Universität Greifswald:Hier hat der Bachelor keine Chance

Ganz Deutschland hat die neuen Bachelor-Studiengänge eingeführt, nur die Hansestadt Greifswald bildet noch Diplom-Kaufleute aus. Diese Sturheit lockt Studenten an.

J. Osel und T. Schultz

Roland Rollberg ist als Kind zwar nicht in einen Kessel mit Zaubertrank gefallen, aber im Kampf gegen die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master ist er stark wie Obelix, der Gallier. Wissenschaftler klopfen ihm bei Tagungen auf die Schulter, insgeheim wären viele gerne so rebellisch wie er. Rollberg ist kein zorniger Studentenführer, sondern ein arrivierter BWL-Professor an der Universität Greifswald. Dort hat er die Wirtschaftswissenschaften zur letzten Bastion ausgebaut, die noch am alten Diplom festhält und sich beharrlich gegen die Studienreform wehrt.

"Zu uns kommen Studenten, die bewusst das Diplom machen möchten", sagt Rollberg. Etwa 1000 Studenten sind es zurzeit, Greifswald ist bundesweit die einzige wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, die Studienanfänger noch als Diplom-Kaufleute ausbildet. In dieser Woche verleiht ihr der Verein Deutsche Sprache dafür den Kulturpreis. Die Jury will damit "Verdienste um das alte deutsche Universitätsideal" würdigen.

In dieser Woche beginnen bundesweit auch die Vorlesungen des Wintersemesters. Vom alten Universitätsideal werden die meisten Studienanfänger zumindest begrifflich wenig mitbekommen: Heutzutage schreiben sie sich nicht für ein traditionelles Diplom- oder Magister-Fach ein, sondern streben nach einem "Bachelor" und anschließend nach dem "Master". Sie belegen Kurse, die in "Module" geordnet sind, und sammeln credit points - Leistungspunkte, die sich nach dem angeblich genau berechneten Arbeitsaufwand bemessen. Selbst Akademiker, die erst vor ein paar Jahren ihren Abschluss gemacht haben, hätten Mühe, sich heute an der Universität zurechtzufinden.

Die Bologna-Reform begann vor elf Jahren: Europas Bildungsminister vereinbarten in Bologna, einen "europäischen Hochschulraum" zu schaffen und die Abschlüsse zu vereinheitlichen. So gibt es nun fast flächendeckend nur noch die kurzen Bachelor-Studiengänge (meist sechs, manchmal sieben Semester) und darauf aufbauend Master-Angebote (meist vier Semester). Nach dem Willen der Politiker soll bereits der Bachelor für den Arbeitsmarkt reichen. Er vermittle aber nur Versatzstücke des Wissens, sagt Rollberg, der Rebell aus Greifswald: "Beim Bachelor können Studenten kaum noch über den Tellerrand schauen."

Als im vorigen Jahr Zehntausende auf die Straße zogen, um gegen die schlechten Studienbedingungen zu demonstrieren, richtete sich ihr Protest auch gegen die Umsetzung der Bologna-Reform. Die Studenten klagten über zu viel Druck und zu wenig Freiräume. Weil nun fast alle Noten direkt in den Abschluss eingehen, ist von der Freiheit des Studiums wenig übriggeblieben. Selbst dort, wo die Studenten noch mit einem Staatsexamen abschließen, hat sich vieles verändert: Auch die Studiengänge für Lehrer wurden "modularisiert". Eine Umfrage unter bayerischen Lehramtsstudenten zeigt, dass die meisten das Studium als schlecht organisiert empfinden; viele bemängeln die verschulte Struktur. "Wer heute Lehramt studiert, braucht gute Nerven", sagt die Studentenvertreterin Ulla Adam. Im Grunde sei das Studium eine Zumutung.

Es wird besser

In den Staatsexamens-Fächern Jura und Medizin sind die Veränderungen bisher am geringsten, dort gibt es nur einzelne Modellstudiengänge. Weil in diesem Fall auch Politiker wie Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) eine Reform vehement ablehnen, wird es zunächst nur wenige Bachelor-Juristen geben. In den Ingenieurwissenschaften haben sich die Technischen Unis zwar auf das neue System eingelassen, sie beharren aber darauf, dass erst der Master ein vollwertiger Abschluss sei - der zudem eigentlich "Diplom" heißen müsste. Auf den Zeugnissen vergeben einige deshalb einen Master mit dem Zusatz, dass dieser dem Diplom entspreche.

Unmögliche Rückkehr

Vorige Woche feierten die Ingenieure den 111.Geburtstag des Titels "Dipl.Ing.". Ernst Schmachtenberg, Rektor in Aachen, betont den "exzellenten Ruf deutscher Ingenieure"; dafür gebe es kein besseres Qualitätslabel als den "Diplom-Ingenieur". Roland Rollberg ist überzeugt, dass die wenigsten Professoren wirklich hinter Bachelor und Master stehen. Doch auch an seiner Uni haben die anderen längst auf Bachelor und Master umgestellt. In Mecklenburg-Vorpommern konnte sich Rollberg nur deshalb dem Zug der Zeit widersetzen, weil das Gesetz dort sehr weich formuliert ist. In Nordrhein-Westfalen etwa wäre es nicht möglich gewesen, dort scheiterten Klagen gegen die Reform vor Gericht.

Aus Sicht der Rektoren ist ein Zurück zum alten System illusorisch. Entscheidend sei vielmehr, die neuen Studiengänge zu verbessern. Nach den Studentenprotesten bemühen sich die Unis auch wirklich um Erleichterungen. Es sei viel in Bewegung gekommen, beteuert die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel. So soll es nun vielerorts mehr Wahlfreiheit im Studium geben. Auch die Abschlussarbeit könnte künftig bei der Gesamtnote stärker zählen, sodass die Studenten nicht schon in den ersten Semestern unter ständigem Prüfungsdruck stehen. Außerdem ist die Anwesenheitspflicht an vielen Hochschulen gelockert worden.

Verbesserungen in der Feinmechanik

Der Münchner Politikstudent Malte Pennekamp, einer der Wortführer der Proteste, räumt ein, dass "in der Feinmechanik" der Studiengänge einiges verbessert werde. Vieles laufe aber weiterhin chaotisch, es gebe unterschiedliche Ideen davon, was eigentlich ein "Modul" sei. Module sollen die neue Basiseinheit sein, nach der ein Studium organisiert wird - aber das legt jeder anders aus. Und wenn nun wie in Bayern oder Hessen die Unis auch noch Kürzungen verkraften sollen, könnte es bald wieder Streiks geben, sagt Pennekamp. Auch die Rektoren fordern mehr Personal, um kleinere Seminare anbieten zu können. Die Unis würden einfach nicht ausreichend finanziert, sagt HRK-Chefin Wintermantel. Der Frust darüber entlade sich dann auch im Protest gegen Bachelor und Master.

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