US-Asyl für Schulverweigerer:"Peinlich für Deutschland"

Um ihre Kinder zu Hause unterrichten zu können, floh eine baden-württembergische Familie bis in die USA. Dort hat sie jetzt politisches Asyl erhalten - wegen "religiöser Verfolgung".

Maria Holzmüller

Uwe und Hannelore Romeikes Flucht ist zu Ende. Bis in die Kleinstadt Morristown im US-Bundesstaat Tennessee reisten sie im Sommer 2008 mit ihren fünf Kindern, um der Staatsgewalt zu entkommen. Ein US-Einwanderungsrichter hat dem Elternpaar jetzt politisches Asyl gewährt und damit die Entscheidung in einem Fall getroffen, wie es ihn bisher in den USA noch nicht gegeben hat.

US-Asyl für Schulverweigerer: Politisches Asyl in den USA: Hannelore Romeike kann ihre Tochter Damaris künftig unbehelligt zu Hause unterrichten.

Politisches Asyl in den USA: Hannelore Romeike kann ihre Tochter Damaris künftig unbehelligt zu Hause unterrichten.

(Foto: Foto: dpa)

Die Besonderheit: Die Romeikes kommen nicht aus Birma oder Iran. Sie kommen aus dem baden-württembergischen Örtchen Bissingen an der Teck. Dort sollten ihre Kinder auch zur Schule gehen - und genau das war das Problem.

Die Romeikes sind strenggläubige evangelikale Christen. Die in Deutschland allgemeine Schulpflicht empfanden sie als unvereinbar mit ihrem Glauben.

Weil der Lehrplan und die gebräuchlichen Schulbücher nicht ihren christlichen Werten entsprachen, wollten Uwe und Hannelore Romeike ihre Kinder zu Hause unterrichten, anstatt in einer Schule, in deren Unterrichtsmaterial zum Sexualkunderunterricht sie nach eigenen Angaben auf obszöne Ausdrücke für Geschlechtsverkehr stießen. Sie nahmen ihre drei ältesten Kinder aus der Grundschule, um "ihnen eine gesunde Herzens- und Charakterbildung zu vermitteln", wie sie in einem Schreiben begründeten.

Hitlers Erbe

Was folgte war ein monatelanger Streit mit den örtlichen Behörden um die in Deutschland geltende Schulpflicht. Anders als in den USA oder den meisten europäischen Ländern, wo eine Bildungspflicht die Vermittlung von Wissen nicht an den Besuch einer Schule bindet, sieht das deutsche Recht den regelmäßigen Besuch einer Bildungsstätte vor. Ausnahmen gibt es kaum.

Ein Unding, findet Michael Donnelly, Anwalt der amerikanischen Home School Legal Defense Association, die sich für das Recht auf Hausunterricht einsetzt. Er riet der Familie 2008, in die USA zu kommen, wo 1,5 Millionen Kinder jeden Tag dem Unterricht im eigenen Wohnzimmer folgen. Pianist Uwe Romeike verkaufte seine Klaviere, um den Umzug zu finanzieren. Donnelly, der regelmäßig Vorträge unter dem Titel "Ein Erbe Hitlers: Der deutsche Umgang mit Hausunterricht" hält und damit auf den Ursprung des Verbots von häuslichem Unterricht im Dritten Reich verweist, unterstützte den Asylantrag der Familie.

Konfrontation mit Gewalt

Den begründete die Familie damit, dass sie wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt werde. "Während der letzten zehn bis 20 Jahre lief der Lehrplan in öffentlichen Schulen immer mehr christlichen Werten zuwider", erklärte der Familienvater. In der Schule seien seine ältesten Kinder mit Gewalt, Schikanen und Druck von Gleichaltrigen konfrontiert worden.

Im Oktober 2006 hatte die Polizei die Kinder zu Hause abgeholt und zur Schule gebracht, nachdem auch der Rektor die Romeikes nicht umstimmen konnte. Letztlich ausschlaggebend für die Entscheidung der Familie, ihre Heimat zu verlassen, war nach Worten des Vaters ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2007, wonach in schweren Fällen die Sozialämter Eltern ihre Kinder wegnehmen können. Nach diesem Urteil "wussten wir, dass wir das Land verlassen mussten", erklärte der Klavierlehrer.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Folgen die amerikanische Entscheidung für Deutschland haben könnte.

"Schlag ins Gesicht der Behörden"

Aus diesen Gründen empfindet auch Jörg Großelümern, ein Sprecher des Netzwerks Bildungsfreiheit, es nicht übertrieben, im Falle der Romeikes von religiöser Verfolgung in Deutschland zu sprechen. "Wenn die Polizei die Kinder bei der Familie abholt oder mit Entzug des Sorgerechts droht, ist das Verfolgung", sagte er zu sueddeutsche.de. Dass nun tatsächlich politisches Asyl in den USA gewährt wurde, empfindet er "als Schlag ins Gesicht der deutschen Behörden." Die Entscheidung gebe preis, in welch erschreckendem Zustand sich die Menschenrechte und insbesondere die Elternrechte in Deutschland befänden.

Ähnlich sah es wohl Richter Lawrence Burman, der dem Asylantrag der Romeikes stattgab. Die Home School Legal Defense Association zitiert den Juristen auf ihrer Internetseite mit den Worten: "Menschen, die ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen, sind eine besondere soziale Gruppe, die die deutsche Regierung zu unterdrücken versucht. Diese Familie hat eine gut begründete Furcht vor Verfolgung. (...) Deswegen steht ihr Asyl zu, und das Gericht wird ihr Asyl gewähren."

Größere Vielfalt

Großelümern hofft nun, dass diese Entscheidung ein Umdenken in Deutschland anregt und den Weg frei für neue Bildungswege macht. "Wir lehnen die staatlichen Schulen nicht ab, wir sind nur für eine größere Vielfalt in unserem Bildungssystem. Und da gehört Heimunterricht dazu", sagt er. Eine Auswanderungswelle nach der Entscheidung in den USA erwartet er nicht.

Ähnlich äußerte sich auch Anwalt Michael Donnelly. Man hoffe, dass das Urteil nun die öffentliche Meinung in Deutschland beeinflusse. Das sei auch einer der Gründe dafür gewesen, der deutschen Familie Rechtsbeistand anzubieten, erklärte er. Die Entscheidung des Einwanderungsrichters nennt Donnelly auf der Webseite seines Verbands "peinlich für Deutschland, weil jedes westliche Land grundlegene Menschenrechte, wie das Recht der Eltern, ihre eigenen Kinder zu erziehen und zu bilden, gewährleisten sollte".

Ein Sprecher des baden-württembergischen Kultusministeriums wollte die Entscheidung aus den USA gegenüer sueddeutsche.de nicht bewerten. "In diesem Fall ging es darum, das geltende Schulrecht des Landes durchzusetzen. Darüber hinaus steht es jedem frei, ins Ausland zu gehen", sagte er.

Auch die Kultusminister-Konferenz sieht in der Entscheidung keine Folgen für das deutsche Bildungssystem. "Es gibt in Deutschland eine Schulpflicht und das wird auch so bleiben", sagte eine Sprecherin gegenüber sueddeutsche.de.

Die US-Regierung kann gegen das am Dienstag veröffentlichte Urteil noch Einspruch einlegen. Ein Sprecher der Einwanderungsbehörde wollte zunächst keine Stellung nehmen.

Viele Möglichkeiten für Eltern

Der deutsche Konsul für den Südosten der USA, Lutz Görgens, ging in einer Erklärung nicht direkt auf das Urteil ein. Er betonte jedoch, Eltern in Deutschland hätten eine große Bandbreite von Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder. Es gebe öffentliche und private Schulen und auch solche mit alternativen Lehrplänen wie Waldorf- und Montessori-Schulen. Die allgemeine Schulpflicht garantiere einen hohen Bildungsstandard für alle Kinder. Bereits vor der Entscheidung des Einwanderungsrichters sagte Görgens, das Argument einer Verfolgung sei "weither geholt".

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