Unterschiedlicher Verdienst von Männern und Frauen:Die Unersetzlichen

Apotheke in New York

Bei Apothekerinnen fällt die "Teilzeit"-Strafe geringer aus als in anderen Branchen. (Symbolbild aus New York)

(Foto: AP)

Frauen verdienen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer. Doch während manche sich eine gesetzliche Frauenquote wünschen und andere glauben, Frauen sollten sich mehr anstrengen, besagt eine neue Studie aus Harvard: Es geht nicht ums Geschlecht.

Von Barbara Vorsamer

Der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Zu dieser erstaunlichen Schlussfolgerung kommt eine Studie der Harvard-Dozentin Claudia Goldin, die Gehälter und die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in mehreren Branchen in den USA verglichen hat.

Sie fand heraus, dass sich die Gehälter von Männern und Frauen direkt nach der Ausbildung noch recht wenig unterscheiden. Erst nach einigen Jahren geht die Schere auseinander, 15 Jahre nach dem Berufseinstieg ist die Gehaltslücke in den USA am größten. Keine Überraschung: In dieser Zeit ziehen Menschen ihre Kinder groß, weswegen Frauen häufiger als Männer für einige Zeit aussetzen, auf Teilzeit umsteigen und so weiter. So weit, so bekannt, so logisch - klar bekommt jemand, der 60 Prozent arbeitet, auch nur 60 Prozent des Gehalts.

Der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen besteht jedoch fort, wenn Stundenlöhne statt Monatsgehälter verglichen werden. In der Realität bekommt die Teilzeitbeschäftigte - auch nach dem Herausrechnen aller Effekte von Branche, Hierarchiestufe und ähnlichem - weit weniger als ihren prozentualen Anteil am entsprechenden Vollzeitgehalt. Das ist auch in Deutschland der Fall (siehe diese Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum bereinigten und unbereinigten Gender Pay Gap).

Gender Pay Gap

Zahlen für Deutschland: Erst nach einigen Jahren im Job zeigt sich der Gender Pay Gap so richtig,

(Foto: Statistisches Bundesamt Wiesbade)

Es geht nicht um Geschlecht, sondern um Zeit und Anwesenheit

Zeitweises Nicht-Arbeiten - egal, ob jemand einige Jahre oder Monate komplett aussetzt oder seine Arbeitszeit vorübergehend reduziert - wird finanziell unverhältnismäßig abgestraft. Für ihre Studie verglich Goldin Harvard-Absolventinnen aus den 1990er Jahren miteinander. Frauen mit einem Master in Business Administration, die in ihren ersten 15 Berufsjahren eine 18-monatige Auszeit nahmen, bezahlten das mit 41 Prozent ihres Gehaltes, Rechtsanwältinnen mussten auf 29 Prozent verzichten. Ärztinnen büßten vergleichsweise wenig ein, nämlich nur 15 Prozent. Fast keine "Teilzeit-Strafe" stellte die Autorin bei Apothekerinnen fest.

Sie führt das auf die unterschiedliche Anwesenheits- und Informationskulturen in den verschiedenen Branchen zurück. Im Gesundheitswesen wird vielfach in Schichten gearbeitet, die Beschäftigten sind es gewohnt, sich mittels Übergaben und Datenbanken gegenseitig auf dem aktuellen Stand zu halten. Jemand, der weniger Stunden arbeitet, hat also kaum Informationsnachteile gegenüber einem Vollzeitmitarbeiter.

In manchen Branchen gibt es "Teilzeit"-Strafen

Im betriebswirtschaftlichen und juristischen Umfeld herrscht hingegen eine "Winner-takes-it-all"-Kultur. Der oder die einzelne hält sich für unersetzbar, Wissen wird kaum geteilt, Kunden, Auftraggeber oder Mandanten schon gleich gar nicht. Wer nicht anwesend ist, verliert den Anschluss.

Den Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern zu schließen, sei also ganz einfach, schlussfolgert Claudia Goldin, die ihren Aufsatz selbstbewusst mit "Das letzte Kapitel" in der Debatte um den Gender Pay Gap überschrieben hat. Sie fordert: Die individuelle Anwesenheitskultur gehört gekippt, Firmen müssen Strukturen schaffen, in denen sich die Beschäftigten ohne Reibungs- und Informationsverluste gegenseitig vertreten können.

Ihrer Meinung nach ist das dann auch kein Frauenthema mehr, denn davon hätten schließlich alle etwas. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dank flexiblerer Arbeitszeiten mehr Zeit für ihre Familien, ihre Hobbies oder wofür auch immer. Sie müssten während ihrer Abwesenheit nicht mehr dauerereichbar sein, weil sie vertreten werden. Firmen könnten Abwesenheiten und Kündigungen besser verkraften. Und der Staat würde profitieren, weil Frauen, die mehr arbeiten und mehr verdienen, auch mehr Steuern bezahlen würden und weniger von Altersarmut bedroht wären.

Eine Utopie? Vielleicht. Doch in Zeiten, wo sich so viele Frauen und Männer nach einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sehnen, wäre es einen Versuch wert. Auch wenn dabei manche feststellen müssen, dass sie nicht so unersetzlich sind, wie sie dachten.

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