Leute", erklärt die Managerin.

Ehrliche, klare und rechtzeitige Kommunikation darüber, was sich ändern wird, gilt als wichtigster Grundsatz im Change Management. Darüber hinaus achten immer mehr Unternehmen darauf, dass ihre Mitarbeiter den Veränderungsprozess mitgestalten können. Nicht nur, um die Skepsis gegenüber den Neuerungen zu mindern, sondern auch, um diese selbst zu verbessern. Die "Intelligenz der Organisation" lasse sich durch die Beteiligung der Mitarbeiter sehr gut nutzen, sagt Hans-Werner Bormann, Vorstand des Fachverbandes "Change Management" im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater.

Unter dem Schlagwort "Kontinuierlicher Verbesserungsprozess" (KVP) ist es etwa in der Automobilindustrie schon lange üblich, Mitarbeiter Vorschläge zur Optimierung der Produktion machen zu lassen. Nun wird versucht, solche Methoden auch in Verwaltung oder Vertrieb anzuwenden. Durch die Globalisierung, sagt Bormann, habe sich der Wandel in den Unternehmen so sehr beschleunigt, seien die Organisationen so komplex geworden, dass Führungskräfte kaum noch den Überblick über Detailfragen hätten. "Gleichzeitig sind die Mitarbeiter aufgeklärter und selbstbewusster als früher." Auch deshalb sei es heute schwierig, Veränderungen einfach per Ukas durchzusetzen.

Wie wirkt sich das in der Praxis aus?

Freilich stellt sich die Frage, wie weit die Mitwirkung in der Praxis tatsächlich geht. Werden die Mitarbeiter nicht durch Scheindemokratie manipuliert, damit sie den Vorgaben von oben folgen? Solche Pseudo-Beteiligungen gebe es gelegentlich, sagt Bormann. "In der Regel funktioniert das aber nicht." Die Genasführten durchschauten das Spiel schnell und stellten sich dann erst recht quer.

An grundsätzlichen Entscheidungen - etwa der Frage, ob eine geplante Veränderung überhaupt sinnvoll ist - dürfen die Mitarbeiter allerdings nie mitwirken. "Nicht alles kann basisdemokratisch entschieden werden, das führt zu Orientierungslosigkeit", sagt Claudia Schmidt, Geschäftsführerin von Mutaree. "Die Führung muss die Leitplanken setzen. An der Ausgestaltung des Weges können die Mitarbeiter beteiligt werden." Das sei oft ein längerer Prozess - aber Schmidt hält es gar nicht für sinnvoll, zu viel zu schnell umkrempeln zu wollen. "Das klappt meistens nicht. Und zwar nicht, weil die Leute die Veränderungen aus bösem Willen blockieren, sondern weil sie so weiterarbeiten, wie sie es gewohnt sind." Bei e-plus wird das neue Computersystem nach und nach in den einzelnen Abteilungen eingeführt, auch damit in Ruhe ausprobiert und nachgebessert werden kann. Einige Mitarbeiter wurden extra geschult, um bei den Kollegen nachzufragen, wie sie mit den Veränderungen zurechtkommen.

Solche "Change Agents", die den übrigen Angestellten die geplanten Veränderungen vermitteln, werden inzwischen oft eingesetzt. Häufig stammen sie aus dem mittleren Management, wie zum Beispiel Markus Morlock, Gruppenleiter im Bereich Technischer Service beim Mannheimer Energieversorger MVV Energie. Dort soll ein Kostensenkungsprogramm ohne Entlassungen umgesetzt werden. Morlock ist einer von 47 Change Agents des Unternehmens. "Es ist wichtig, viel mit den Mitarbeitern zu reden, ihnen zuzuhören und eindeutige Informationen zu geben", sagt Morlock. "Was ein Unternehmen lähmen kann, ist die Gerüchteküche."

Alle sechs Wochen moderiert er einen Workshop, in dem Mitarbeiter Vorschläge machen, wie man effektiver arbeiten könnte. "Dabei geht es oft um scheinbare Kleinigkeiten, die aber wichtig sein können. Etwa dass bestimmte Daten auf Formblättern automatisch aktualisiert werden." Die Change Agents, sagt Liane Schmitt, Leiterin Personalentwicklung bei MVV Energie, "gelten als neutral und sprechen die Sprache der Mitarbeiter." Ihnen gegenüber würden auch grundsätzliche Vorbehalte nicht totgeschwiegen, und das sei gut so: "Man braucht die Unkenrufer, um überhaupt in den Dialog treten zu können."

Beraterin Schmidt ist überzeugt, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter künftig noch stärker an Veränderungsprozessen mitwirken lassen werden. "Das ist auch eine Generationenfrage", sagt sie. "Die Älteren nehmen es eher hin, nicht gefragt zu werden. Die Jungen wollen mitgestalten."

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