Urteil des Sozialgerichts:Scheinselbständig im Bundestag

Der Bundestag hat offenbar gegen seine eigenen Gesetze verstoßen: Eine Studentin war über längere Zeit als Besucherbetreuerin im Reichstag beschäftigt. Selbständig nach außen, aber eigentlich abhängig beschäftigt. Sie klagte - und die Richter fanden klare Worte in der Sache.

Der Bundestag hat nach einer Entscheidung des Berliner Sozialgerichts für eine Besucherbetreuerin knapp zwei Jahre lang keine Sozialabgaben gezahlt und damit gegen Gesetze verstoßen. Die Studentin sei nicht, wie behauptet, selbstständig tätig gewesen, teilte das Gericht am Freitag mit.

Die Arbeitsbedingungen hätten deutlich für eine versicherungspflichtige Angestelltentätigkeit gesprochen. Es habe ein "überwachtes Handlungskorsett" gegeben. Laut Gericht ging es um den Zeitraum von Januar 2008 bis Oktober 2009. Die Mitarbeiterin sei eine von rund 70 Studenten gewesen, die Besucher führten, Infomaterial verteilten und Fragen beantworteten.

Sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Tatsache, dass die Frau kein eigenes unternehmerisches Risiko zu tragen hatte, sprächen demnach für eine versicherungspflichtige Beschäftigung, argumentierte das Gericht. Vor allem die Tatsache, dass Besucherbetreuer "in sehr hohem Maße in die Arbeitsorganisation des Besucherdienstes eingeliedert" seien, habe das Gericht zu der Entscheidung bewogen. Den rund 70 Betreuern werde nicht nur vorgegeben, wo sie zu arbeiten haben, sondern auch welche Kleidung und welches Verhalten angemessen sei, hieß es.

Mit dem Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, wurde die Auffassung der Rentenversicherung bestätigt (S 81 KR 2081/10). Erst Ende 2009 habe der Bundestag sein Vorgehen geändert: Honorarkräfte wurden zu Angestellten. Im Bundesrat hatte es ähnliche Verfahren gegeben. Im Juli 2011 entschied das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg aber, dass der Einsatz selbstständiger Honorarkräfte bei der Führung von Besuchergruppen korrekt war.

Das Sozialgericht äußerte sein Unverständnis, dass sich der Bundestag gegen die Rentenversicherung per Klage zur Wehr setzte. In einem Bericht der Innenrevision des Bundestages sei zuvor eingeräumt worden, dass bei Besucherbetreuern Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit fehlten. Zuletzt hatte die Süddeutsche Zeitung im März von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Parlamentsverwaltung wegen der Beschäftigung von Scheinselbstständigen berichtet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: