Unterrichtsfach Wirtschaft:Neues Fach - altes Weltbild

Homo oeconomicus und soziale Marktwirtschaft: Die Pläne für mehr Wirtschaftsunterricht sind inhaltlich erschreckend einseitig. Um die Wirtschaftswelt zu verstehen, braucht es mehr.

Reinhold Hedtke

Die Arbeitgeberverbände setzen sich beharrlich für eine bessere ökonomische Bildung ein. Sie wollen Wirtschaft bundesweit als Schulfach durchsetzen. Das fordert auch der Bundesverband der Banken in seiner "Konzeption für die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung"; er verlangt ein zweistündiges Pflichtfach Wirtschaft von Klasse 5 bis 12.

Unterrichtsfach Wirtschaft: Ist der Wirtschaftsunterricht zu einseitig, bringt er den Schülern nichts.

Ist der Wirtschaftsunterricht zu einseitig, bringt er den Schülern nichts.

(Foto: Foto: dpa)

Das ist mehr, als die Stundentafel des bayerischen Gymnasiums den Fächern Chemie und Physik einräumt - für Bescheidenheit ist der Verband nicht bekannt. Sein Konzept ist eine Auftragsarbeit des renommierten Oldenburger Instituts für Ökonomische Bildung (IÖB). Lobbyisten für mehr Wirtschaft in der Schule sind auch die Bertelsmann-Stiftung, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und die Ludwig-Erhard-Stiftung.

An den Wirtschaftsunterricht richten sich zwei Erwartungen: Dort sollen Schüler lernen, wie Märkte und Unternehmen funktionieren und nach welchen Mustern Menschen in der Wirtschaftswelt handeln. Außerdem sollen Erwerbstätige, Verbraucher und Geldanleger, die sich in der Schule ökonomisch gebildet haben, erfolgreicher sein als andere. Kann ein Fach Wirtschaft dies einlösen? Viel hängt davon ab, was genau man dort lernt. Die Fachphilosophie, die das IÖB formuliert, beruht auf zwei Elementen: Das theoretische Fundament legt die ökonomische Handlungstheorie samt Modell des Homo oeconomicus ("Ökonomik"), das ordnungspolitische Gerüst liefert die soziale Marktwirtschaft. Andere Ansätze stehen nicht auf dem Plan.

Einseitige Weltsicht

Die Denkschule der Ökonomik fußt auf der Annahme, dass Individuen rational handeln, ihren Nutzen maximieren und sich nur durch positive oder negative Anreize beeinflussen lassen. Sie untersucht, bei welchen Anreizstrukturen möglichst viele Akteure zum wechselseitigen Vorteil kooperieren. Als eine gute Gesellschaft gilt die, die den Individuen optimale Gelegenheiten zur gegenseitigen Vorteilsmaximierung bietet. Garantieren sollen das Institutionen und Regeln, es ist Aufgabe der Politik, diese zu optimieren. Die Ökonomik liefert nicht nur eine Theorie der Wirtschaft, sondern zugleich auch eine Gesellschafts- und eine politische Theorie. Die Ökonomen Karl Homann und Andreas Suchanek schreiben in ihrem Einführungswerk zur Ökonomik, diese diene der "Erklärung und Gestaltung der sozialen Welt".

"Realitätsfernes Konstrukt"

Ausschließlich diese Weltsicht also sollen sich die Schüler aneignen. Hans Kaminski und Katrin Eggert, Leiter und Geschäftsführerin des IÖB sowie Verfasser der Konzeption für den Bankenverband, attestieren der Ökonomik eine "besonders hohe heuristische Erklärungskraft". Mehr als zwei Drittel der Unterrichtsthemen stammen aus dem Mainstream der Volkswirtschaftslehre. Alternative Ansätze kommen nicht vor. Andere Disziplinen bleiben marginal - für die Wirtschaft ist nur die Wirtschaftswissenschaft zuständig. Dass reale Märkte soziale Beziehungen und Netzwerke sind und Kommunikation und Kultur benötigen, lernen die Schüler so nicht; das ist Wissen aus der Wirtschaftssoziologie.

Bankenverband und IÖB fordern eine wirtschaftliche Bildung, die auf homogenes Denken in orthodoxen standardökonomischen Modellen zielt. Ein Schulfach, das nur ein einziges Paradigma propagiert, dürfte ziemlich einzigartig sein (sieht man einmal vom konfessionellen Religionsunterricht ab). Selbst Wirtschaftswissenschaftler streiten untereinander über die Weltsicht der Ökonomik, nicht nur mit Soziologen und Psychologen. Während für die IÖB-Autoren eine Kritik am Homo-oeconomicus-Modell "unnötig" ist, sieht der Nürnberger Ökonom Karlheinz Ruckriegel darin ein "realitätsfernes Konstrukt".

Die Rationalität des Menschen wird überbetont

Dass "die Rationalität des Menschen so überbetont wird", hält auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Reinhard Selten für falsch. Er kritisiert den umfassenden Erklärungsanspruch der Ökonomik als "ökonomischen Imperialismus". Für die Oldenburger Wirtschaftsdidaktiker sind Emotionen, Instinkte und Irrationalität kein Thema. Es bleibt ihr Geheimnis, wie man ohne diese Kräfte beispielsweise Marketingstrategien, Konsumentenhandeln, Machtspiele bei Firmenübernahmen oder wirtschaftspolitische Grundüberzeugungen erklären soll.

Überwältigende Einseitigkeit

Hans Kaminski definiert Ökonomik als "Theorie der Marktprozesse", nicht der Machtprozesse. Schüler, die das gelernt haben, wundern sich dann später, dass Macht und Hierarchie den Arbeitsalltag in Unternehmen prägen. Auf welche Welt bereitet dieser Unterricht vor? Für die Erklärung, wie die Wirtschaft funktioniert, verdient ein solches Fach bestenfalls die Note ausreichend. Und die Kopfnote für Pluralismus lautet: mangelhaft.

Wissen aus anderen Wissenschaften ist nötig

So würden die Schüler zwar lernen, wie Wirtschaft aus Sicht der Ökonomik funktioniert. Aber sie lernten kaum, ihr Handeln in der Wirtschaftswelt zu verstehen. Dafür bräuchten sie das Wissen aus anderen Wissenschaften. Aus der Wirtschaftspsychologie weiß man, wie persönliche Erwartungen die Wahrnehmung verzerren, etwa beim Geldanlegen. Sozialpsychologen zeigen, wie man dem durch Werbung erzeugten Gruppenzwang widersteht oder wie man erfolgreich mit dem Arbeitgeber verhandelt. Die Glücksforschung warnt, dass wir die Bedeutung von Geld und Besitz für das Lebensglück systematisch überschätzen. All das hilft, bewusster, autonomer und wirkungsvoller zu handeln.

Gute Gründe, der alten Ökonomik ein neues Schulfach zu schenken, gibt es nicht. Auch die Wirtschaftskrise ist dafür kein Anlass: Ihre Hauptakteure zählen zur ökonomischen Bildungselite. Die Krise zeigt, wohin es führt, wenn sich Politik, Märkte und Manager allein auf das Weltbild von Mainstream-Ökonomen stützen.Was nützt ein neues Fach, das die Funktionsweise der Wirtschaft einseitig darstellt und wenig dazu beiträgt, dass Schüler ihre Interessen besser im Alltag umsetzen können? Die Erklärung dafür findet sich vielleicht im zweiten Eckpfeiler des Konzeptes, Ordnungstheorie und Wirtschaftsordnung.

Zentrales Denkschema

Ökonomische Ordnungen sollen nicht nur ein Thema, sondern das zentrale Denkschema im Wirtschaftsunterricht neben der Ökonomik sein. Damit legt die IÖB-Konzeption die ökonomische Bildung auf die Idee fest, dass die Wirtschaftsordnung ein kohärenter Zusammenhang der vielfältigen wirtschaftlichen Institutionen, Prozesse und Aktivitäten sei und sein soll. Sie ergreift in einer Grundlagendebatte Partei für eine Denkschule.

Diese Einseitigkeit überwältigt die Lernenden. Der ideologische Effekt des neuen Faches dürfte seine Beiträge zur Erklärung der Wirtschaftswelt übertreffen. Einer kritischen und praxiswirksamen ökonomischen Bildung nützt das nicht. Die aber wird dringend gebraucht.

Der Autor lehrt an der Universität Bielefeld Wirtschaftssoziologie und Didaktik der Sozialwissenschaften.

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